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Österreicher und Weltbürger

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BEKENNTNIS ZU KOKOSCHKA. Erinnerungen und Deutungen von Freunden des Künstlers. Herausgegeben von J. P. H o d i n. 180 Seiten, zahlreiche Bildtafeln. Preis 88 DM. — HERWARTH WALDEN. Ein Lebensbild von Nell Waiden. 132 Selten, zahlreiche Abbildungen. Preis 28 DM. Beides im Kupferberg-Verlag, Berlin-Mainz.

Wer Augen hatte, zu schauen, konnte anläßlich der heurigen Wiener Festwochen — die dadurch, daß sie sich mit dem Motto „Wien nach 1900” ein festes Arbeitsziel steckten, zu einem internationalen Vorbild wurden — jene Welt erblicken, in der der junge Österreicher aus Pöchlarn, dessen Initialen, OK, längst weltbekannt sind, wurzelte und die er alsbald machtvoll mitformte. Während ringsum der vielgelästerte und erst heute verständig ernstgenommene Jugendstil seinem Höhepunkt zustrebte, waren es Schiele und Kokoschka, die als erste ein eigenes Profil und, jeder auf seine Art, internationalen Rang erreichten.

Schon aus jener Zeit stammten Freundschaften, die ein Leben lang hielten und denen sich in Deutschland bis Ende 1933 sowie auf Reisen weitere anschlossen. Es war eine blendene Idee des Verlages, Zeugen- schaften der Freunde über den Menschen, den Denker und Künstler Kokoschka zu einem Kompendium zusammenzustellen, das an ein Kabinett, gebildet aus verschiedensten Spiegeln, entsprechend der Persönlichkeit der einzelnen Freunde, gemahnt. So wird Kokoschka auf die denkbar verschiedenste Art geschaut, geliebt, begriffen, gedeutet — im Brennpunkt der Linien aber entsteht, begeisternd und ergreifend, erschreckend und liebenswert, das Lebensbild eines der größten Künstler, die jemals österreichischem Boden entsprossen.

So wird der Band, dessen Reichtum an Ideen und Erkenntnissen immer wieder überrascht, gleichzeitig zu einer tiefen Einschau in das Österreich vom Jahrhundertbeginn und bis in die Mitte der zwanziger Jahre und in österreichische Grundstrukturen überhaupt, die immer dann fruchtbar wirken, wenn das Land weltoffen die Fluida aus engerer und weiterer Nachbarschaft ein- und ausatmet. Waldemar George findet für Kokoschka den Titel eines „fahrenden Ritters der zeitgenössischen Kunst” und hat in jeder Weise recht. Ein Kämpfer war er zeitlebens — und er war und ist immer noch unterwegs, einer der großen Fragenden des Säkulums.

Ob Umbro Apollonio über Kokoschka und den Expressionismus schreibt, Josef Hof mann über seine Anfänge, Tietze-Conrat, Paul Fierens und Georg Schmidt über einzelne Werke, Nell Waiden über sein Verhältnis zum „Sturm”-Kreis, Leo Kestenberg über den Menschen, Ernest Rathenau über die Entstehung eines Kokoschka-Buches, oder wenn man Kokoschkas Gedanken .und Lebensäußerungen liest, so jene seines Briefwechsels mit Adolf Loos und vielen anderen, dann entsteht ein Lebens- und Zeitpanorama von seltener Eindringlichkeit.

Daß gleichzeitig mit dem Kokoschka-Band jener über Herwarth Waiden, den unvergessenen Förderer, Anreger und Betreuer des „Sturmes” in Berlin, des mutigen und machtvollen Streiters für die moderne Kunst in Deutschland, herauskam, war geistig folgerichtig. Als am 23. September 1961 von Reidemeister, dem Generaldirektor der Berliner Museen, eine historische „Sturm”-Schau im Charlottenburger Schloß veranstaltet wurde, erschien sie allen, die imstande waren, die Zusammenhänge zu überschauen, als ein Triumph Waldens und der „Sturm”-Künstler, als ein spät.er Triumph nach einem halben Jahrhundert.

Waiden, als junger jüdischer Pianist, als absoluter Outsider gegenüber den verzopften Kunstpäpsten jener Tage, war der erste weit und breit, der den Genius eines Kokoschka, Marc und Macke, Kandinsky und Chagall, eines Klee oder Schwitters erkannte und sich kompromißlos für sie einsetzte — allen Risken wirtschaftlichen Ruins und gesellschaftlicher Diffamierung trotzend. So formulierte es Reidemeister. Den ganzen weiten Hintergrund des Phänomens Herwarth Waiden sucht nun in dem vorliegenden Werk Nell Waiden, seine schwedische Gattin, darzustellen. Nicht auf jene peinlich sentimentale, blind verehrende Art, die so viele Erinnerungsbücher aus den Federn überlebender Gattinnen unerträglich macht, sondern klar, fest, faktenprall, sauber.

Was entsteht, ist das Bild eines wahren Humanisten, eines Mannes mit einem Scharfblick sondergleichen bis zur Selbstaufgabe. Er mußte Deutschland, als die bösen Jahre kamen, verlassen. Er kam in die Sowjetunion. Als dort die bösen Jahre kamen, ging er spurlos unter. Lebte er heute noch, dann wäre er 86 Jahre alt.

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