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Österreichische Komponisten auf dem Musikfest

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War schon in der ersten Woche des III. Internationalen Musikfestes der Anteil Österreichs bedeutend, so dominierten in der zweiten und letzten Woche die Werke einheimischer Autoren — wenn wir die noch in der Emigration weilenden mitzählen — so stark, daß man in diesem Jahr fast von einem österreichischen Festival sprechen könnte. In einem von Franz Litschauer dirigierten Konzert des Kammerorchesters der Konzerthausgesellschaft standen der kenntnisreiche, gelehrte Kontrapunktiker J. N. David (geb. 1895) und der musikantische Armin Kaufmann (geb. 1902) einander gegenüber. Das komplizierte polyphone Gewebe der Symphonischen Variation en über ein Thema von H e i n- rich Schütz von David ist mit dem Auge wohl leichter zu entwirren als bei erstund einmaligem Hören mit dem Ohr. Anscheinend spürte der Komponist diese Schwierigkeit und versuchte, sie durch eine farbige, manchmal geradezu effektvolle Instrumentation zu überbrücken. So entsteht eine gewisse Diskrepanz zwischen Gehalt und Klanggestalt, ein Mischstil, dessen man nicht recht froh wird. Armin Kaufmann erprobt seine Kräfte an der großen symphonischen Form in einer Musik für sechs Bläser und Kammerorchester. Sein melodischer Einfall, nicht frei von gelegentlichen Reminiszenzen, ist immer natürlich und erfreulich. Die Form könnte komprimierter, straffer sein. Dieser Eindruck wur-de durch die wenig vollkommene Wiedergabe noch verstärkt. — Das Konzert wurde durch zwei ausgezeichnet gespielte Ricercare aus dem „Musikalischen Opfer“ von Bach eingeleitet. Zwischen den beiden Erstaufführungen spielte Edith Bertschinger das an dieser Stelle bereits besprochene Violinkonzert von Hindemith (Kammermusik Nr. 4): technisch brillant, mit sehr schönem Ton und ohne den geringsten Gedächtnislapsus.

Im VI. Orchesterkonzert erwies sich Herbert Häfner als bemerkenswerter Interpret der österreichischen Avantgarde. Eine in jeder Hinsicht erfreuliche Komposition: melodisch, von delikatem Klang und klarer Form ist das Concerto grosso für acht Holzbläser, Schlagzeug, Klavier und Streicher von Ernst Kanitz (geb. 1894). Als Melodieinstrument dominiert ein sehr geschmackvoll verwendetes Sopransaxophon, während die Sonorität des Orchesters durch ein ebenso geschickt eingesetztes Klavier erhöht wird. — Ein Konzert für Trompete, Streicher und Schlagzeug stammt, wenigstens in seiner Konzeption, aus der frühesten Zeit von Friedrich Wildgans (geb. 1913). Diatonische Themen und Zwölftonreihen werden völlig undoktrinär nebeneinander verwendet und mit Hilfe einer stupenden Satztechnik verarbeitet. Belebt werden die einzelnen Teile durch eine nie auslassende pikante rhythmische Erfindung, die sich besonders auch in dem virtuos behandelten Schlagwerk dokumentiert. Der Solopart der Trompete zeigt genaue Kenntnis des Instruments und fand in Helmuth Wobisch einen kongenialen Interpreten, der auch die exponiertesten Stellen mit virtuoser Selbstverständlichkeit und Tonschönheit meisterte. — In dem Konzert für Klarinette undOrchester von Robert Sc ho 11 um (geb. 1913) ist vor allem die Konsequenz beachtlich, mit der hier Neuland beschritten wird. Schollum handhabt die Zwölftontechnik mk der künstlerischen Freiheit etwa eines Alban Berg und kommt, in einigen getragenen Stellen, auch in die Nähe von dessen Espressivostil. Noch nicht ganz geglückt ist die zuweilen etwas dicke — vielleicht „übersichtliche“, aber kaum erhörbare — Instrumentierung. Den schwierigen, durch die Bläser des Orchesters manchmal verdeckten Solopart — spielte mit erprobter Meisterschaft Friedrich Wildgans.

Das letzte Orchesterkonzert unter Karl Ranki hatte retrospektiven Charakter. Bereits die im Vorjahr in Wien erstaufgeführte I. Symphonie des an der Universität Oxford lehrenden berühmten Byzantinisten Egon Wellesz (geb. 1885) legte Zeugnis ab für die Bindung des Komponisten an die heimische Tradition. Es ist begreiflich, daß sich dem in der Fremde Lebenden die Welt und die Sprache der Wiener Klassik erschloß und die eigene, persönliche Aussage sowie die Stimmen der Zeit übertönte. D i e 11. Symphonie steht spürbar unter dem Einfluß und im Zeichen Anton Bruckners. Dies könnte eine melodische und formale Analyse bis in alle Einzelheiten erweisen — mit Ausnahme des letzten Satzes, der mit seinem eher heiteren Charakter weniger als symphonischer Höhepunkt im Sinne von Brahms und Bruckner, als vielmehr — tm Stil der Klassiker — als Ausklang wirkt. — Ein musikalischer Höhepunkt der ganzen Veranstaltungsreihe war Mahlers „Lied von der Erde“ in der vollendeten Wiedergabe durch die Symphoniker und die Solisten Elisabeth Höngen und Julius Patzak.

Am Ende dieses Musikfestes, dem im nächsten Jahr hoffentlich das IV. Festival folgen wird, geziemt es sich, auch der Ausführenden und der Initiatoren dankbar zu gedenken: in erster Linie der Konzerthausgesellschaft, der Wiener Symphoniker, dieses besten Orchesters im prima-vista-Spiel, das wir besitzen und von dem alle Gastdirigenten mit ehrlicher Bewunderung sprechen — dann aber audi jener stillen und unsichtbaren Helfer am Werk, die das Geplante in die Tat umsetzen, nicht zuletzt des Verfassers der zahlreichen, mit musikphilologischer Genauigkeit redigierten Programmkommentare, welche die Aufgabe haben, einzuführen, zu vermitteln und die Brücke zu schlagen zwischen den oft schwierigen Werken und den Hörern.

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