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Österreichische Kunst zu Gast in Schweden

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Stockholm, Anfang August

Noch immer übt die österreichische Ausstellung im Nationalmuseum Stockholms ihre hierzulande beispiellose Anziehungskraft. Schon einmal ist in der „Furche" von diesem Ausstel’ungserfolg berichtet worden. Seine Größe ’ irfte es berechtigen, einige Beobachtungen daran zu knüpfen, die für andere Auslandswanderungen österreichischen Kunstbesitzes vielleicht Fingerzeige geben.

Das Nationalmuseum hat seinem Gast fast sämtliche Räume zur Verfügung gestellt und ist mit den eigenen Gemälden in die Akademie ausgezogen. Doch findet man in diesen Sälen nicht die Stimmung des Wiener Kunsthistorischen Museums. In Wien fiel das berühmte goldene Salzfaß Cellini® unter den vielen Herrlichkeiten im Parterresaal für Kunsthandwerk wenig auf. Heute drängen sich die Stockholmer Damen mit ihren geblumten Sommerhüten so dicht um die vier Seiten der Vitrine, daß man an dieses Kleinod aus Gold und Email kaum herankommen kann. Es ist besser, sich zunächst einmal einen Stuhl auszusuchen und die Dinge abzuwarten. Endlose Scharen mit Katalogen. Aber es ist schön, dieses Interesse des Publikums zu beobachten, das oft sichtbar über die bloße gesellschaftliche Sensation des Sommers hinausgeht und zu wirklicher Andacht wird. Die Gesichter der jungen Menschen, die lang vor diesen Tizians und Tintorettos, Rembrandts und van Dycks verweilen, haben etwas Ergreifendes. Es ist ja nicht leicht, eine solche Vielfalt von nur einmaligen Kunstwerken zu erfassen.

Oft bin ich in meiner Jugend durch die Säle des Museums am Ring gewandert, wo es feierlich nach der alten Patinaschicht der Ölgemälde roch und der livrierte Aufseher jede Ungehörigkeit ausschloß. Nun gibt es für mich ein unerwartetes Wiedersehen nach Jahrzehnten in Stockholm.

In einer der ersten Kunstzeitschriften Schwedens rühmt der Autor die Ausstellung als die unvergleichbar wertvollste, die jemals in dieses Land gekommen ist. Und der schwedische Verfasser fügt hinzu, daß man hier Gelegenheit hätte, noch viel mehr zu bewundern, wenn seine Vorfahren weniger barbarisch gewesen wären und vor dreihundert Jahren nicht das Prager Schloß geplündert hätten, wo Kaiser Rudolf II. den Grund zur habsburgischen Sammlung gelegt hat. Trotzdem war der Schaden, den die Schweden angerichtet, nicht so groß, als man vermuten könnte. Denn viele geraubte Bilder kamen in den Besitz der Königin

Christine, die sie. weiterverschenkte, wodurch die Einkäufer der Habsburger wieder Gelegenheit bekamen, sie noch einmal von anderen Fürstenhöfen zu erwerben. Erzherzog Leopold Wilhelm und Karl VI. gehören zu den vornehmsten; Auftraggebern, für Neuerwerbungen und Wiederkaufe. So sind allein die Geschichten vieler Gemälde kulturhistorische Romane. Auf jeden Fall lerht man in Schweden zum erstenmal die Kulturarbeit der Habsburger näher kennen und kann somit gewisse Korrekturen an der im allgemeinen ziemlich negativen Einstellung anbringen, die ein künstlich gegen diese Dynastie gezüchtetets Vorurteil hervorgebracht hat. Freilich hatte sich das schwedische Publikum zunächst mit einem Geist auseinanderzusetzen, der sowohl seiner Geschichte, wie seinem heutigen Kulturbegriff in manchen Punkten fremd ist. Die starke Betonung der kaiserlichen Herrschermacht, die in Porträts zum Ausdruck kommt, die barock-katholische Haltung, mußten erst aus ihren Bedingungen heraus verstanden werden. Tizians Farben, die altniederländische Malerei, die Brüsseler Gobelins, die Kristallgefäße begeisterten, aber ebenso allgemein war ein gemeinsamer Widerstand — gegen Rubens. Das Üppige seiner Frauenkörper, das oft Theatralische, Sinnliche seiner Szenen liegt dem schwedischen Menschen nicht, dem vor allem das Verhaltene, die verborgene und beherrschte Pointierung zusagt. Auch die religiöse Propaganda der Rubensschen Bilderwelt fand wenig Verständnis.

Das ist eine typisch nordische Reaktion auf den Charakter der österreichischen Sammlung. Doch darf man nicht glauben, daß dies die hohe Wertschätzung vermindert hat, die Schweden der Ausstellung entgegenbringt. Die Besucherzahl ist mit Rücksicht auf die ungünstige Zeit der Sommerurlaube enorm: am letzten Mai erreichte sie sogar die Höhe von 5000 Personen.

Natürlich waren schon lang vor dem Eintreffen der Schätz die Kunsthistoriker der vier Hochschulen Stockholm, Upsala, Lund und Göteborg damit beschäftigt, das kommende Ereignis wissenschaftlich vorzubereiten. Aufsätze, wie „Die Geschichte der habsburgischen Sammlung1', „Tintorettos Susanna“, „Kunstgeschichte des goldenen Vließes", die das Seminar Upsala ausgearbeitet hat, geben einen Begriff, wie man an die neuen Fragen heranging.

Die schwedische Kunstpädagogik, die heute zur besten Europas gehört, hat wesentlichen Anteil an der Popularisierung der Wiener Ausstellung. Es gelang, ganze Kongresse im Nationalmuseum und damit 600 Personen allein von je einer Gruppe vor den Kunstschätzen zu versammeln, wie im Fall des sozialdemokratischen Parteikongresses und der schwedischen Handelsarbeiter. Trotz der Valutaschwierigkeiten, die besonders den Reiseverkehr Schweden— Norwegen erschweren, kamen Hunderte von norwegischen Künstlern. Auch die Schichten, die der Industrie angehören, wurden ergriffen. Das große Warenhaus Stockholms, „Nordiska Kompaniet", die Druckerei „Esselte“, Ericsons Telephonfabriken sandten 8000 Besucher, die oft in Abendführungen zusammengefaßt wurden. 300 Schulklassen mit ungefähr 10.000 Kin-

dern im Alter von 12 bis 17 Jahren, zogen hier vorbei.

Das Nationalmuseum stellte täglich zehn Führer zur Verfügung und hatte außerdem den guten Einfall, Sondervorträge von einer Viertelstunde zu improvisieren, die einem repräsentativen Gemälde oder einer Rüstung oder einem Kunstgegenstand galten. Auf solche Weise verstanden es Direktor Wettergren und sein Stab, die einzigartige Gelegenheit weiten Kreisen zugänglich zu machen. Und so wurde nicht nur di» Kunst der alten Jahrhunderte, sondern auch die Kulturarbeit des alten Österreich, die man im Norden wenig kannte, vielleicht zum erstenmal in solcher Allgemeinheit Gegenstand der rückhaltlosen Bewunderung.

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