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Österreichs Ehegesetze dringend reformbedürftig

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Der Mensch bringt von Geburt an als Erbe und Aufgabe seines Menschseins zwei wichtige natürliche Anlagen mit, die später den Inhalt seiner Lebensaufgabe ausmachen: die individuelle und die soziale Funktion. Diese zwei Seiten des menschlichen Wesens müssen gleichmäßig entwickelt und betreut werden. Wo Einseitigkeit einsetzt, entsteht die Gefahr, schrankenlosen Egoismus oder entnervtes Massenmenschentum aufzuziehen. Beide werden der Gesellschaft zur Last und gefährden ihren Bestand.

Diese Erwägung führt uns zwangsläufig zu jener Institution, die bei allen Völkern zu allen Zeiten als die Urzelle der Gesellschaft angesehen wurde. Der „modernen Zeit ist der traurige Ruhm geworden, an den Grundfesten unseres sittlichen Daseins überhaupt zu rütteln. Ich meine die Ehe und die Familie.

Auch die Ehe stellt eine Synthese von individuellen und sozialen Gegebenheiten dar. Die zwei Menschen, die sich für den gemeinsamen Lebensgang verbinden, stellen gleichsam die zwei Pole dar, um die sich unser gesamtes Dasein dreht: Persönlichkeit und Gemeinschaft. Der Mann in seiner dynamischen Kraftentfaltung ist die Verkörperung der sieghaften Selbstbehauptung, die Frau in ihrer mütterlichen Statik ist das Symbol der aufbauenden und belebenden Liebe. Freilich ist keines nur das eine oder das andere. Aber die vorwiegenden Merkmale dürften damit schon gegeben sein. Die gottgewollte Synthese von männlicher Dynamik und fraulicher Statik gestalten die Ehe zu jener vollkommenen Lebensgemeinschaft, die einzig dasteht und mit keiner anderen Gemeinschaft verglichen werden darf noch kann.

Die Ehe ergänzt sich in der höheren Einheit der Familie durch das Kind. Damit aber ist der „kleine Urstaat“ gegeben, der uns Menschen Vorbild und Wegweiser für die Bildung der staatlichen Gemeinschaft sein kann und muß.

Die zwei Pole der männlichen Dynamik und weiblichen Statik können auch durch die Begriffe Freiheit und Bindung veranschaulicht werden. Die Freiheit als Zügellosigkeit ist verderblich, die Bindung als Joch ist ertötend, beide zusammen in sinnvoller Ergänzung und Koordinierung sind Garanten des Schöpferischen, Lebendigen. Die individuelle Seite von Ehe und Familie ist genugsam besprochen und betont worden. Es ist auf diesem Gebiet eher ein Zuviel als Zuwenig geschehen. Die große schöpferische soziale Funktion der Ehe aber scheint sich noch nicht erkenntnishaft durchgesetzt zu haben. Die Menschen, die eine Ehe eingehen und eine Familie gründen, stammen selbst aus einer Familie und nehmen nicht nur im biologischen Sinn die Erbanlagen ihrer Vorfahren in sich auf, sondern sind auch durch das geistige Band mit diesen und ihrer Zeit verbunden. Erst auf diese Tatsachen hin bauen sie „ihr eigenes“ Leben und erfüllen somit ihre Gegenwart. Indem sie aber aus dem Ihrigen nehmen und es an ihre Kinder weitergeben, legen sie einen wichtigen Grundstein für die Zukunft. Damit ist ein großes Feld der sozialen schöpferischen Aufbauarbeit im Schöße der Familie gegeben. Tradition und Fortschritt, organisches Erblühen aus Gegebenem in ein Zukünftiges hinein, Ausgleich der Kräfte und Fähigkeiten, ein

Abwägen und Aufbauen, eine Synthese der Gegensätze, ein nie endendes Gespräch vom Ich zum Du und dann mit diesem zusammen zum schöpferischen Wir sind die ewigen Menschheitswerte, die die Familie in ihrer sozialen Funktion dem einzelnen und der Allgemeinheit gleichzeitig schenkt. So betrachtet, wächst die Bedeutung von Ehe und Familie ins riesengroße, entzieht sich dem nüchternen Vertragswesen und der menschlichen, allzumenschlichen Spekulation.

Es kommt also darauf an, daß das Ich und das Du glücklich seien und somit das Wohlergehen des Wir sicherstellen.

Der Staat aber ist nichts anderes als ein erweitertes Familiengebilde, und erst so, im Sinne des christlichen Solidarismus, werden Kapitalismus und Klassenkampf, Kollektivismus und geisttötender Bürokratismus erfolgreich überwunden. Jeder andere Versuch trägt den Keim des Versagens schon in sich. Ehe und Familie sind ein lebendiger Organismus und dürfen niemals „verbeamtet“ werden; sie sind kein Instrument des Staates, sondern seine lebendigste Quelle. Deshalb werden Ehe und Familie auf rein gesetzestechnischem Weg niemals eine Förderung und eine lebensnahe Betreuung erfahren. Wir müssen da hellsichtiger und wacher sein und aus dem Gedanken der organischen Gegebenheit schöpfen. Sicher, auch Ehegesetz und Familienrecht müssen sein, aber nur als Hilfsmittel, als Stütze. Es geht aber letzten Endes um Tieferes, Menschlicheres, Geistigeres.

So kann es geschehen, und unsere österreichische Gegenwart ist ein sprechendes Beispiel dafür, daß das Gesetz, die behördliche Bestimmung, so verkrampft ist, daß das Leben, das sie schützend und schirmend umhüllen sollte, in dieser Umarmung zu Tode gedrückt wird. Wenn wir das ungerechte, trotz unserer Verfassung leider immer noch geltende deutsche Ehegesetz von dieser Seite aus betrachten, dann erkennen wir, welch verhängnisvoller Irrtum von den Machthabern des Dritten Reiches uns als trauriges Erbe hinterlassen wurde, und welches Versäumnis von den heute Verantwortlichen in Österreich mit dem ratlosen Stillschweigen in dieser Frage begangen wird. Wir wollen augenblicklich nicht davon sprechen, daß das jetzt geltende Eherecht die Frau preisgibt und auch in ihrer wirtschaftlichen Existenz schutzlos macht; es sei diesmal auch nur daran erinnert, daß es uns Tag für Tag unheimliches Kinderleid vor Augen führt. Nicht sdiarf genug aber kann seine f a m i 1 ienau f 1 ösende Tendenz angeprangert werden, und daß es dem Niedrigen im Menschen Tür und Tor öffnet. Einst hatte es, von der Warte der nationalen Bevölkerungspolitik aus gesehen, einen Sinn, heute hilft es ausschließlich dem Negativen im Volke zum Durchbruch. Das ist eine einzige „Funktion“.

Ein Staat aber, der auf die Dauer die soziale Funktion von Ehe und Familie geflissentlich übersähe, würde früher oder später selber vor die letzte Existenzfrage gestellt. So geht es nicht weiter, und nur Kompromiß und

ängstliches Ausweichen im Angesichte der heiligen Lebensfragen der Menschheit werden auch eine Koalition auf die Dauer nicht schöpferischer gestalten. Das muß einmal .in Offenheit ausgesprochen werden, denn jede Verschleierung und Leise-treterei auf diesem Gebiete bedeutet Mitschuldigwerden.

Die soziale Funktion von Ehe und Familie läßt auch die Frage des Schutzes des keimenden Lebens auf eine andere Ebene heben. Nicht individuelle Gründe sind dafür maßgebend, ob das Leben im Mutterschoß gemordet werden darf oder nicht. Auch die sozialen Gründe, die man da anführt, entpuppen sich bei einer tieferen Betrachtung als Gegebenheiten rein individualistischen Ursprungs. Soziale Momente können nicht die Straße der Vernichtung weisen, sondern sie sind immer Wegweiser zum Leben. Wenn die soziale Struktur in einer Gesellschaft so ist, daß man aus „sozialen Gründen“ zum Mord greifen will, dann ist es höchste Zeit. weniger vom Sozialen zu reden, sondern schlicht s o z i a 1 z u h a n d e 1 n. Es ist aber eine ungeheure Anklage unserer .heutigen Zustände und es müßte das Herz eines jeden gläubigen Christen mit großem Weh erfüllen, wenn man den Müttern raten müßte, ihr Kind zu töten, weil es sonst keinen Raum in unserer Gemeinschaft hätte. Wer Ehe und Familie' als soziale Faktoren im Menschheitsieben erkannt hat, der wird solche abwegige Gedanken weit von sich weisen müssen.

Ehe und Familie haben wir als die große soziale Zelle der Menschheit erkannt. Zu dieser sozialen Funktion innerhalb von Ehe und Familie muß aber erzogen werden. Unsere Knaben- und Mädchenerziehung müßte auf ganz andere Grundlagen gestellt werden. Noch immer wird die individuelle Seite im Menschen zu sehr betont. Erfreuliche Ansätze müßten ausgebaut und sorgsam betreut werden. Die Familie ist die letzte Burg unseres Volkes und damit auch die letzte starke Festung der abendländischen Kultur. Wir haben nicht mehr viel zu versäumen. Zwei mörderische Kriege und eine Anzahl unorganischer Umstürze haben den Lebensnerv empfindlich getroffen. Wir müssen uns entscheiden. Kleinliches Rechnen und Spekulieren müssen zurücktreten; der einzige Schatz ist unsere christliche Familie, sie wird aber systematisch ausgehöhlt. Die Verantwortung, solches Geschehen zu dulden, können wir nicht mehr tragen.

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