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Österreichs Große Mutter

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FAHNEN ÜBER DER GRÜNDUNG DES MÖNCHES MAGNUS. Straßenauf und straßenab. Rotweißrot, Rotgold, Blaugelb, Rotweiß — und dazwischen breit niederwallend Rotweißgrün, die ungarischen Farben, mit dem doppelfeldigen Wappen, das rechts das zweifache Kreuz und links wiederum das Rotweißrot und darüber die Krone des heiligen Stephan trägt. Zweifach war die Weihe des vergangenen Wochenendes. 1957 wird Mariazell des Jahres 1157 gedenken, als Magnus aus dem ältesten Orden des Westens, den der „Vater Europas“, der heilige Benedikt, gegründet hat, aus dem steirischen Kloster St. Lambrecht zu den verlassenen armen Holzfällern kam und eine aus Lindenholz geschnitzte Marienstatue auf einen Baumstamm stellte. Die Basilika wird seit geraumer Zeit in Hinblick auf die 800-Jahr-Feier mit einem Kostenerfordernis von mehr als sechs Millionen Schilling erneuert. Der Innenraum war nun soweit, daß die Gnadenstatue vom Hochaltar in die Zentralkapelle feierlich übertragen werden konnte.

ÜBERWÄLTIGEND ERSTRAHLEN DIE GEWÖLBE mit ihren Stukkaturen, die man von früher noch in einem müden Grau in Erinnerung hat; im satten Glanz der Farben segeln die Freskofelder, wie es scheint, geradenwegs in den Himmel hinein. 1600 Quadratmeter dieser Fresken historischen Inhalts wurden aufgefrischt. Durch verdeckte Beleuchtung entlang der Simse und oberhalb der Pfeiler empfangen die Fresken bei Tag noch zusätzliches Licht. Die Pfeiler, welche die drei Schiffe teilen, sind nunmehr in Stukkolustrotechnik neubelegt und heben sich mit dem rötlichen Ton wirkungsvoll vom Weiß der Deckenstukkaturen ab. Alte gotische Bogen im Kircheninnern und Mauersockel sind anschaulich freigelegt worden. Die Arbeiten, die im Auftrage des Priorats Mariazell mit Unterstützung der österreichischen Bundesregierung, der Landesregierungen, des Bundesdenkmalamtes und des Landeskonservators von Steiermark zügig vorwärtsgehen, werden gegenwärtig an der Außenfront und an den Türmen angesetzt und zur 800-Jahr-Feier das

IM JUNI DES JAHRES 1465 - also vor fünfhundert Jahren, rettete der Gubernator (Reichsverweser) Johann Hunyadi durch die Schlacht bei Belgrad noch einmal mit den durch Capi-stran begeisterten Kreuzfahrern das Abendland vor den siegestrunkenen Scharen Mehmed II. Die Wiederkehr dieses Tages war das zweite Weihezeichen des Wochenendes. 1 0 5 2 Exilungarn kamen dazu nach Mariazell. Ergreifend gestaltete sich die Lichterprozession des Zuges am Samstag. Der matte Schein der Kerzen erhellte die alten Wallfahrerfahnen mit den ungarischen Aufschriften, beleuchtete die mitgetragene kostbare Weihegabe König Ludwigs I. aus dem 14. Jahrhundert, das wahrscheinlich Andrea Vanni aus Siena gemalt hat und — nach dem Orte seiner Aufbewahrung — das „Schatzkammerbild“ heißt. Der Kerzenschein flog über die bunten Trachten der Männer und Frauen, der Mädchen und Kinder. Unvergeßlich — für den, der in den Mienen dieser Menschen, die ihre angestammte Heimat verloren haben, zu lesen verstand — war die tiefe Versunkenheit. Hier zogen sie dahin, wo ihre Voreltern so oft gingen, trugen die Heimat im Herzen mit Gott. In vielen Augen dieser Menschen standen Tränen, immer wieder weggewischt und aufs neue über die Wangen rinnend. Durch Gebet und Glaube retteten die Vorfahren ihr Land; durch Gebet und Glaube, gehärtet von unsagbarem Leid, wollen sie der geliebten Heimat Gottesfrieden und Glaubensfreiheit wiederbringen.

AUF DER ORGELEMPORE AM SONNTAG, zehn Uhr vormittags. Erzbischof Dr. Rohracher hebt das Gnadenbild in die Höhe, daß es alle sehen können. Vom Chor aus geht der Zug, Oesterreicher und Ungarn gemeinsam, zur Kapelle, wo das Pontifikalamt zelebriert wird. Wundersam, wie sich der Gesang von Marienliedern in zwei Sprachen zu einem Chor formt. Sämtliche österreichische, siebzehn ausländische Rundfunkstationen und Fernsehsender werden Millionen an dieser Feier teilnehmen lassen.

DAS PROGRAMM DER 800-JAHR-FEIER in kurzen Zügen: die Festlichkeiten werden sich über die Monate Mai bis Oktober verteilen. Zum Hauptfesttag, dem 15. September 1957, werden die höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträger in Mariazell erwartet. Den musikalischen Teil bestreitet die altehrwürdige Wiener Hofmusikkapelle; die Sängerknaben, der Staatsopernchor und die Philharmoniker bringen die e-Moll-Messe von Bruckner; abends singt der Grazer Domchor, begleitet von den Grazer Philharmonikern, das Te Deum von Bruckner. Weitere künstlerische Darbietungen sind: Beethovens C-Dur-Messe; die „Mariazel-ler Messe“ von Haydn (Linzer Domchor); die „Krönungsmesse“ Mozarts (Salzburger Domchor); der Domchor von St. Stephan in Wien bringt Schubert. Einige zeitgenössische österreichische Komponisten — so Meßner und Kronsteiner — werden eigene Werke schreiben. Auch der Wiener Schubertbund, die Chorvereinigung Jung-Wien unter Lehner und die Bachgerrreinde erscheinen. Auf dem Kalvarienberg kehren die Volkskünstler aus St. Margarethen im Burgenland mit ihrem Passionsspiel ein. Eine Fülle in-und ausländischer Tagungen steht in Aussicht: Jeder Tag wird unter einem bestimmten Motto stehen. So etwa: „Tag der Union“ (Pontifikal-amt der armenischen Benediktiner — Mechita-risten — aus Wien); „Tag des Ordensvaters Benedikt“; „Tag von Wien“ (mit dem die Wiener Wallfahrt resustiert wird, die mit Kardinal Khlesl, mit dem hl. Clemens Maria Hofbauer und dem Männerapostel Pater Abel SJ. — nach dem ein Platz in Mariazell benannt ist — eine große Tradition hat), möglicherweise der Internationale Pax-Christi-Kongreß (der hervorragende Vertreter der Pax-Christi-Bewegung, Pater Manfred Hörhammer, predigte vergangenes Wochenende in der Basilika); und — nicht zuletzt der „Tag der Völkerverständigung“.

VÖLKERVERSTÄNDIGUNG. Gerade an diesem Ort, an dem aus allen Teilen der Monarchie

Gläubige zusammenkamen, an dieser Weihestätte, die Erzbischof Dr. Rohracher „ein Stück des alten Oesterreich“ nannte, ist der Geist der Verständigung am Platze. „Im Namen der Menschwerdung die Menschenrechte proklamieren, rufen und retten“ — das setzt Pater Hörhammer als Leitsatz über diesen Tag, Die -Welt von draußen hereinholen und zeigen, daß ihre letzten Anliegen nicht in den Staatskanzleien, sondern im Kirchenhause erwogen, gewogen, geprüft und gelöst werden — das ist ein hoher Gedanke an diesem Tage der Völkerverständigung, zu dem vor einer Woche die Grundsteine gelegt wurden. Hunderte von Tschechen, Slowaken, Kroaten, Ungarn, Slowenen, Deutschen aus Böhmen werden ihren Mitbrüdern im Glauben Lieder ihrer Sprachen bringen, bei Zusammenkünften die sie bewegenden Fragen behandeln. Denn die Magna Mater Austriae heißt ebenso auch Magna Hungarorum Domina (Großherrin der LIngarn) und Regina Gentium Slavorum (Königin der slawischen Völker).

ROT WIE DAS HERZBLUT DIESER VÖLKER flammen die Lichter über dem Hochaltar der Mariazeller Basilika am späten Abend, da wir noch einmal eintreten. Es ist ganz still in dem gewaltigen Räume, dessen Wölbungen sich nun im Halbdunkel verlieren. Die Turmuhr schlägt drei Viertel. Noch ein Viertel, dann vollendet sich die Stunde. Rot flammen die Lichter.

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