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Organist, Dirigent und Komponist: Anton Heiller

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Ein vielversprechender Künstler vom Typ des universalen Musikers.

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Ein vielversprechender Künstler vom Typ des universalen Musikers.

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Unter den kirchenmusikalischen Aufführungen- der letzten Konzertspielzeit' zeichnete sich eine Darbietung der Scbützschen Johannes-Passion besonders aus. Sie wurde von einem jungen Musiker geleitet, der im gleichen Konzert auch einige ältere Orgelwerke stilecht und wirkungsvoll zum Vortrag brachte. Der gleiche Künstler sang am darauffolgenden Tage bei einer Aufführung der Schützschen Matthäus-Passion die Partie des Christus und bot auch hier eine den Durchschnitt weit überragende Leistung. Dieser Typus des in allen Sätteln gerechten Musikers ist uns aus vergangenen Jahrhunderten wohl vertraut. Daß der Leiter einer fürstlichen oder erzbischöflichen Hofkapelle auch einen Chor dirigieren, die Orgel schlagen, am Cembalo begleiten und termingerecht eine Messe komponieren konnte, war eine Selbstverständlichkeit. Erst der letzten Generation blieb es — parallel mit der Entwicklung des Virtuosentums — vorbehalten, jenen Typus des Musikers zu erzeugen, der (es handelt sich um einen führenden zeitgenössischen Komponisten) voll Stolz erklärt, er spiele kein Instrument, und er bemühe sich auch nicht darum, da die allzu direkte Berührung mit der Praxis seine Intuition stören könne.

Etwa seit der Jugendmusikbewegung, besonders aber in unseren Tagen, beginnt sich der Typ des universalen Musikers wieder durchzusetzen. Der junge Wiener Anton Heiller steht hier als einer seiner markanten Vertreter für viele. Wir finden bei ihm die für den Vollblutmusiker so charakteristische Frühbegabung (Ausnahmen, und auf unserem Gebiet sehr gewichtige, bestätigen die Regel): Schon mit sechs Jahren beginnt er unter Anleitung des Vaters Klavier zu spielen, mit zehn Jahren empfängt er die erste theoretische Unterweisung beim Chordirektor der Dornbacher Pfarrkirche. Den ersten Kompositionsversuch — ein Tantum ergo für gemischten Chor — wagt er mit elf Jahren. Damals schon stand es für den jungen Heiller fest, daß er Musiker werden wolle. Zwei Jahre später widmet er sich intensivem Orgelstudium bei dem Domorganisten Wilhelm Mück. Gleichsam nebenher absolviert er das Gymnasium und belegt an der Staatsakademie die Hauptfächer Orgel, Cembalo, Klavier und Musiktheorie. Die in dieser Zeit entstandenen Kompositionen, die traditionelles Gepräge tragen, bezeichnet der Komponist heute als seine Jugendwerke: eine Toccata für Klavier, einige Klavierlieder, eine Messe sowie eine Reihe von Orgelkompositionen.

1940 gibt Anton Heiller seine ersten Orgelkonzerte in der Kalvarienbergkirche, bei den Piaristen, in Alt-Ottakring und — im Stephansdom. Die erste Praxis im Dirigieren erwirbt er sich bei den Proben der Singakademie und im Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde; gleichzeitig bildet er seine Baritonstimme weiter aus. Er wird als Chormeister an die Volksoper berufen und — muß wenige Monate später einrücken. Die zweieinhalbjährige Militärdienstzeit bedeutet in technischer Hinsicht einen Stillstand, ja Rückgang. Sie machen aber auch, im Widerspruch und Widerstand gegen das unerfreuliche Milieu, die schöpferischen Kräfte frei. Er beginnt sich selbst — und damit seinen eigenen Stil zu suchen. In den aus dem Jahre 1943 entstandenen Werken ist die Lösung von der Konvention und der Wille zu einem neuen Musikstil spürbar. Es entstehen: ein Ave Maria für Sopran, Violine und Viola. Klavierkompositionen, eine mixolydische Messe für Acapella-Chor und eine Orgelsonate. Seit Kriegsende fügen sich noch an: eine Bühnenmusik zu Manfred Hausmanns Legendenspiel "Marienkind“, ein Sextett für Streich-und Holzblasinstrumente, kleine geistliche Chöre und ein Requiem für dreistimmigen Chöre und ein Requiem für dreistimmigen

Seit einem Jahr ist Anton Heiller als Hauptfachlehrer für Orgel an der Abteilung für Kirchenmusik an der Staatsakademie und als Leiter eines Kammerchores des Collegium musicum tätig. Man hört den jungen Künstler in Konzerten und Radiosendungen als Organist, Cembalist, Klavierspieler. Chorleiter, Dirigent und Sänger. Seine Toccata für zwei Klaviere wurde mehrere Male mit großem Erfolg aufgeführt, eine Reihe neuerer Kompositionen •wird hoffentlich bald zu hören sein. Derzeit betrachtet der junge Künstler die Förderung wenig bekannter alter und neuester Musik als seine Hauptaufgabe. Innerhalb der neuen Musik sind es vor allem die Werke seines jungen Freundes Paul Angerer, für die sich Heiller unermüdlich einsetzt. Künftig gedenkt er sich vor allem der Orgel und der Komposition zu widmen.

Die bisher stärkste und eindrucksvollste Leistung bot Anton Heiller an einem eigenen Orgelabend im Großen Konzerthaussaal. Die Vortragsfolge, die von Bach über Reger bis zu den modernen Meistern Franz Schmidt und J. N. David führte, stellte an die virtuose Technik und die Reife der Auffassung gleich hohe Forderungen. Die Vollkommenheit einer Orgelinterpretation, das Gelingen eines Orgelabends kann danach bemessen werden, ob und inwieweit es dem Interpreten gelingt, die Starre des modernen Orgeltones zu überwinden und durch Plastik der Deklamation, richtige klangliche Charakterisierung und dynamischen Aufbau der ganzen Folge und des einzelnen Werkes beim Zuhörer kein Gefühl der Müdigkeit und des Abgestumpftwerdens aufkommen zu lassen. Von Heillers Orgelabend kann gesagt werden, daß man seinem Spiel vom ersten bis zum letzten Ton mit wachsendem Interesse folgte. Seine Technik ist erstaunlich, seine Musikalität sehr groß. Dieser schöne Erfolg möge dem jungen, heute 23jährigen Musiker Ansporn zu einem auf das Höchste gerichteten Streben sein.

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