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Osterreich und Polen

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In diesem frühen März 1960 fuhren der österreichische Außenminister Dr. Kreisky und Staatssekretär Prof. Gschnitzer zum offiziellen Besuch nach Warschau. Dieser Märzbesuch in Warschau ist der erste Staatsbesuch eines Außenministers eines nichtkommunistischen zentraleuropäischen Staates in Polens Hauptstadt.

Österreich und Polen! Wer Polen kennt, wird da zuerst an Wien und Krakau denken: an das alte patrizische und barocke Krakau, das so viele Züge trägt, die heute noch daran erinnern, daß diese ehrwürdige Stadt lange Zeit gemeinsam mit Wien in einem größeren Kreis der Kultur und Menschlichkeit beheimatet war. Die Sonnenuhr auf der Krakauer Marienkirche blickt uns im obenstehenden Bild entgegen, ernsten Gesichts, trägt die Umschrift: „Dies nostri quasi umbra super terram et nulla est mora.“ Das ist ein Wort, das ebensosehr gilt für ein im polnischen und österreichischen Volk tiefeingewurzeltes gemeinkatholisches Zeiterlebnis „Jedermanns“,wie es auch gilt für Schicksalsstunden beider Völker: „Unsere Tage sind wie ein Schatten, der über diese Erde geht, und es gibt kein sicheres Verweilen.“

Schwer fiel der Schatten der Geschichte über Österreich, im März vor zweiundz wanzig Jahren. Im Herbst des nächsten Jahres begann der große Schatten sich über Polen zu senken. Polen wurde im Blut ertränkt. Polens Intelligenz, die Blüte seiner Gebildeten, nicht zuletzt seines Klerus, wurde verschrotet im Feuerofen. Seine Städte gingen in Rauch auf. Die schöne Stadt Warschau, eine der schönsten Städte Europas, wurde zum Schutthaufen.

Dies eben jetzt festzuhalten, ist auch politisch eminent wichtig: es gibt keine politische und keine menschliche Beziehung zu Polen, ohne daß der Partner offen, rückhaltlos und sehr bewußt dieser Tatsache ins Gesicht sieht: Polen trägt die schweren Narben, unauslöschliche Narben der Schreckenszeit, die hinter uns allen liegt.Wer mit Polen reale, wirklichkeitsverpflichtete politische und andere Beziehungen anbahnen und dann pfleglich behandeln will, muß dies wissen, und in seinem Handeln und Verhandeln beherzigen.

Das Wissen um den großen Tod, um den bitteren Herbst und den furchtbaren Winter der Vergangenheit ist die ernste Voraussetzung für einen Frühling des Verstehens. Da ist es nun wirklich hoch an der Zeit, daß Wien sich auf Warschau besinnt. Es wäre ein falscher Histori-zismus, eine Flucht in die Vergangenheit, wollte man hier nur am Kahlenberg der Polen des Königs Sobieski von 1683 gedenken und nicht der Polen von 1960, die, wie nicht zuletzt ihre intellektuelle, künstlerische und geistige Produktion zeigt, in schwierigster politischer Preßlage ihre europäische Qualität eindrucksvoll und in großer Vielfalt bezeugen. Das neue österreichische Kulturinstitut in Warschau hat hier wichtige Funktionen zu erfüllen: Polen und Österreich haben sich bei vollem Wissen über die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Systeme im kulturellen Austausch mehr zu geben als hier und dort bisweilen gemutmaßt wird.

Kultur ist auch eine Politik: erstaunt, überrascht, hat die westliche Welt in den letzten Jahren die reiche, farbige, durchaus moderne und ihrem innersten Wesen nach freiheitliche Entfaltung einiger Künste in Polen wahrgenommen. So der Graphik, nicht zuletzt der Gebrauchsgraphik, die für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt ist. Polnische Malerei und Plastik, polnische Filmkunst und nicht suletzt das polnische Wort in der Dichtung zeigen, wie sehr Polens Geistigkeit und Kultur gerade heute in vielfältiger Kommunikation mit der geistigen und künstlerischen Produktion unserer Welt stehen. Polens wache Intelligenz kennt sehr gut das freie Denken der freien Welt und diskutiert freimütig ihre Fragen und Antworten. Wer aus Österreich nach Polen kommt, kann dort eine erstaunliche Vitalität des geistigen Lebens und einen inneren Atem der Freiheit kennenlernen.

Auf dem Programm des Staatsbesuches stand auch die Besprechung von handelspolitischen Fragen — von besonderer Bedeutung, da Polen ein wichtiges Absatzgebiet für österreichische Fertigwaren ist: standen ferner abschließende Gespräche wegen eines Rechtshilfevertrages zwischen Österreich und Polen. Der Vortrag des österreichischen Außenministers in Warschau über „Einige Gedanken über die Voraussetzungen der friedlichen Koexistenz“ macht nicht zuletzt darauf aufmerksam, daß Warschau und Wien, das polnische und das österreichische Volk, beide in einer Zone der Zerrungen gelegen, ein vitales Interesse an einer globalen Abrüstung, an einem wirklichen Wachsen des Friedens nicht zuletzt in Europa haben.

Wien und Warschau stehen da heute als Symbole in der internationalen Diskussion. Es ist kein Zufall, daß man die überzeugten Vertreter einer bewußt österreichischen und einer bewußt polnischen Politik seit den Tagen, in denen Polens Außenminister Rapacki erstmals seine Pläne zur Entspannung in Zentraleuropa vorlegte, und seit den Tagen, in denen ernsthaft eine Neutralität Österreichs auf dem internationalen Forum zur Debatte kam, vielfach befehdete. Männer, die nur in Blöcken denken, können allerdings weder Österreichs noch Polens Funktion in einer Welt im Wandel verstehen. Schlimmer ist es, wenn andere, die es besser wissen sollten, dies nicht verstehen wollen. Hoffen wir und arbeiten wir daran, in der österreichischen Öffentlichkeit das Bewußtsein wachzurufen: Warschau ist die erste rhance Österreichs, seine alte Verpflichtung, Tor in den Osten zu sein, wieder inhaltlich und nicht nur mit Sonntagsreden wahrzunehmen.

In diesem Sinne richten sich unsere Blicke in diesem März von der Donau an die Weichsel.

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