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Osterreichische Frauen im Wiederaufbau

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Wiederaufbau ist schwerste Aufgabe, schwerer als Neubau. Nichts illustriert diese Leistung besser als die gegenwärtige Ausstellung: „Wien baut auf“. Was ein Wiederaufbau an Energie und zähem Wollen, an unermüdlichem Dahinterstehen und nie verzagendem Optimismus verlangt, das ist freilich durch keine Statistik nachweisbar.

Die Wiener Plakate für diese Ausstellung zeigen einen Mann, der mühsam einen schweren Balken hebt. Aber nicht nur Männer bauen auf. Auch Frauen. Es gibt dazu Beispiele auf allen Gebieten, in allen Abarten. Nur einige mir zugängliche seien hier herausgegriffen.

Ein vorbildliches Spital in der Hauptstadt eines Bundeslandes war von einem benachbarten Bombentreffer sehr übel mitgenommen worden. Die Kinderabteilung war vernichtet, schwerster Schaden im ganzen Haus zu bemerken. Eine junge geistliche Prokuratorin macht sich schon im Herbst 1945 an den Wiederaufbau. Es gelingt ihr mit schwerer Mühe, Material und Handwerker aufzutreiben. Sie baut auf mit einem Elan und einer Organisationskraft, „daß es einem den Hut heb t“, wie die einheimische Baukommission drastisch anerkennend sagt. Im Sommer 1946 schon ist das Spital, besonders aber seine Kinderabteilung, in vollem Betrieb.

Das große Schulhaus der Ursulinen i n Graz wurde 1940 staatliche Oberschule mit Schülerheim, war dann Lager für Auslanddeutsche, in der Folge Reservelazarett, 1945 Lazarett für Besatzungstruppen, Lager für Verschleppte und Kriegsgefangene. Das Endergebnis: es fehlen: 1500 Quadratmeter Glas, 300 Türen, von 54 Klosettmuscheln blieben 6 brauchbar, von 1438 Sesseln blieben ,3, von 120 Eisenbetten nur eines, von 100 Nachtkästchen 3, von 250 Kasten 40 beschädigte. Die elektrische Leitung ist zerstört, die Drähte ausgezogen, nicht eine Glühbirne ist vorhanden. Apotheke, Lehrmittelsammlung, zahnärztliches Institut, Waschhaus: nichts mehr zu finden. Im Frühjahr 1946 übernehmen einige Klosterfrauen die Riesenruine mit den total verschmutzten Räumen. Das Vergasen allein kostet ein kleines Vermögen. Heute haben sie die Hälfte des großen Vierkanters bereits in nette Schul- und Pensionsräume für 100 Zöglinge umgestaltet, im Speisesaal stehen Blumen auf weißgedeckten Tischen, in den Schlafzimmern reihen sich die sauberen Betten, und in der Kapelle betet und singt man wieder.

Das Provinzialhaus der Schwestern vom Guten Hirten in Graz mußte 1939 der NSV übergeben werden. Es verlor beispielsweise: 60 Stück Eisenbetten, 230 Matratzen, 690 Wolldecken, 280 Steppdecken, komplette Bettwäsche für 300 Personen mit zweimaligem Wechsel, 57 Nähmaschinen, Tischgeschirr für 100 Personen, 90 Schweine, 14 Rinder, 150 Hühner. Im' Sommer 1945 bezogen die Klosterfrauen wieder das gebombte und geplünderte Haus.

Heute bieten sie wieder 200 Fürsorgezöglingen, jungen, auf die schiefe Bahn gekommenen Mädchen, die Möglichkeit zu fraulidier Arbeit und hauswirtschaftlicher Schulung.

Schule und Internat der Kreuzschwestern in Laxenburg waren vor 1938 neu und modernst eingerichtet: eine vorbildliche Schulküche, ein Mädcheninternat, Schlafräume und Wohnräume mit hellen Möbeln, Vorhängen, Bettdecken, Wandmalerei in zarten Pastelltönen, trauliche, künstlerische Kamine; Duschen und Baderäume, ein Saal mit Haarwasch- und Föhnapparaten. 1945 verzeichnen die Schwestern folgende Verluste: 3 Klassen komplette Schuleinrichtungen, 70 komplette Betten, 100 Stockerl, 70 Nachtkästchen, 140 Sessel, 200 Eßbestecke, Tischgeschirr für 200 Personen, 2 Kühlschränke, eine komplette Zahnarzteinrichtung usw. Mit Herbst 1947 lebt die hauswirtschaftliche Schule der Schwestern wieder auf, schon sind die Räume sauber und einladend, wenn auch nicht mehr so wohlhabend wie vor zehn Jahren.

Diese Aufzählung könnte sei. tenweise fortgesetzt werden. Ob es nun das vor 1938 neu erbaute Schulhaus der Schulschwestern in H a 11 e i n betrifft oder die gewerbliche Fachschule der Kreuzschwestern in B r u ck, ob es sich um das Schulschlößchen der Dominikanerinnen in Bregenz handelt oder um das große, den Fürsorgekindern der Stadt Wien gewidmete Haus der Borromäerinnen in Bieder, mannsdorf; jedes Haus wurde als mustergültige Lehranstalt im österreichischen Unglücksjahr 1938 von den Nationalsozialisten in Besitz genommen und 1945 oder 1946 nach wechselvollem Schidusal verschmutzt, geplündert und vielfach baufällig den Ordensfrauen zurückgegeben. Und jede dieser Gemeinschaften geistlicher Frauen — obwohl größtenteils nur auf sich gestellt und ohne durchsetzende „Beziehungen“ — führt heute wieder ihre Schule in einem reinen Haus mit freundlichen Lehrsälen und anheimelnden Internatsräumen.

Doch muß es gesagt werden: die Frauen weltlichen Standes stehen ihnen in selbstloser Aufbauarbeit keineswegs nach. Denn wer müßte zum Beispiel den Verein der christlichen Hausgehilfinnen nicht bewundern, der im Sommer dieses Jahres wieder die in harter Arbeit verdienten Sparschillinge seiner Mitglieder aufrief, um die große Generalreparatur seines vor 1938 aus freiwilligen Mitgliedsbeiträgen erworbenen Besitzes in der Hinterbrühl in Angriff nehmen zu können? Das Haus war nicht betretbar; in harter Arbeit und mit Überwindung eines verständlichen Ekels vor einer Verschmutzung ohnegleichen drangen die Frauen langsam in die einzelnen Räume vor und machten sie urbar. Und das in dem Tempo arbeitsgewohnter Hände, so daß Kursräume und Erholungsheim schon in diesem Herbst benutzbar werden.

Die Höhere Bundeslehranstalt fürhauswirtschaftlicheFrauen-berufe, aus der bekannten Heß-Schule hervorgegangen, war 1945 obdachlos. Sie hatte durch Bomben und Brände fast ihr ganzes, einst so reiches Hab und Gut verloren. Es gehörte viel Optimismus dazu, an den Wiederaufstieg der Schule zu glauben. 1946 bezog die Anstalt das Besitztum des Landeserziehungsheimes Grinzing, das sich in denkbar verwahrlostem Zustand befand: meterhohes Unkraut im Garten, meterhohe Haufen Unrat in den Räumen, zentimeterdicker Schmutz an den Wänden der Schulbaracken. Lehrerinnen und Schülerinnen scheuerten, jäteten, putzten in gleichem Eifer. 1947 filmten die Amerikaner das Leben und Treiben in dieser musterhaft geführten Anstalt.

Die Schwesteranstalt, die Höhere Bundeslehranstalt für gewerbliche Frauenberufe, vor 1938 als „M ollardschule“ bekannt, hatte ein ähnliches Schicksal. Gebombt, geplündert, bestohlen, stand sie ohne Heim zu Schulanfang 1945 da. Durch gütiges Entgegenkommen gewann sie Räume ip der schönen Komensky-Schule in der Herbststraße, hat heute ihren Nähmaschinenpark erstaunlich ergänzt, ihre zerschlagenen Möbel repariert und fast aus Nichts ein bescheidenes Internat für ihre Schülerinnen aus allen Bundesländern geschaffen.

Die schwergebombte Bundeslehranstalt für Frauenberufe in Klagenfurt wurde durch die Energie von Frauen wiederaufgebaut und ist heute praktischer eingerichtet denn je. Die gleiche Anstalt in V i 11 a c h verdankt einer jungen Wienerin — trotz Raumbeschränkung und Armut auf allen Seiten — ein Aufblühen, wie es nicht einmal die Jahre vor 1938 kannten. Frauen sind es hauptsächlich, die in Krems und Linz neue Musteranstalten für Frauenberufe mit Internaten einrichten, in dieser Zeit, da die Beschaffung eines Nagels ein Problem geworden ist. Und wenn die schöne städtische Frauenschule in Ischl heute schon einen österreichisdien Ruf hat, so verdankt sie dies der bewahrenden und aufbauenden Klugheit einer Frau.

Man könnte sicher ein Buch mit der Aufbauarbeit der Frauen füllen. Jeder Betrieb, von Frauen geführt, jedes Büro, von Frauen neu eingerichtet und organisiert, jeder Laden, von Frauen eröffnet, fast jede Mädchenschule böte ein solches Beispiel. Ja sogar jeder Haushalt, der nach Bombardierung oder Plünderung wieder „von vorne anfangen“ mußte und heute wieder home and castl;, Heim und Burg ist, ist die eminente Arbeitsleistung einer Frau.

All d'ese Leistungen könnten ziffernmäßig erfaßt werden. Es ist Aufbau nach außen. Es gibt aber auch einen Aufbau nach innen, einen Wiederaufbau des Vertrauens von Mensch zu Mensch, einen Wiederaufbau des Mutes und der zuversichtlichen Hoffnung, des Erbarmens und der Hilfe. Was Frauen auf diesem ihnen ureigensten Gebiete leisteten, was sie an Herzensstärke und suggestivem Glauben an das Gute ausstrahlten, das ist nicht feststellbar, ist aber doch wertvollster Frauenanteil am Wiederaufbau.

Es ist nun sicher interessant und aufschlußreich für alle Aufbauarbeit, die charakteristischen Merkmale dieser erstaunlich erfolgreichen Frauenarbeit herauszustellen. Eines soll im vorhinein gesagt werden: Frauen haben es — wie auf den meisten Arbeitsgebieten — auch hier viel schwerer. Von Seiten der überlasteten Behörden möchte man gerade sie immer wieder gerne abschieben; von Seiten der Bau- und Handwerksleute wird die Frau als unverständig gewertet und in Material und Arbeitsstunden gerne ein wenig hochgenommen; nicht immer gewinnt sie einen tüchtigen und männlichen Schrittmacher, der sich willig vor die größten Hindernisse einspannen läßt'*

Aber das sind die allgemeinen Kennzeichen der Frauenarbeit: Frauen halten nicht lange Sitzungen mit Protokollen für ihre Aufbauarbeit; sie haben nicht Zeit, viel herumzureden, Not und Arbeit drängen zur Tat. Sie entwerfen wohl einen skizzenhaften Arbeitsplan mit allen wesentlichen Punkten, vorher durchgegrübelt in manch schlafloser Nacht. Dann gehen sie — vielleicht ein wenig autokratisch — an die Arbeit, aber lassen sich nicht von Leuten in ihr Konzept reden, die davon nichts verstehen.

Frauen gehen auf das Wesentliche los. Sie sichern zunächst sich und den Ihren den notwendigen Lebensraum, die kleine, reine Schlafstelle, die Herdstelle. Dann gehen sie an die schrittweise Eroberung und Wiederinstandsetzung des Hauses, der Schule, immer wieder die wichtigsten Räume zuerst sichernd. Dabei haben sie einen Optimismus auf lange Sicht, Freude an jedem kleinsten Erfolg und Fortschritt, und Geduld zur ungesehenen und undankbaren Arbeit.

Die unerhörte Not und Drangsal ruft-alle heimbildenden Kräfte der Frau auf: ihre Anpassungsfähigkeit, ihre praktische Intelligenz, ihre Kombinationsfähigkeit, ihre Erfindungsgabe, all ihr geschäftig-frohes Walten. Unter ihren Händen erwachsen trotz äußerster Armut wieder richtige-Heime mit einer neuen einfachen Gemütlichkeit. So zeigen die nach häßlicher Verwüstung wieder instandgesetzten Schul- und Internatsräume der Ursulinen in Linz eine ans Herz greifende Heimlichkeit. In jedem Raum das eine oder andere gute Bild, manchmal nur ein feiner Kunstdruck aus einer alten Zeitschrift in einfadistem Rahmen. Blumen blühen in jedem Zimmer, helle Jungmäd-chenvorhänge umrahmen die großen, auf

Garten und Kirchturm blickenden Fenster.

Wo immer Frauenarbeit so großen Erfolg hat, da gibt es trotz aller strikten einheitlichen Leistung kein Sichausnehmen bei harter Arbeit. Auch wenn die Klosterfrau doctor phil. ist, schleppt sie mit den andern die verrußten Möbelreste vom Dachboden, und in den weltlichen Anstalten putzt die Fachvorsteherin und doctor rer. pol. mit demselben Eifer Klosettanlagen wie die jüngste Schülerin. Die junge Leiterin „schultert“ so hingebungsvoll wie ihr Schuldiener Tische und Bänke, und damit wird jedes Drücken von der harten, schmutzigen Arbeit eine blamable Sache.

Alle Arbeit geschieht zumeist aus ganz selbstlosen Motiven. Frauen arbeiten für ihre Schule, ihren Orden, ihre Kanzlei, ihre Schülerinnen, für ihre Familie. Immer mühen sie sich im Dienste einer Gemeinschaft, von der sie wohl wissen, daß sie sie eines Tages ohne großen Dank zur Seite stellen und durch eine jüngere Kraft ersetzen wird. Aber fast alle leben aus einer großen Idee, für die sie sich verschwenden: die einen leben für das Wieder-in-die-Höhe-Kommen ihrer Familie, die andern wissen um die Hunderte von Mädchen, die ohne Unterricht gefährdet und der Straße überantwortet sind. Viele treibt das tiefe Erbarmen mit all dem Menschenelend von heute. Die Glücklichsten aber blicken über Zeit und Diesseits hinweg auf letzte und ewige Ziele.

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