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Osterreichs Flagge in Brasilien

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Als ich meinen Landsmann an den Flughafen brachte, führte ich ihn auf die Terrasse. Die „Panair do Brasil“, die ihn nach Hause bringen sollte, war noch nicht da. Die Wolkenkratzer am Horizont, von der Abendsonne vergoldet, der Riesenbetrieb um und über uns — die Linie Rio de Janeiro—Säo Paulo ist stärker beflogen als London—Paris —, mein Besuch war sichtlich benommen. Zwei Tage hatte er für die Sehenswürdigkeit der Stadt und einen vollen Tag für die Internationale Messe aufgewandt. Es hat aber genügt, um den Mann, der viele Länder gesehen hat, zu dem Ausruf zu zwingen: „Jetzt weiß ich, wer die künftige Großmacht ist!“

Ich übersetzte ihm rasch noch den Abschnitt eines Artikels, den eine Zeitung in Rio de Janeiro über die österreichische Abteilung auf der Internationalen Messe schrieb: „Der österreichische Pavillon fasziniert auf den ersten Blick. Hier herrscht nicht die kühle Atmosphäre des Stahls (ein Hinweis auf die deutsche Ausstellung .Schönheit in Stahl';)- Der Architekt Prof. Hermann Fritsch aus Wien hat mit bewundernswerter Geschicklichkeit auf kleinem Raum die Größe der unsterblichen Vindobona und der Austria felix mit Aquarellen (Ender und Eli Rolf), Gobelins (Prof. Paris Gütersloh, Wien), Glasfenstern, Plastiken (Nixe von Doktor Erwin Pieler), Augarten-Porzellan, Photos der prächtigen Landschaften und Städte, kurz, das Gestern und Heute dieses Volkes, das wir lieben, glücklich eingefangen.“

Den letzten Satz habe ich meinem Landsmann zweimal verlesen. „Sagen Sie's den Oesterreichern drüben I“ Lange noch habe ich der „Constellation“ nachgeschaut. - So langsam entdecken die Europäer den VI. Kontinent, dachte ich. Dann sah ich die Lichter von Säo Paulo durch die Dunkelheit blitzen. 2,5 Millionen Menschen wohnen heute unter seinen Dächern. 1890 waren es knapp 70.000. *

Vergessen wir nicht, Brasiliens Geschichte begann vor 400 Jahren, als ein Jesuitenmissionär die ersten Kerzen zum heiligen Meßopfer anzündete, umringt von den kriegerischen Indios. Es war der Tag. da die Kirche die Bekehrung des Völkerapostels Paulus feiert, der 25. Jänner 1554. Von San Vicente, dem heutigen Santos, waren die Missionäre auf steilen Pfaden in das Hochland heraufgestiegen: Jos£ de Anchieta, Manoel de Pavia und noch zehn Mitbrüder. Der Obere der brasilianischen Jesuiten, die von Ignatius von Loyola selbst nach Brasilien geschickt worden waren, Manoel da Nobrega, hatte sie beauftragt, eine Ortschaft und ein Kolleg zu gründen. „Sie durchquerten den Urwald“, lesen wir in der Chronik, „um sich auf einer Ebene im Campos von Piratininga nieder-zulassen, wo sie schon von den Indianerhäuptlingen Cai-Uby und Tebiricä mit ihren Stämmen erwartet wurden ...“ Weiter heißt es: „Die Indianer hatten eine Hütte aus Lehm gebaut und sie mit Stroh bedeckt. In dieser quartierten sich die Missionäre ein. Mit dieser Hütte gründeten die Väter die Stadt Säo Paulo.

Nobrega wurde so der Gründer Säo Paulos, des damaligen Piratininga. Von allen brasilianischen Herzen, gleichviel welchen Kredos, heiliggesprochen, ragt er heute neben dem Apostel Brasiliens, Jose de Anchieta, als eine der größten historischen Gestalten des Landes hervor.

Während schon die Konquistadoren ihre Netze nach den Bewohnern auswarfen, um für ihre Fazendas Sklaven zu haben, errichteten die Gottesstreiter in der Wildnis die Bollwerke des Kreuzes. Sie bauen Kirchen und Schulen, pflanzen die ersten Gemüse und Obst, Rosen und Lilien, brennen Ziegel, sind Schreiner, Botaniker, Geographen. Antonio Rodrigues lehrt die kleinen Indios Flöten schnitzen und spielen, Mateus Nogueira schmiedet Angehaken, die kein Fisch zerbrach. P. Vicente war Soldat, ihm wird die Errichtung eines Kastells mit Palisaden anvertraut, als feindliche Indianer die Siedlung überfallen.

Das kleine Piratininga war oft in Gefahr, wieder zu verschwinden. Wie viele Städte in Brasilien liegen verschollen! Der Urwald verschlingt sie. Vom Meere her erhielt die Stadt ständige Impulse bis auf den heutigen Tag. Die Paulistaner bildeten auf der Suche nach Arbeitskräften Horden, Bandeiras, und unternahmen kühne Züge in das Innere; die Mamelucken, die Söhne des Portugiesen und der Indianerin, zeichneten sich als die besten Sklavenjäger' aus. Schrecken bemächtigte sich der Indios. Vergebens erhoben die Jesuiten Einspruch; für ihre Parteinahme wurden sie wiederholt des Landes verwiesen. Die Fidalgos ließen von dem Indio erst ab, als sie sahen, daß er schwerer Arbeit nicht gewachsen war. Das war der Grund, daß der Neger aus Afrika importiert wurde. (Für einen Afrikaner mußten vier Indios bezahlt werden.) In allen Jahrhunderten erwies es sich: Wo gearbeitet und produziert wurde, in den Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen, in den Gold-und Diamantenfeldern, überall stand der Schwarze. Und so ist es heute noch. Die Paulistaner verdanken ihm mehr als das große • Denkmal im Park Ibirapuera, das eine Huldigung für drei Rassen ausdrückt.

Von Säo Paulo strahlte in unzähligen Radien während dreier Jahrhunderte die Kolonisierung aus. Die portugiesischen Bandeiranten folgten dem Lauf der Flüsse und den alten Pfaden der Indianer, Diamanten- und Goldsucher wurden Städtegründer. Kein Strom ist ihnen zu breit, keine Wildnis zu gefährlich; die Anden-Mauer endlich gebietet Halt, Staunenswerte Leistungen sind diese Züge, eine Fundgrube für Filmdichter. Da ist Bartolomeu Bueno, dem gelang, was andere Bandeiranten vergebens aufzuspüren suchten: die von den Indianern verschwiegenen Plätze der Goldminen. Er füllte ein Gefäß mit Alkohol und zündete es vor den Augen der erschreckten Indios an. So werde er ihre Flüsse in Brand stecken, wenn sie ihm nicht das Geheimnis enthüllten.

Erst das 19. Jahrhundert gibt den Weißen durch die Einwanderung deutscher, italienischer und polnischer Bauern die Herrschaft über das grenzenlose Land, im Gegensatz zu andern lateinamerikanischen Staaten, wo das farbige Element sein Schicksal wieder in die Hand genommen hat. Hier müßte ein Kapitel über die Leistungen der Ausländer folgen, denen der Jubilar vom Glanz der Vi er Jahrhundertfeier ein den Schriftsteller unserer Zeit“ gestellt hat, ist nachweislich eine Falschmeldung. Erschütternd ist vielmehr der Dilettantismus, mit dem hier ein sicher farbiges, abenteuerliches und an sozialen Problemen überreiche Milieu (die phantastische, durch derbe Prügeleien garnierte Handlung spielt in Ekuador) dargestellt, vielmehr verkitscht wird. Wieviel von den sprachlichen Unzulänglichkeiten und Härten auf Rechnung de Uebersetzers geht, kann der Rezensent nicht beurteilen.

Kalendergeschichten. Von Bertolt Brecht. Rowohlt-Verlag (Ro-ro-ro-Taschenausgabe), , 142 Seiten. Prei 1.90 DM.

Alte und Neues, Weizen und Spreu, trefflich Formuliertes und beleidigend Nachlässige ist in dem schmalen Band vereinigt. Mit Ausnahme der „Geschichten vom Herrn Keuner“, dem Denkenden, ist Mlej linientreu, vom „Gleichnis des Buddha“ bis zw den „Teppichwebern von Kujan-Bulak“, die Lenin ehren. Und trotzdem: was für ein Schriftsteller, was für ein Dichterl Der alte Bertolt Brecht schlägt Feuer auch ans taubem Gestein.

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