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Pandämonium der Technik

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Die Diskussion über Wesen und Bedeutung der modernen Technik (vgl. „Furche” Nr. 41/1948 und Nr. 47/1948) wird hiemit fortgesetzt durch ein Referat über ein neues Werk Georg Jüngers, des Bruders Ernst Jüngers, das seit seinem Erscheinen in Deutschland im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen und Kontroversen steht.

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Die Diskussion über Wesen und Bedeutung der modernen Technik (vgl. „Furche” Nr. 41/1948 und Nr. 47/1948) wird hiemit fortgesetzt durch ein Referat über ein neues Werk Georg Jüngers, des Bruders Ernst Jüngers, das seit seinem Erscheinen in Deutschland im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen und Kontroversen steht.

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Der Krieg hat die Stimmen derer, die vor den Folgen der immer noch wachsenden Technisierung der Welt warnen, vermehrt und die utopischen Hoffnungen auf ein Zeitalter, in der die Maschine Reichtum und Fülle liefert, vermindert. Nicht die lauteste, wohl aber eine sehr eindringliche Stimme aus dem Chorus der Warnenden vernehmen wir in Friedrich Georg Jüngers Buch „D ie Perfektion der Technik” (Klostermann-Verlag in Frankfurt a. M., 1946).

Jüngers Ausführungen beginnen mit der grundlegenden Definition der Technik als Rationalisierung der Arbeitsverfahren. Rationalisierung aber ist ein Merkmal der Armut. Daher bezweckt die Technik nicht Reichtum, sondern die Verteilung der Armut. Als Mangelorganisation erzeugt und vermehrt sie nicht, sie baut nur den vorhandenen Reichtum ab. Je rationaler sie ist, um so schneller und besser erfüllt sie diese Aufgabe. Da die Technik den Raubbau voraussetzt, kann sie nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden, denn radikalen Verbrauch kann man nicht Wirtschaft nennen. Der Wirtschaftler ist an der Rentabilität interessiert, aber der Techniker ruiniert auch rentable Betriebe, wenn sie seinen Forderungen nach technischer Rationalisierung nicht nachkommen.

Das Machtstreben der Technik ordnet sich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unter. Die Organisation des Staates wird durch eine technische Organisation, die Bürokratie, ersetzt, die nicht vermehrt, sondern nur verwaltet; denn greift der Techniker in das Recht ein, so wird zum Beispiel das Enteignungsrecht auf sein Drängen hin ausgedehnt. Die Wissenschaften gelten dem Techniker als Hilfsdisziplinen, wie auch die Universität mehr und mehr zum Technikum wird. Die Ärzte werden in Organ’sa- tionen eingespannt,’ deren Interessen den Kranken oft diametral entgegenstehen. Das Geld wird unter dem Gesichtspunkt des Umlaufes betrachtet; je schneller dieser erfolgt, um so besser entspricht er dem dynamischen Denken der Technik. Das Nahrungsmittel verfällt als gleichförmiger Markenartikel der technischen Organisation. Der Rationalismus der Technik rechnet mit Vorliebe Ernährungstabellen und Minimalportionen aus: je perfektionierter die Technik wird, um so größer die Ernährungsschwierigkeiten …

Ein besonders charakteristisches Kennzeichen der Perfektion der Technik ist der Automatismus. Das Leben wird von Automaten verschiedenster Arten durchsetzt, etwas Anorganisches dringt ein. Die Zeit des Technikers ist tot und starr, sie wird „eingeteilt”, sie wird Immer knapper. Die Zeitmeßverfahren dienen der Zeitorganisation, der Rationalisierung der Zeit. Auch der Mensch gehört zu den Beständen, die dem technischen Konsum unterworfen werden. Gerade durch die Methoden, mit denen sich der Arbeiter dieser Ausbeutung zu entziehen sucht — durch Assoziation oder Bildung von Gewerkschaften — verbindet er sich -immer unlösbarer dem technischen Fortschritt, der ihn mechanischer Arbeit und Organisation unterwirft. Jeder, der Gas, Licht, Wasser verbraucht, wird damit zwangsläufig in den technischen Organismus „eingeschaltet”. Wie ein Maschinenteil ist der Arbeiter auch nun auswechselbar, ersetzbar und transportabel; als Person unkenntlich, ist er nur noch als Funktion wahrnehmbar. Der Mensch wird selbst vom Automatismus erfaßt: „Unter den Lebenden wandeln viele Masken und Larven umher und es ist kein Mangel an jenen lemu- renhaften Wesen, die eine vorgetäuschte Lebendigkeit besitzen und als mechanische Kreaturen bezeichnet werden können.”

Diese Mechanisierung des Lebens aber ruft — unvorhergesehen — zugleich eine Elementarisierung hervor. Die vergewaltigte Natur rächt sich, der überheizte Kessel droht zu platzen. Die Kräfte der Zerstörung, durch den Mechanismus heraufbeschworen, wenden sich gegen ihn, die Dämonen der Maschinerie, mit denen man nicht gerechnet hat, werden plötzlich mächtig. Existenzangst, Katastrophenfurcht und Depression befallen den Menschen.

Niemals kann daher die Technik als „Ordnungsvorgang” wirksam sein, da sie, nach einem Worte Platos, ohne Einsicht ist in das, was von ihr angewendet wird. Es fehlt ihr an den leitenden Köpfen, welche die Entwicklung, die durch Mechanisierung und Organisation hervorgerufen wird, zu überschauen vermögen. Sie erlangt weder „Reife”, noch „Rang”, denn sie erschöpft sich in einer mechanischen und daher qualitätslosen Gesetzlichkeit. Und schließlich: die Technik kann zwar das Menschliche verwüsten, niemals aber den Menschen ganz unterjochen. „In einer Welt, die von Apparatur und Organisation weithin beherrscht wird, hat das Glück keinen Einschlupf mehr; ein solcher Zustand ist für den Menschen unerträglich”. Liebe, Gnade, Glück und Trost, deren er immer bedarf, kann ihm von der Technik nicht gegeben werden und das Kino, in dem ihm der Trost vorgespiegelt wird, ist nur ein Surrogat, dessen der Mensch vielleicht bald überdrüssig sein wird.

Damit freilich enden die Schlußfolgerungen des Buches. Die Frage nach „Hilfsmitteln gegen die Technik” wird offen gelassen. Es besteht zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die Technik, die etwas „Ephemeres” besitzt, schließlich unter der Schwere ihres eigenen Gewichts zusammenbrechen wird, sehr wahrscheinlich unter dem katastrophalen Jubel des Elementaren, das sie befreit hat. Vom Menschen ist zu fordern, daß er unablässig wachsam sei. „E s gibt hier kein Zurück, es gibt nur ein Hindurch.”

Eine Diagnose ist noch keine Therapie, aber sie ist die Voraussetzung für sie, und deshalb wird man die „Perfektion der Technik” dankbar lesen, auch wenn man mit gewissen ideologischen oder mythisierenden Anschauungen des Autors nicht einverstanden ist. Sie nehmen in mehr als einer Hinsicht eine Korrektur des Buches „Arbeiter” vor, jenes Buches, in dem Ernst Jünger, der Bruder, vor etwa fünfzehn Jahren den Grundriß einer vollkommen technisierten und durchorganisierten Welt geliefert hatte. Dort wurde die Technik, nicht ohne daß eine gewisse grausame Lust am Beobachter zu spüren war, durchaus als Ordnungsvorgang bezeichnet und die „Tugend des Ameisenstaates” als nicht gering gerühmt. Der Mensch trat zurück in die Bewußtseinslosigkeit des Funktionellen, des automatisch Handelnden, hinter die starre Maske der mythischen Figur des Arbeiters. Man weiß, daß sich dieser Standpunkt allmählich gewandelt hat. In dem berühmten Essay „Über den Schmerz” ist bereits ein leichtes Schaudern nicht zu verkennen: es findet sich daher dort der Versuch, die Technisierung zu transzendieren, sie als Ordnungsvorgang zu begreifen, deren höherer Sinn und Zweck nur noch nicht erkenntlich sei. In den „Marmorklippen” findet man, wenn wir deren Chiffern richtig entziffern, die Betonung der Wichtigkeit des Bewußtseins, hier wird aüfgezeigt, daß nur dort, wo der Mensch nicht als Funktion begriffen wird, eine Ordnung und Hierarchie der Werte überhaupt möglich ist. Die „Perfektion der Technik” — es sei eingefügt, daß die Brüder in engem Kontakt arbeiten — scheint die endgültige, mit allen Konsequenzen des Jüngerschen Denkens durchgeführte Abkehr vom Mythos der Technik darzustellen. Sie setzt den Menschen wieder in seine Rechte ein. Hier tritt auch die Empfindung des Schreibenden klar hervor: es ist unleugbar die Angst vor der Bedrohung des Menschen durch „sehr starke, sehr böse Dämonen”.

Niemand wird den beiden Brüdern, die zweifellos zu den bedeutendsten und klarsten Köpfen Deutschlands zählen, darum Unsicherheit und Inkonsequenz vorwerfen wollen. Besser versteht man diese allmähliche, logisch fortschreitende Veränderung der Wertung als Warnung vor flachem Optimismus, vor Illusionen gegenüber dem Pandämonium der Technik,, in das wir eingekesselt sind.

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