7100424-1995_09_17.jpg
Digital In Arbeit

Passion bei den Schotten

19451960198020002020

Bis zum Ostersonntag sind nun die Passionsszenen des spätgotischen Flügelaltars des „Schottenmeisters” in Wien zu bewundern.

19451960198020002020

Bis zum Ostersonntag sind nun die Passionsszenen des spätgotischen Flügelaltars des „Schottenmeisters” in Wien zu bewundern.

Werbung
Werbung
Werbung

Der spätgotische Flügelaltar des Wiener Schottenmeisters (1496-1480), ehemals Hochaltar der gotischen Stiftskirche, ist Höhepunkt der seit November 1994 neu präsentierten Kunstsammlungen des Wiener Schottenstiftes. Die erhaltenen einundzwanzig Tafeln mit Passionsszenen und Szenen aus dem Marienleben zählen zu den bedeutendsten Werken spätgotischer Malerei in Österreich. Acht Passionsszenen bilden die Werktagsseite und die ursprünglich sechzehn Szenen aus dem Marienleben waren an Sonntagen die Schauseite des Altars, der in den sechziger Jahren rekonstruiert wurde. Ursprünglich existierte noch ein plastischer Schrein -wahrscheinlich eine Marienkrönung -, der lediglich an Festtagen zu sehen war.

Nach der bisherigen Präsentation der Szenen des Marienlebens sind nun der Jahresliturgie der Fastenzeit entsprechend erstmals wieder die Passionsszenen im Original zu besichtigen. Den Beginn der Entstehung dieser die gesamte spätgotische

Malerei in Österreich beeinflussenden Bilder markiert die Jahreszahl 1469, die über dem Stadttor auf der ersten Tafel mit dem Einzug Christi in Jerusalem steht. Die folgenden Tafeln stellen das Letzte Abendmahl, Christus vor Kaiphas, Ecce homo, Christus vor Pilatus, Kreuz-tragung, Kreuzigung und die Beweinung Christi dar.

Der Einfluß der altniederländischen Malerei manifestiert sich am stärksten in der Szene des Abendmahles, die die Komposition der erst 1467 entstandenen Abendmahlszene des Dirk Bouts (1420-1475) vom Sakramentsaltar in der Löwener Peterskirche aufgreift. Wie in den Szenen des Marienlebens suchte der „Schottenmeister”, der in der Literatur bisher mit keiner erfaßbaren Künstlerpersönlichkeit überzeugend in Verbindung gebracht werden konnte, das biblische Geschehen durch eine eindringliche Schilderung der Handlung und durch ungewohnte Realismen zu aktualisieren.

So spielen mehrere Szenen in der hügeligen niederösterreichischen Landschaft, im Hintergrund der Kreuztragung ist die Stadt Krems erkennbar. Die Bezugnahme auf die Wirklichkeit erscheint hier aller-

dings weniger konkret als in der Wien-Ansicht auf der Tafel mit der Darstellung der Flucht nach Ägypten.

Wie sehr der „Schottenmeister” richtungweisend auch in einzelnen Details vom unmittelbaren Naturbild ausging, zeigt seine Gestaltung der Pflanzenwelt, die ihn als einen wichtigen Vorläufer des großen Aufbruchs des naturwissenschaftlichen Interesses im Zeitalter Albrecht Dürers erweist.

Risse und fehlende Farben

Daß die Restaurierungsarbeiten des Schottenaltars bereits dreißig Jahre zurückliegen, ist für den heutigen Besucher kaum zu glauben. Im Sommer 1966 bot die Ausstellung über Kaiser Friedrich II. und seine Kaiserresidenz in Wiener Neustadt Gelegenheit für eine erstmalige Rekonstruktion aufgrund einer erst 1968 durch die Werkstätten des Bundes-denkmalamtes abgeschlossenen umfassenden Untersuchung und Restaurierung. Damals zeigten die Passionstafeln das stärkste Rißbild, außerdem fanden sich dort die meisten Fehlstellen von Färb- und Grundierschichten als Folge der

schlechten Holzqualität. In der nunmehrigen Präsentation des Altars sind alle hinreichend definierten Fehlstellen konsequent retuschiert worden. Unbestimmt mußten die rechte Hälfte der alttestamentlichen Opferszene in der Lünette des Letzten Abendmahles und die Flächen mit den verlorenen Preßbrokaten bleiben. Bei fehlenden Gesichtshälften wurden die früher ausgeführten Teilergänzungen übernommen (Einzug in Jerusalem, Abendmahl, Händewaschung des Pilatus). Eine Nachreinigung von größeren Resten alter, stark gebräunter Firnisse und lokalen Übeimalungen war dem vorangegangen.

Auch der Zustand der Holzbildträger bedurfte umfangreicher Konservierungsmaßnahmen. Nach Riß-

verleimungen ist es mit Hilfe gleichmäßiger Rahmenfixierung und stabiler Klimatisierung gelungen, ein Gleichgewichtsstadium wieder herzustellen, das sich jetzt über fast dreißig Jahre bewährt hat.

Früher konnten die Passionsszenen nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden, nun sind diese Meisterwerke in der Zeit von 2. März bis einschließlich Ostersonntag, den 16. April 1995 zu den Öffnungszeiten des Museums (Do, Fr, Sa 10-17, So 1247 Uhr) zugänglich. Während der Präsentation der Passionsszenen werden Spezialführungen zum Schottenaltar und den Passionsszenen jeweils Sonntag um 15 Uhr angeboten, Übersichtsführungen durchs Museum jeweils Samstag um 15 Uhr.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung