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Passion, Rinat-Chor und Solisten

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Ebenso schlicht als tiefgehend und daher im Sinne der geistigen Disposition von suggestiver Wirkung war die Wiedergabe der „Matthäuspassion“ von /. S. Bach durch den Wiener Madrigalchor, geleitet von datier Meyer. Die Unmittelbarkeit des Erlebens war bereits in den ersten Takten vorhanden. Mit dieser geistigen Einstellung verbinden die jungen Sänger stimmlichen Wohlklang und rhythmische Exaktheit, und ihr Dirigent die Fähigkeit, den großen Bogen über die einzelnen Nummern zu spannen und die monumentale Einheit nicht nur im stilistischen Sinn lebendig zu gestalten. In Annelies Hückl, Margareta Palm, Kurt Equiluz (Evangelist), Klaus Gerboth, Franz Wimmer (Jesus) und Rudolf Kotz-back stand ein Solistensextett von gleicher Einstellung und gleichem Können zur Verfügung, dem sich die kleineren Solopartien in derselben Weise anglichen, ebenso die lange Reihe der Instrumentalsolisten. Gleichwohl hatte der Chor die größte und schwierigste Leistung zu vollbringen und es gelang ihm auf gleichem Niveau, ohne je an Spannkraft einzubüßen. Mitwirkend sangen die Buben der Wiener Goethe-Kantorei von der Orgelempore mit ihren herbfrischen Stimmen die Choralmelodien. Auch die Auffassung der „Choräle“ ist die natürlichste (gegen oft abweichende doktrinäre Auffassungen). Die Choräle symbolisieren den Gemeindegesang, was durch Fortissimo wohl barbarisiert, nicht aber symbolisiert werden kann. (Praktisch kann und konnte die Gemeinde die Choräle in dieser Lage nie singen.) Feinheit und Ausdruckfähigkeit der Stimmführungen kam im hier angewandten Mezzoforte des Tutti weit intensiver zur Geltung.

Der Kammerchor „Rinat“ (Israel) gab im Mozart-Saal ein Konzert mit alten und neuen Chorliedern, die er in den Originalsprachen, italienisch, englisch, französisch, ungarisch und israelisch, sang. Der Sprachgewandtheit gleicht die variable Ausdrucksfähigkeit der Stimmen, die stets von außerordentlicher Homogenität und Ausgewogenheit 6ind. Ob Orlando Lasso oder Debussy oder Kodäly oder israelische und englische Volkslieder, immer war die Leistung ein geschlossenes Ganzes und ein künstlerisches Erlebnis. Der Dirigent Gary Bertini kann mit vollem Eingehen auf seine Zeichen rechnen und seine Intentionen restlos durchführen, was für das geistige und disziplinare Niveau der Sänger zeugt. Von der Reihe durchwegs guter und,.stimmlich eindrucksvoller Solisten sei llana Bmpkmanini (Mezzosopran) für alle genannt. Ein “Wiederbe-gegnen mit diesem ausgezeichneten Kammerchor wäre jederzeit ein Gewinn. *

Wenn an einem Liederabend von vier Liedergruppen nach jedem einzelnen Lied besonders applaudiert wird, zerstört das Klatschen nicht nur den Zusammenhang, zerreißt die Architektur des Programms, ermüdet den Sänger wie die Zuhörer, sondern senkt auch das Niveau zum Kabarett hin ab. Dies war der Fall beim Liederabend von Rudolf Schock, der je eine Gruppe Lieder von Schubert, Schumann, Hugo Wolf und Richard Strauss sang. Den Höhepunkt bildeten die Gesänge von Hugo Wolf (Fußreise, Rattenfänger, usw.), somit Lieder, die verkappte Szenen sind. Weniger glückten reine Gefühlslieder, obwohl auch in dieser Sparte (Schubert: An Silvia, Schumann: Dein Angesicht) besonders eindrucksvolle Momente waren. Der Sänger wurde leider durch den undisziplinierten Beifall das Opfer seiner eigenen Beliebtheit, da der Gesamteindruck (weniger wäre mehr gewesen) kein gesammelter, sondern ein zersplitterter war. Ivan Eröd als Flügeladjutant erfüllt seine Aufgabe vortrefflich. Franz Krieg *

Wolfgang Schneiderhan und Walter Klien interpretierten die drei Violinsonaten von Johannes Brahms, wenn man hier von „Deutung“ überhaupt sprechen kann, denn die Brahm'schen Kompositionen und ihre Darbietung bildeten eine vollkommene Einheit. Wenn eine Reihung vorgenommen werden soll, so erschien die nach der Sonate Nr. 2 in A-Dur, op. 100, und vor der leidenschaftlichen d-Moll-Sonate, op. 108, ins Zentrum des Programms gestellte und auch als solche empfundene „Regensonate“ in G-Dur, op. 78, am reinsten und schönsten. Nicht aus der Meistergeige Schneiderhans schien der klassische, in jeder Phrase edel proportionierte Ton zu kommen — er schwebte überall im Raum und vereinigte sich mit dem fein abgestimmten und glanzvollen Spiel Kliens zu einer Darbietung absoluter Musik.

Einen etwas ungünstigen Termin für ihr erstes Konzert hatten die „Instrumen-tisten“. Die neugegründete Kammermusikgruppe — hauptsächlich besteht sie aus Mitgliedern der Wiener Symphoniker — stellte sich mit frühklassischer Musik, gespielt auf alten Wiener Instrumenten, just an dem Abend im Brahms-Saal vor, als viele Musikliebhaber den Brahms-Abend im Großen Saal besuchten. Dennoch fand sich viel interessiertes Publikum ein, um die ambitionierten Musiker und ihr „lächelndes Musizieren“ — die kurzen Stücke klangen auf den leisen, doch tragenden und obertonreichen Instrumenten am ehesten darnach — willkommen zu heißen. Ältere Werke in ihrer originalen Klanggestalt faszinieren heute sowohl Künstler wie auch Zuhörer, die beide durch die Begegnung mit dieser edlen Musik in alt-neuem Gewand erhöhten Genuß erleben. Dazu werden die „Instrumentisten“ auch in Zukunft ein geeignetes Ensemble sein.

Das 6. Orchesterkonzert im Zyklus I der Konzerthausgesellschaft leitete der japanische Dirigent Hiroyuki Iwaki, ein stämmiger junger Herr, der weiß, was er will und auch die Fähigkeit besitzt, sich Orchester und Publikum mitzuteilen. Er will den optischen und den klanglichen Effekt, und so klang denn auch das eingangs gespielte Divertimento für Streicher von Bela Bartök sonor und abwechslungsreich. In Mendelssohns Violinkonzert e-Moll (das wir seit der Entdeckung eines Jugendwerkes nunmehr das erste nennen müssen) drohte der Solist Josef Sivo dem Dirigenten einige Male „davonzulaufen“, was vielleicht weniger auf überschäumendes Temperament, als auf eine gewisse Nervosität — trotz äußerlich iur Schau getragener Sicherheit — zurückzuführen war. Sivo, früher bei der Philharmonia Hungarica, jetzt als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker tätig, ist ein brillanter Techniker mit schönem Ton, der überdies auch ein besonders wertvolles Instrument zur Verfügung hat. Des Interpreten „Tiefgang“ zu beurteilen, ist gerade dieses Konzert nicht sehr geeignet. Im 2. Teil des Programms, den der Referent nicht mehr hören konnte, stand „Don Quichotte“ von Richard Strauss mit Gaspar Cassado als Solisten.

In Wien garantiert ein zugkräftiger Interpret eher einen vollen Saal als ein wie immer geartetes Programm. Das bewies der Liederabend von Dietrich Fischer-Dieskau im vollbesetzten Großen Konzerthaussaal. (Mit fünf Liederzyklen ausschließlich „moderner“ Komponisten wäre bei einem andern Sänger ein Kammersaal halb leer gewesen!) Freilich zeigte sich die Kunst des Meisterinterpreten auch schon bei der Auswahl. Die gleich zu Beginn vorgetragenen „Vier Gesänge nach Worten von Hölderlin“ von Wolf gang Fortner, ein Frühwerk aus dem Jahr 1933 (was das Programm leider verschweigt) gehören zu den ansprechendsten Werken dieses in der Folge nicht gerade gefälligen Komponisten. Aber hier hat er durch einfache Linienführung und zarte ostinate Begleitfiguren den Hölder-linschen „Seelenton“ bestens getroffen. Die zehn Jahre später entstandenen drei rhapapdischen Psalmen Baris Blachers bieten Gelegenheit zu wdrkuiigsvöiäei> dramatischer Deklamation. Fischer-Dieskaus Meisterschaft aber zeigte sich am impo-nierendsten im Vortrag von fünf ebenso anspruchsvollen wie spröden Liedern seines (ausgezeichneten) Begleiters am Flügel: des jungen Berliner Komponisten Aribert Reimann. Den zweiten Teil des Programms bildeten zwei denkbar gegensätzliche Gruppen: die noch ganz der Tristan-Sphäre verhafteten weltschmerzlichen „Vier frühen Lieder“, op. 2, von Alban Berg und vier kapriziöse Chansons von Ferruccio Busoni auf launig-bärbeißige Texte von Goethe. Trotz des langanhaltenden Beifalls: keine Zugaben. Auch dafür sei dem Sänger Dank.

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