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PAUL CEZANNE

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In der großzügigen Landschaft der Provence lenken Römerstraßen und Aquädukte den Blick in die Tiefe, in der sich die geheimnisvolle Silhouette des Mont Saint Victoire erhebt. Cézanne wird als ein Mensch des Südens am 19. Jänner 1839 auf diesem Boden uralter Tradition in Aix-en-Provence geboren. Im 17. und 18. Jahrhundert noch ein aristokratisches Zentrum, in dem sich die Vauvenargues und andere Adelsgeschlechter ihre Stadtpaläste bauten, ist die etwa 27.000 Einwohner umfassende Stadt zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbürgerlicht und zum Handels- und Verwaltungsort geworden. In ihr macht Cézannes Vater sein Glück. Arme Bergbauern waren seine Ahnen, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts aus dem Gebirgs- dorf Cézanne nach dem 25 km entfernten Briancon ausgewandert waren und dabei den Namen ihrer Heimat angenommen hatten. Um 1700 zog einer von ihnen. Denis, nach Alix weiter — er wird Vater einer zahlreichen Familie, die Perückenmacher und Schneider hervorbringt. Thomas-Francois-Xavier, der Enkel, wird zum Großvater Paul Cézannes: der Vater des Künstlers wird 1798 in Saint-Zacharie, einem Nest südöstlich von Aix, geboren. Maßlos ehrgeizig und zielstrebig, wird Louis-Auguste zuerst Kaufmannslehrling, studiert dann in Paris das Hutmachergewerbe, um später in Aix eine Kompanie zum Verkauf und Export von Hüten zu eröffnen. Dieses Geschäft wird zur Grundlage seines soliden Reichtums, der ihn später ins Bankgeschäft führt. Mit vierzig Jahren beginnt Louis-Auguste Cézanne eine Liaison mit der um sechzehn Jahre jüngeren Schwester eines seiner Angestellten. Anne-Elisabeth-Honorine Aubert, aus der zwei Kinder entspringen — Paul, der Maler, und die um zwei Jahre jüngere Tochter Marie. Erst nach fünf Jahren legalisiert er das Verhältnis. Sein Bildnis steht in der Ausstellung im Belvedere mit Recht und tiefer Bedeutung am Beginn.

Cézanne malt das Bildnis seines Vaters mit etwa einundzwanzig Jahren. Ein gerütteltes Maß an Enttäuschung liegt schon hinter ihm. Von früh an war Paul eines klar geworden: er mußte Maler, Künstler werden. Der Vater aber sah in dem Sohn bereits seinen Nachfolger, den künftigen Leiter der Bank, einen reichen Kaufherrn. Er hatte sein Leben daran gesetzt, in sprichwörtlicher Sparsamkeit Geld zusammenzutragen, dabei auch brutale Geschäftsmethoden nicht scheuend, und hatte für den „Künstlertraum“ seines Sohnes wenig Verständnis. So muß Cézanne, nachdem er das Gymnasium in Aix absolviert hatte, auch die juridische Fakultät dort besuchen, an der er die erste Staatsprüfung mit Erfolg bestand. Er studiert nicht mit dem Herzen, denn während dieser ganzen Zeit malt er. Als sein Vater den „Jas de Bouffan“ als Herrenhaus erwirbt, richtet er sich dort sein erstes Atelier ein. Im „Jas de gfl faqj" ergeben Wanddekorationen, plump und ungeschickt. Aus dieser Zeit stammt das Bildnis des Vatérs Dér Alte sijafcjgekrummt,,.¡gebeugt im Profil, die Geiernase kurzsichtig über die Zeitung haltend — man glaubt, daß er die Börsenberichte studiert — der Körper wie eine Stahlfeder gespannt. Das Bild ist leidenschaftlich mit groben Pinselstrichen hingehauen, naiv und unbeholfen. Und doch manifestiert sich in all der Unbeholfenheit, der noch Zeichnung, Mache und Routine fehlen, in der Formung des Schenkels, des Armes, der Konzentration, ein so ursprüngliches plastisches Empfinden, daß man gerührt vor dieser frühen Äußerung des Cézanne’schen Genies steht.

Mehr noch gilt das vom Bild der Schwester, das drei, vier Jahre später entsteht — der Fortschritt ist nicht zu übersehen, die Manifestation einer originalen Begabung eindeutig. Der Kopf ist in der farbigen Struktur einfach und massiv gefügt, die Erregung hat sich zur Form vorgetastet und irgendwie werden schon geistige Ahnen sichtbar — Greco, Goya, die Spanier.

In diese Zeit gehört auch „Der Mord“ und andere Themen voll wilder Leidenschaftlichkeit: Versuchungen, Entführungen, dämonische Frühstücke im Freien, Idyllen, in denen die plastische Form barock und überdeutlich gegen Dunkelheit gestellt wird.

Die Venezianer des Louvre, die Cézanne inzwischen kennengelernt hat, beginnen zu wirken.

Ein geradezu klassisches Bild entsteht um 1870 (ein seltenes Glück ermöglichte es, es in der Ausstellung wenigstens für begrenzte Zeit zu sehen), das „Stilleben mit schwarzer Uhr“. Der Wildheit erregter Phantasie folgt die Stille vor dem Motiv. Die Natur wirkt als Kontrolle. Wie laut aber wirkt dieses Bild noch in seiner Dramatik der Formensprache gegen die späteren Stilleben. Die Lichtflächen und Schatten der wie aus Stein gemeißelten Serviette, die machtvoll sich wölbende Muschel, das düstere Dämmern der Uhr sind monumental. Eine furchtbare Erhabenheit spricht aus diesem Bild, eine die Antike wieder beschwörende Größe, ein archaisches Sein der Dinge. Es ist, als hätten wir sie noch nie so nackt gesehen, ln diesem Bild künden sich die Stilleben des späteren Cézannes bereits gültig an, es ist ihr precourseur, so wie es der „Bahndurchstich“ für die Landschaften ist.

Inzwischen ist Cézanne bereits zum zweitenmal von der École des Baux Arts in Paris abgewiesen worden, hat erneut an der Académie Suisse studiert, mit den vom offiziellen Salon zurückgewiesenen Malern im „Salon des Refusés“ ausgestellt und sich mit einem seiner Modelle Marie-Hortense Fiquet liiert. Den Krieg 1870 71 verbringt er. den Gestellungsbefehlen ausweichend, in L’Estaque bei Marseille, und 1872 73 arbeitet er unter dem Einfluß Pisarros in Auvers, wobei er die Theorie und Praxis des Impressionismus kennenlernt, jener neuen Malerei, die sich in totaler Abwendung von der Klassik und vom Lokalton, der Theorie der Anwendung der reinen Spektralfarben vor dem Motiv unterwirft.

Am 4. Jänner 1872 gebiert ihm Hortense einen Sohn, den er Paul nennt und legitimiert, womit eine Tragikomödie beginnt, die erst mit dem Tode seines Vaters ein Ende findet. Cézanne, selbst unehelich geboren, muß nämlich seine Vaterschaft und seine Verbindung mit Hortense jahrelang verheimlichen, um in den Genuß der ihm ausgesetzten schmalen monatlichen Rente zu kommen.

1874 stellt er anläßlich der ersten Impressionistenausstellung in Paris in der Galerie Nadar aus und erregt den besonderen Unwillen des Publikums, das seine Bilder als die „eines Betrunkenen“ ansieht.

Cézanne betrachtet von Anfang an die Theorie der Impressionisten als ein Mittel, der farbigen Wahrheit der Natur gerecht zu werden, aber nicht als mehr. Seine Vorstellung der Kunst unterscheidet sich von der ihren durch sein Beharren auf dem Gesetz, ein antikes Erbe, das der Willkür des Bildausschnittes und der Auflösung der Form durch die Wiedergabe der Atmosphäre in einem neuen subtileren Naturalismus die Bestimmtheit geometrischer Verhältnisse entgegengesetzt. Sein Wille, „Poussin nach der Natur“ zu machen, umschließt den klassischen Bau französischer Malerei und die Kontrolle vor dem Objekt. Der Weg cfäzii ist das eigentliche „Dräriia“ Cêzâhnès. Sèine Malerei war von Anfang an von jener Linie europäischer Kunst bestimmt, äie Raum und Form in Konkordanz als künstlerische Erfahrungsgrundlage behandelt. Die Subjektivität seiner zutiefst leidenschaftlichen und sensiblen Natur, muß mit wachsender Erkenntnis des Wesens der Malerei — eine Ordnung des Seins zu sein, mit den Medien der Farbe und der Linie auf der Fläche, in räumlichen Kategorien gestaltet — immer größerer sich abgerungener Objektivität weichen. Dazu kommt sein Ethos, das ihn, einen großen, heroischen Menschen, der sich unter der Maske eines Bourgeois ängstlich verbirgt, beseelt. Es ist fundamental religiöser Natur, wie alle große Kunst religiös ist. Seinem Denken ist es unmöglich, nicht einer prästabilierten Harmonie zu folgen, nicht an die verborgenen Maße göttlicher Herkunft hinter aller Erscheinung zu glauben und nicht das Wesentliche für den Künstler darin zu sehen, sie mit Hilfe einer unbegreiflichen Verwandlung, die aus der Farbmaterie Licht, Raum, Gestalt und Ordnung erzeugt, zu transzendieren, zu „realisieren", das heißt, zu neuem Leben zu erwecken, „parallel der Natur“, schaffend und schöpferisch.

Oer Gärtner Vallier. Aquarell. 1902 bis 1906

Co stellt er sich gegen die Impressionisten, in bedingungs- losem Glauben an Ordnung und Tradition, stellt sich gegen Van Gogh und Gauguin, in denen er subjektive Willkür und Dekoration sieht, und schließt damit an die klassische französische Malerei an und an eine Überlieferung, die Jahrtausende zurückreicht. Der „Blick auf den Aquädukt im Norden von Aix“, die „Mühle bei Pontoise", die „Bahnlinie“ mit den Felsen, das „Gehöft bei Bellevue“ sind nur einige der Beispiele einer Malerei, in der der Natur eine Ordnung abgelauscht wird, in der sich das elementare Walten geistiger Gesetze verdeutlicht. Immer wieder von den Grundtatsachen bildender Kunst ausgehend — der Darstellung der Form im Raum — sucht er unermüdlich auch das Wesen der Dinge darzustellen, ihre unverwechselbare Physiognomie. Von der „Seele einer Zuckerdose zu sprechen“ war für ihn keine leere Spekulation. Er begreift die Erscheinungen dieser Welt als Ausdruck eines Inhalts, ihre Form als den Träger dieses Inhalts, so wie Namen das Benannte oder die Erscheinung verdeutlichen. In der Form, richtig begriffen und dargestellt, wird das Wesen leuchtend sichtbar, in der Benennung auf magische Weise die Existenz.

Die Häuser Cézannes, die Mühle bei Pontoise oder das herrliche „Jas des Bouffan“ aus Prag, sind Individualitäten geworden, in demselben Maße, in dem seine Porträts zu Typenbildern werden, in denen das Menschliche, Zeitliche sich einem Überzeitlichen unterordnet. Daher scheinen sie auch fast blicklos dahinzudämmern, für eine Ewigkeit erstarrt, wie die „Kartenspieler“ des Louvre (in denen der Anschluß an die Le Nain vollzogen wird) die Bildnisse seiner Frau und die „Frau mit dem Rosenkranz“ in London. Das ist Malerei für die Ewigkeit, von Ewigkeit her gedacht und vor allem empfunden. Die Empfindung Cézannes, seine Leidenschaftlichkeit, sublimiert sich immer mehr im malerischen Reichtum der Vielfalt seiner farbigen Nuancen, die immer spiritueller werden. Sein Bildraum, der nach der Tiefe strebt, aber durch die Methode des Impressionismus, die reine Farbe, behindert wird, reduziert sich zwangsweise zum Relief. Aber wie ist es gegliedert! Die räumlichen Bezüge erhalten eine Deutlichkeit wie nie zuvor, ja es ist ersichtlich, daß dieser Malerei das „Motiv“ nur Vorwand zu ihrer Verdeutlichung wird, daß als eigentliche Grundlage der Welt die Formen und ihre Beziehungen zueinander begriffen werden. Diese Anschauung gipfelt in so unfaßbar sublimen Bildern, wie den späten „Badenden“ (erstaunlicherweise noch im Kunsthandel befindlich — es müßte selbst um große Opfer vom österreichischen Staat erworben werden, der außer einem einzigartigen Aquarell nichts Nennenswertes von Cézanne sein eigen nennt!), dem „Waldweg“ und dem „Sainte Victoire", in denen reine Harmonie aus einer geläuterten Anschauung entsteht. Hier ist Poussin, Claude Lorrain, Arkadien, ein wiedergewonnenes Paradies unendlichen Wohllautes. Von hier aus öffnet sich der Weg zu jener Malerei der Moderne, die die räumlich-formalen Grundgesetze als essentiell und bindend angenommen hat, nicht zu den flinken Dekorateuren, die, obwohl sie manchmal versuchen, sich auf Cézanne zu berufen, von ihm nur verachtet worden wären. Wie essentiell und wesentlich seine Kunst ist, zeigen seine Zeichnungen und Aquarelle deutlich. Ihre Struktur gibt räumliches Gerüst, aufs engste reduziert. Ein Minimum an Mitteln schafft ein, Maximum an Existenz, alles Notwendige ist da und mehr als das, Beseelung und Ergriffenheit.

Das Schicksal Paul Cézannes vollendet sich ohne jene äußere Dramatik, die das Leben mancher seiner Zeitgenossen auszeichnet. Immer mehr auf sich und sein Werk zurückgezogen, lebt er wie ein Einsiedler, sich und den Menschen mißtrauend! Der Wunsch nach Anerkennung wird ihm, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, kaum erfüllt. Erst gegen sein Lebensende meldet sich schüchterner erster Ruhm. Die absolute und unbedingte Hingabe an die Malerei, die sich in seiner Hoffnung „in den Sielen zu sterben“ ausdrückt, kennzeichnet auch seinen Tod. Der diabetische Greis wird vor dem Motiv vom Regen überrascht und bricht durchnäßt auf der Straße bewußtlos zusammen. Todkrank arbeitet er weiter, ein Rückfall wirft ihn aufs Sterbelager, auf dem er nach seinem Sohn ruft. Er erwartet ihn vergebens und stirbt, die Augen zur Tür gerichtet.

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