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Paul Cezanne und die moderne Kunst

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Paul Cėzanne. Text von Meyer Schapiro. Verlag M. DuMont Schauberg, Köln. 128 Seiten mit 13 Abbildungen. 49 ganzseitige Farbtafeln. Preis 34.50 DM

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Paul Cėzanne. Text von Meyer Schapiro. Verlag M. DuMont Schauberg, Köln. 128 Seiten mit 13 Abbildungen. 49 ganzseitige Farbtafeln. Preis 34.50 DM

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Drei Werke sind zum Verständnis des Malers Paul Cėzanne (1839 bis 1906) ganz unerläßlich: Fritz Novotny, „Cėzanne und das Ende der wissenschaftlichen Perspektive", Wien 1938, das bahnbrechend war und. heute so gültig ist wie je; Kurt B a d t, „Die Kunst Cezannes“, erschienen 1956 im Prestel-Verlag in München, die bisher weitestgehende Deutung Cezannes; und das vorliegende. Es i§t eine Uebertragung aus dem Amerikanischen. Meyer Schapiro ist Professor für Kunstgeschichte und Archäologie an der Columbia-Universität in New York. Er gibt zunächst eine ausführliche Einleitung, Tri''der- er Leben' %nd “Persönlichkeit" von Cėzanne charakterisiert. Er geht dabei keine neuen Wege, sondern wendet sich vor allem an ein Publikum, das guten Willens ist, aber von Cėzanne noch nicht viel gehört hat. Deshalb wohl werden nur die vordergründigsten Fragen behandelt. Dann folgen die ganzseitigen Bildtafeln, denen jeweils eine Interpretation gegenübergestellt ist, die alles Wissenswerte zur Entstehung des Bildes zusammenträgt und auf Einzelheiten aufmerksam macht. So hält es auch den gewöhnlich flüchtigen Beschauer zu sorgfältiger Bildbetrachtung an.

Die Werke von Novotny und Badt öffnen uns einen Einblick auf Tiefe und Ausmaß der historischen Leistung Cezannes. Auf seinen Schultern steht die ganze moderne Kunst — soweit sie kunst ist. Der Bildband von Meyer Schapiro liefert dazu das nötige Anschauungsmaterial. Abbildungen werden zwar nie den Besuch in den Museen ersetzen können, geben aber die ungefähre Vorstellung eines Gemäldes. Nirgends ist bisher in einer deutschsprachigen Publikation das Werk Cezannes in solcher Fülle und Uebersichtlichkeit dargeboten worden wie hier. Die Wiedergabe ist ganz vorzüglich und verdient allerhöchstes Lob. Mit der Herausgabe dieses Werkes ist der Verlag DuMont Schauberg in die erste Reihe europäischer Kunstverlage aufgerückt und steht ebenbürtig neben Verlagen wie Skira und Kohlhammer.

Cėzanne sagte von sich selbst: „Ich bin der einzige lebende Maler“, und: „Es gibt zwei Arten von Malerei. Da ist zunächst die starke, die schöpferische Malerei — kurz, die meinige. Und dann ist da noch die Malerei der anderen.“ Ein Mann, der das sagt, ist entweder ein vollendeter Narr und Großredner — oder er hat recht.

Cėzanne hatte recht. Er ist nicht nur der bedeutendste Maler des 19. Jahrhunderts, sondern er hatte eine Vorstellung dessen, was Malerei ist und was sie zu leisten hat, wie wohl kaum ein Maler vor ihm. Er hat seine Aufgabe in einer Tiefe begriffen, die wir auch heute noch nicht ganz erfassen können. Er hat die Kunst — wie gleichzeitig der Dichter Maliarme — an die Grenze des überhaupt Möglichen geführt. Die Grenze des Unmöglichen bedingt die Nähe des Scheiterns. Erkannte Cėzanne auch richtig seinen Abstand zu den anderen Malern, die ihre Aufgabe oberflächlicher als er begriffen, so war er sich stets der Vorläufigkeit der eigenen Leistung angesichts der ungeheuren Größe des Ziels bewußt und glaubte die volle Realisation seiner Vorstellung nicht erreicht zu haben. Er war im Grunde ein demütiger Mensch — „bescheiden und riesengroß", was er selbst von seinem Freunde Camille Pissarro sagte.

Die Leistung Cezannes läßt sich in wenigen Sätzen auch nicht annähernd beschreiben. Mit Cėzanne endet die klassische, auf den Menschen bezogene Zentralperspektive, die noch von den Impressionisten als vorbewußtes Moment in ihre Bilder hineinprojiziert wurde. Nun erlangt das Kunstwerk objektive Gültigkeit; eine Gültigkeit, die unabhängig ist vom Beschauer. Die Perspektive ist gleichsam umgekehrt und geht vom Bilde aus: das Bild steht im Zentrum, der Beschauer nur an seinem Rande. Die Leinwand wird, wie Cėzanne sagte, zum „objektiven Bewußtsein der Landschaft“, während der Künstler nur ihr „subjektives Bewußtsein“ bleibt. Die Erscheinungen der Natur werden strukturell in sich selbst und im Bildganzen gefestigt. Die Struktur ist der einzige innere (und daher wirkliche) Beweis für die Wahrheit eines Kunstwerkes. Eines der Mittel, die objektive Gültigkeit des Bildes zu erreichen, ist die von Cėzanne verwendete beschränkte Farbskala, die er bei jeder Arbeit neu, in engem Kontakt mit der Natur, bestimmte. Alle Farben stehen zueinander in festgesetzten Intervallen und korrespondieren miteinander.

Paul Cėzanne. Ueįer die Kunst. Gespräche mit Gasquet. Briefe und Berichte. Mit einem Essay „Zum Verständnis des Werkes“ und einer Bibliographie. Herausgegeben von Walter Heß. Rowohlts Klassiker. Verlag Rowohlt,. Hamburg. 128 Seiten. Preis 1.90 D-Mark.

Eine wertvolle, ja notwendige Ergänzung zu den oben zitierten Werken über Cėzanne: hier spricht er selbst zu uns. Die Gespräche mit Gasquet bilden den Hauptteil des Buches. Joachim Gasquet war der Sohn eines Jugendfreundes von Cėzanne. Die ungezählten Gespräche, die er mit Cėzanne hatte, schrieb er nach dem Tode Cėzannes .nieder und faßte sie, um die Gedankengänge Cezannes kontinuierlich darstellen zu können, zu drei großen Gesprächen zusammen, die auf dem „Motiv“ (wo Cėzanne malte), im Louvre und im Atelier stattfinden. Daran schließen sich ausgewählte Stellen aus Briefen Cezannes an sowie knappe Auszüge aus Berichten von Emile Bernard und Maurice Denis über Begegnungen mit Cėzanne (die alle in seinen letzten Lebensjahren, als er berühmt zu werden begann, stattfanden).

Ganz vorzüglich ist der das Bändchen beschließende Essay von Walter Heß, insbesondere das Kapitel „Ueber die Kunst Cezannes". Auf gerade 40 Seiten wird hier eine wirklich informative Einführung in das Wesen dieses großen Künstlers gegeben. In der Deutung seines Werkes folgt Heß weitgehend Kurt Badt. Cezannes Leistung in dieser Kürze und Prägnanz skizziert zu haben, ist ein Verdienst dieser Ausgabe.

Die Kunst des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Carl Georg Heise. Erster Band: Malerei.,Von Hans P 1 i t-t e. Verlag R. Piper Ic Co., München, 320 Seiten mit 110 Abbildungen, davon 16 Farb-' tafeln. Preis 16 DM.

Es gibt sehr viele Einführungen in das Verständnis der modernen Malerei — dieser ist es gelungen, einen an sich naheliegenden, aber bisher noch nicht betretenen Weg zu gehen: Erklärung der modernen Malerei durch Bildinterpretation. Auf den rechten ' Seiten des Buches stehen die Abbildungen, auf den linken die dazugehörigen Erläuterungen. So wird eine „Schule des Sehens" angestrebt, die den Leser und Betrachter des Buches zunächst zum Sehen und dann zum Verstehen führt. Denn ein theoretisches Verstehen der modernen Kunst und ihrer Grundlagen ist wertlos, wenn dieses allgemeine Verständnis dann vor dem einzelnen Bild versagt, wenn nicht auch das Auge das Neue an der neuen Kunst begreifen lernt.

Berücksichtigt wird das Werk von 58 Künstlern, unter denen — wohl alf Gegengewicht gegen die Tendenz vieler bisheriger Publikationen — der Anteil der deutschen Maler, angefangen von den deutschen „Impressionisten" bis zu den Abstrakten der Gegenwart, besonders betont wird.

Die Texte sind klar und einfach abgefaßt. Der Hauptnachteil des Buches ist, daß nicht alle Bilder in Farben sind. Der Verlag strebte offenbar eine erschwingliche, volkstümliche Publikation an und wollte den Preis des Buches nicht durch die Druckkosten vieler Farbtafeln belasten. Ohne Farben aber kann man nur halb sehen lernen. Das Fehlen der Farben fällt besonders auf, wenn der Text auf ver schiedene Farbwerte verweist und das Auge nur Grautöne wahrnimmt. Doch wollen wir darüber nicht vergessen, daß hier ein neuer und guter Weg beschritten wurde. Zwei weitere Bände (Plastik und Architektur) sollen folgen.

Zeichen und Gestalt. Die Malerei des 20. Jahrhunderts. Von Werner H o f m a n n. Fischer Bücherei, S. Fischer, Frankfurt am Main. 164 Seiteh mit ,49 Abbildungen. Preis 2.20 DM.

Eine sehr brauchbare Einführung in die moderne Malerei. Das einleitende Kapitel gibt in fünf kurzen Abschnitten eine erste Orientierung über die eigentliche Fragestellung und einige oft außer acht gelassene Bedingungen der modernen Kunst; auch über das neue Verhältnis des Publikums zur Kunst werden kluge Worte gesagt. (Erst seit rund 60, 70 Jahren ist es üblich geworden, daß auch Max und Moritz in der Kunst mitreden dürfen.)

Der eigentliche Stoff ist sehr gut in zwei Teile gegliedert: in die einzelnen Bewegungen des

20. Jahrhunderts und in ganz knappe Künstlerdarstellungen. Diese wieder stehen in zwei Abschnitten: „Malerei als Wirklichkeitsinterpretation'' und „als Wirklichkeitserfindung“. Besonders lesenswert sind die beiden Schlußkapitel zur gegenwärtigen Situation. Für di entschieden und gescheit Stellungnahme ru den jüngsten Entwicklungen ist Hofmann besonders zu danken: gegen die Vernebelung durch den internationalen Kunstbetrieb, gegen das Getue um die jeweils letzte Aktualität, gegen die Pseudorevolten im Hintergrund der Cocktailparties.

Werner Hofmann ist der erste, bei dem einig bedeutende österreichische Künstler unseres Jahrhunderts, sonst konsequent übersehen, im Rahmen einer Geschichte der neuen Kunst gewürdigt werden: so Boeckl, Richard Gerstl, Egon Schiele von der älteren Generation. Ernst Fuchs, Hausner. Mikl, Hundertwasser (Stowasser) von der jüngeren. Es ist nicht blinder Lokalpatriotismus, wenn wir diese Namen hervorheben. Wer ihr Werk kennt, weiß, daß sie in keiner Kunstgeschichte fehlen sollten. Leider fehlen Abbildungen von Werken Boeckls, Gerstls, Schieies: sie hätten den Rang ihrer Arbeiten jedem klar gezeigt.

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