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PAUL KLEE UND DIE FISCHE

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Ein Thema, mit dem skh Paul Klee sein ganzes Leben hindurch beschäftigte, das er abwandelte und in der jeweiligen Stilepoche, deren er ja eine ganze Reihe durchlief, weiter forschend und suchend stets von Neuem entdeckte und erfaßte, waren Fische. Er malte und zeichnete sie in unzähligen Variationen, immer wieder neu bereichert durch seine immense Erfindungsgabe und zum Teil als Höhepunkte seiner Malerei.

Fische sind bei den Malern, zumal bei den modernen, schon immer beliebte Objekte gewesen. Ihr Formenreichtum, ihre klare Linie (Braque sagte einmal dem Sinn nach, der Fisch sei die abstrakte Form par excellence), ihre schillernde und farbenreiche Pracht, die es dem Künstler erlaubt, alle Register seines Farbempfindens zu ziehen und vor der er die ganze Klaviatur der ihm zur Verfügung stehenden Farben spielen lassen kann, reizen seine Sinne und lassen ihn vor Lust fibrieren, wenn er darangeht, die reine und scharf umrissene Form mit dem haltlosen Element des Wassers in Einklang zu bringen, das Feste mit dem Fließenden zu verbinden. Klee malte Fische fast immer im Zusammenhang mit ihrem — poetisch verdichteten und bereicherten — Lebenselement; zumindest ließ er durchspüren, daß es sich um ein im Bewegten, diffus Verschwimmenden agierendes Wesen handelt. Er hat gern gefischt und sicherlich schon sehr früh bestimmende Eindrücke gefaßt. Einen sehr entscheidenden erfuhr er vor dem großen Aquarium in Neapel, das er im Jahre 1902 besuchte: „Das Aquarium ist sehr anregend“, notierte er in sein Tagebuch. „Besonders ausdrucksvoll ansässige Biester, wie Polypen, Seesterne, Muscheln. Dann schlangenartige Ungeheuer mit giftigen Augen, Riesen-maul und taschenartigem Kropf... Ein gallertartiges engelhaftes Tierchen (durchsichtig-seelisch) schwamm in fortwährender Bewegung auf dem Rücken, unausgesetzt ein feines Fädchen drehend. Der Geist eines versunkenen Dampfers.“

Das erste Fischbild, das man von ihm kennt, ist die ein Jahr zuvor entstandene Zinkätzung, ein Vorläufer der späteren Radierungen. Ein Fisch von skurriler und unappetitlicher Bestialität larvenähnlichen Charakters. Seine berühmten, farbenfrohen und ganz in sich geschlossenen Bilder folgen erst viel später. 1917 das „Fest auf dem Wasser“, wo sich lanzetten-förmige, klargeformte Fische zwischen tanzenden Segelbooten, Fähnchen, Mondgestirnen, richtungweisenden Pfeilen und Endpunkte fixierenden Dreiecken bewegen — eine typische Klee-Landschaft also und eines der lebendigsten und gelungensten Bilder aus dieser Epoche. Ein Sommernachtstraum, ein festlich-fröhliches, heiteres Getümmel.

„Sie beißen an“, heißt ein Aquarell von 1920. Zwei Angler stehen hier vor einem Nebeneinander von Segelboot, glockenförmigem Gebilde — vielleicht ist es die sagenhafte, versunkene Glocke, die nun wieder heraufkommen will, angelockt durch das über der Wasseroberfläche schwebende Mond-Sonnen-Gestirn, um vom Segler geborgen zu werden — und verschieden geformten Fischen: zweien, die an die Angel gehen, und zwei weiteren, größeren und vielleicht schlaueren Burschen; der eine mit dem riesenhaften Kiefer des Raubfisches behaftet und ein kleiner, der ganz links unten im Bild pfeilgerade in die schützende Tiefe flüchtet, das Liniengefüge des Bildes gleichzeitig abschließend. Was geschieht auf solch einer Szene nicht alles!

Um 1920 durchläuft Klee eine Periode, in der 'er Formen einander durchdringen läßt, um so Wachsendes und Keimende;, sich Entwickelndes gleichsam schulmäßig darzustellen: in den Bildern „Hängende Früchte“ und „Wachstum der Pflanzen“ zum Beispiel. Aus dieser Zeit gibt es auch ein 1921 entstandenes Aquarell mit dem schlichten Titel „Fische“. Die Tierleiber werden transparent, wachsen aus einer Mitte heraus, setzen sich fort und streben von allen Seiten in das Bild herein und wieder hinaus und vermählen sich mit den Pflanzenformationen im unteren Teil des Bildes. Es ist eines der abgeschlossensten und schönsten unter den Fischbildern Klees.

1924 entstand das „Aquarium mit Blausilberfischen“. Gleichmäßig über das Blatt verteilte, durchsichtig und schattenhaft umherhuschende Fische tanzen über blockartig gegliederten, hintereinander gestaffelten, im Wasser sich auflösenden und durch Schraffuren mit dem fließenden Element in Verbindung gebrachten Gebilden.

Eines der schönsten und bezauberndsten Bilder ist der „Fischzauber“ (großes Fischbild), das ein Jahr später entstand. In dieser traumhaften Szene — einem kleinen Unterwasser-Universum und einem guten Beispiel dafür, wie gut es Klee gelang, die verschiedensten Elemente zu einem Bildganzen zu verbinden — bewegen sich verschiedenfarbige Fische in einer poetischen, aus dem Dunkel herauswachsenden Landschaft, in der Blumen, seltsame kleine Pflanzen und Formen, ein Menschengebilde am unteren Bildrand und das Ziffernblatt einer Uhr, eingebaut in ein turmartiges Gehäuse, neben magischen Gestirnen ein buntes, phantasievolles und märchenhaftes Gepräge erlangen. Im selben Jahr entstand auch der berühmte „Goldene Fisch“ der Hamburger Kunsthalle, eines der bekanntesten Werke Klees überhaupt. Wie im „Fischzauber“ entsteigt die beherrschende, strahlende Form eines großen, ein wenig unförmigen und barsch dreinblicken-den Fisches, aus dessen Leib rote Flossenhaare sprießen, dem blauschwarzen, durch bläulich schimmernde Wasserpflanzen gegliederten Hintergrund. Stark, majestätisch dahinziehend und eine magisch-überwirkliche Wirkung ausstrahlend, prägt er sich dem Auge ein. Die Ecken des Bildes sind von kleineren, rotschimmernden Genossen des großen Fisches bevölkert, die vor seiner ehrfurchtgebietenden diktatorischen Würde jeweils respektvoll das Weite suchen.

Wieder ein Jahr später, 1926, entstand das Bild „Um den Fisch“: ein Karpfen in der Bildmitte, umgeben von allerlei eigenartigen Formen, Sonne und Mond, zwei Gläsern links und rechts des Fisches, aus denen Blumen- und Pflanzengebilde sprießen, einer angeschnittenen Zitrone, einem Kreuz, einem Fähnchen und dem Aufmerksamkeit erheischenden Ausrufungszeichen. Die Bildsprache wird hier symbolisch verschleiert und von einem schwermütigeren Nebenzug begleitet. Dieses Werk weist damit schon auf eine Entwicklungsperiode hin, die freilich erst in den dreißiger Jahren klar zum Durchbruch kommt, in dem 1938 entstandenen kleinen Oelbild „Blauäugige Fische“ der Sammlung Doetsch-Benziger etwa. Trotz freundlicher Farben ist es ein schwermütiges Bild. Die großen blauen Augen der beiden leblos ausgebreiteten Fische blicken traurig aus dem Grau der das hellbraune Gerippe (die durchschimmernde Leinwand) stützenden Fischkörper. Auch im 1939 entstandenen „Unterwassergarten“ begegnen wir drohend hängenden Formen, die sich über dem roten, von einem tiefen Blau hervorgehobenen Fisch zusammenballen. Sie werden von den aus dem Boden herauswachsenden Gebilden kaum gehalten, das schicksalhaft von oben Hereinstürzende ist stärker. Die Kleesche Freude, seine Märchenstimmung, das Poetisch-Heitere in ihm weichen einem beklemmenden Gefühl der Ahnung kommender, schwerer Dinge. Gemalt ist das Bild übrigens in dem für Klee ungewöhnlich großen Format von 100 X 80 cm.

Das Jahr 1940 ist das Todesjahr des Malers, in dem er den „Schlamm-Assel-Fisch“ in schwarzen, bedrohlich-düsteren Zeichen, die Urform des Fisches fixierend, fest ins Bild einfügt: das Todesgefühl ist gebannt, festgehalten. Hier ist die Quintessenz der Suche Klees nach der einfachsten und endgültigsten Form enthalten. Es ist ein Herauskristallisieren und Erfassen des Letzten, Wesentlichsten.

In Klees Fischbildern — es gibt neben den erwähnten noch eine ganze Reihe anderer: „Fischleute“, „Fisch physiognomiseh“ oder „Aquarium“ etwa — ist seine ganze Welt beinhaltet. Für sich gesehen, geben sie jeweils ein erkanntes Stück Wirklichkeit, eine Welt im Kleinen wieder und im ganzen in ihrer Aufeinanderfolge ein Beispiel für die geistige Regsamkeit und die große künstlerische Potenz, die diesem Maler eigen war, der unsere Bilderwelt und die Kunst dieses Jahrhunderts wie kaum ein anderer durch Hunderte von neuen Möglichkeiten, etwas von den gestalterischen Prinzipien, die jedem Ding und jedem guten Gedanken innewohnen, herauszulösen und sichtbar zu machen, bereicherte: „Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen.“

In Klees Fischbildern spiegelt sich eine ganze Entwicklung wieder: nicht nur seine persönliche als Mensch und Künstler, sondern auch die der Kunst unseres Jahrhunderts. Diesem Jahrhundert entwuchsen Künstler, die uns völlig neue, sehr reizvolle Ansichten unserer Welt zu geben wußten, als sie auszogen, um leer, ausgehöhlt und unwahr gewordene Ideen und Bildvorstellungen durch neue zu ersetzen. Was sie dabei fanden, haben wir teilweise schon so sehr assimiliert, daß wir die Welt der Maler zum großen Teil schon zu unserer eigenen gemacht haben und dem Poetischen, Merkwürdigen so gegenübertreten, als hätten wir's schon immer gesehen oder erkannt. In Wirklichkeit sind es aber tatsächlich die malenden Magier und Zauberkünstler, die uns der Schönheit verschiedener Struktur- und Formelemente — festen, fließenden, himmelwärts verschwebenden oder in einer mystischen Urwelt wurzelnden —, die sie in den unscheinbarsten Dingen entdeckten und umgestalteten oder die sie erfanden, erst nahegebracht haben. In dem, was sie da malend zusammenfabulierten, unter den verschiedensten Aspekten sahen, formten und phantasiereich ausschmückten oder variierten, stießen sie auf verblüffende Möglichkeiten, unser Dasein neu zu erfahren und ein komplex konstruiertes Weltgefüge zu erfassen. Nun geschah es, daß dem Künstler das „gegenwärtige Stadium der ihn gerade betreffenden Erscheinungswelt für zufällig, zeitlich und örtlich gehemmt erschien. Für allzu begrenzt im Gegensatz zu seinem tiefer Erschauten und bewegter Erfühlten“ (Klee).

Viele Maler, die mit den real sichtbaren Gegenständen und gegebenen Formen, die wir beim Namen nennen können, gar nicht mehr viel anzufangen wußten, sind auf diese, die Welt von innen her erfassende Weise zu größeren Realisten geworden, als es sie je gegeben hat. Denn ihre Realität umfaßt nicht nur das Sichtbare allein, sondern auch das Jenseitige, zwischen den Dingen liegende und geahnte, als existent erfühlte Sein. Indem sie es ihrer Bildwelt einbeziehen, kommen sie dem Erfassen eines wirklichen Weltausschnitts, den man von einem guten Bild erwartet, so nahe, daß sich ein eigener, kleiner Kosmos entwickelt, in dem spazierenzugehen uns, den Betrachtern, viel Freude bereiten kann.

„Was wir sehen“, sagt Paul Klee, „ist ein Vorschlag, ein Behelf. Die wirkliche Wahrheit^ liegt zunächst unmittelbar zugrunde.“ Man bezeichnete diesen Maler als einen der größten Realisten unserer Zeit. Unter den Künstlern dieses Jahrhunderts gibt es kaum einen, dem es gelungen wäre, so viel ins Bild transponierte Wirklichkeit zu erfassen, wie er. Der Kosmos seiner reichen Bilderwelt enthält nahezu alles, was in unserer Welt erfahren, erlebt und erfühlt werden kann: Heiterkeit, Humor, Schabernack, tolle Einfälle und Spaße aller Art, „welche das Leben etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint“, ebenso wie Düsternis und Leid. Märchenhaft-Poetisches neben drohend über uns Schwebendem, Schrecklichem und Apokalyptischem. Alles, was Klee selbst erfahren und erlebt hat und was wir erfahren und erleben, finden wir verdichtet in der reichen und vielfältigen Entwicklung seiner Malerei. Klees Erfin-dungsreichtutn und seine Gabe, einer seelisch-metaphysischen Situation letzte Möglichkeiten des Ausdrucks abzuringen; seine Fähigkeit, rasch verschwebende Empfindungen und Momente des Schreckens oder der Freude herauszukristallisieren und festzuhalten; seine Kunst, mit dem Pinsel sinnende Betrachtungen anzustellen oder schlicht zu erzählen, geheimnisvoll und phantastisch-verwegen wie in Tausendundeiner Nacht, steht einzigartig und unübertroffen da. Sie gibt nach des Malers eigenen Worten nicht nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wieder, sondern macht geheim Erschautes sichtbar. Und selten kristallisiert sich dieses „geheim Erschaute“ so klar heraus wie in Klees Fischbildern.

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