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Plutarch im Gefängnis

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Der Vernichtungswahnsirm des zweiten Weltkrieges zwang auch die Kulturinstitute in Österreich ihre Schätze in Sicherheit zu bringen. Die Salzburger Studienbibliothek hatte einen Großteil ihrer Bücher und Handschriften in mehreren Schlössern des Landes Salzburg, zum Teil auch in den gut geeigneten Stollen des Halleiner Salzberges geborgen. Der originellste Aufbewahrungsort war das alte, sehr fest gebaute Gefängnis von Thalgau. So kam es, daß mancher lateinische Klassiker, mandier Kirchenvater im 20. Jahrhundert noch ins Gefängnis wandern mußte. Die von den alliierten Behörden geförderte Rückführung der Bestände — sie ist noch nicht abgeschlossen — und die Wiederaufstellung der Bücher vermittelte den daran Beteiligten ein sehr eindrucksvolles Bild von dem bibliographischen Reichtum des Salzburger Institutes, das durchaus mehr als nur eine Studienbibliothek ist, in der man etwa nur die landläufigen Werke verschiedenster Wissenschaftszweige vermuten möchte. Es gibt hier Schätze, die jedem Bibliophilen das Herz höher schlagen lassen.

Das älteste, in Salzburg existierende gedruckte Buch ist die erste Ausgabe der Theologie von Thomas von Aquin. Das Werk wurde 1466 in Straßburg gedruckt, erschien also kaum zehn Jahre nach' den ersten von Gutenberg selbst hergestellten Büchern. Noch älter allerdings (1450) ist der Holzschnitt eines Ulmer Meisters in einer Handschrift, eine Darstellung des heiligen Antonius, die sich durch ihre außerordentlich frischen Farben auszeichnet. Besonders interessant sind Werke, bei denen die alte Technik des Holzschnittes sich mit Elementen der neuen Kunst des Druckes mischt. So haben di „Decisiones Rotae Romanae“, die 1507 in Lyon gedruckt wurden, einen Einband, der durch Holztafeldruck nach Art des Holzschnittes verziert ist. Auch die Briefe des Ovid — das einzige erhaltene Exemplar ist 1484 in Messina erschienen — zeigen diesen Holztafeldruck. Die lateinischen Klassiker sind überhaupt recht zahlreich vertreten, so Plutarch mit •einem „Leben berühmter Männer“ (Venedig 1491), M. Aennaeus Lucanus mit Gedichten und L. Aennaeus Seneca mit seinem' „Sitteri-büchlein“ (Treviso 1478) — die einen auffallend durch ihre lebhafte, noch frisch gebliebene Randbemalung, die beiden anderen mit Holztafeldruck auf den Einbänden. Auch die Naturgeschichte des Plinius ist in der berühmten Renaissance-Antiqua zu Venedig 1468 gedruckt.

Bei zahlreiche dieser Frühdrucke äußert sich noch der Einfluß der Handschrift auf den Buchdruck. So sind die „Decretalen“ Papst Bonifaz VIII. einmal in einer Bologneser Handschrift des 14. Jahrhunderts, darin als Druck (Basel 1477) vorhanden, Text und Glossen zeigen bei beiden Ausgaben das gleiche Bild; dieselbe Erscheinung bei zwei Meßbüchern, von denen das eine eine Handschrift, das zweite ein Druck aus dem 15. Jahrhupdert ist; die Typen des Drudtes rnd hier genau den Buchstaben der Handschrift nachgeahmt. Zu den wertvollsten Stücken des Institutes gehört der erste ungarische Druck (Ofenpest 1473, Andreas Hess), eine lateinische Rede des Basilcus Magnus über das Lesen der Klassiker. Ein lateinischdeutsches Lexikon von Nicolaus Bechter-münster stammt aus Eltville, 1476 gedruckt. Eine Fundgrube interessanter Dinge ist die Weltkunde, „Cosmographia“, des Ptolemäus (Ulm bei Günther Zäiner), in der zum Beispiel eine Landkarte von Indien die Umrisse dieses Landes überraschend genau zeigt. Die farbige Darstellung stammt aus dem Jahre 1486, ist also noch vor der. Entdeckung Amerikas erschienen!

Das in der Frühzeit des Buchdruckes gleichzeitig immer noch Maler Arbeit fanden, zeigen andere Werke, so St. Isidorus' Etymologien (Straßburg, Mentelin, vor 1478), dessen Seiten mitten im Text weiße Flecken haben. Hier hat der Drucker Raum freigelassen für den Maler, der die Initialen nachträglich farbig zu malen hatte. Unter den Buchmalern für Initialen oder Buch'

schmuck tritt auch em Salzburg Ulrich

Schreier hervor. Proben seiner Arbeiten sind in den „Gregorianischen Decretalen“ (Venedig 1477) und in einem zweibändigen „Spe-culum hystoriale“ (Geschichtsspiegel) ds Vincentius Bellovacensis (Straßburg 1473) unter den Schätzen der Studienbibliothek, in der „Weltchronik“ des, Hartmann Schedel, dem am reichsten illustrierten Buch des .15. Jahrhunderts (Nürnberg 1491), befindet sich eine über zwei Seiten reichende Darstellung der Stadt Salzburg, die älteste Darstellung der Salzachstadt. Sie mutet etwas fremd an, zeigt aber doch schon bekannte Formen des heutigen Stadtbildes, so etwa das hohe Dach der Franziskanerkirche, die allerdings noch keinen Turm hat.

Der Holzschnitt ist in den Werken reich vertreten. Von Albrecht Dürer stammen die Holzschnitte in den „Offenbarungen der heiligen Brigitta“, die auf Veranlassung Kaiser Maximilians 1500 in Nürnberg gedruckt worden sind. Bernhard von Breidenbachs „Reise ins Heilige Land“ ist dreimal vorhanden. Sowohl die lateinische Erstausgabe (Mainz 1486), als auch die spanische Ausgabe (Zaragoza 1498) prangen im Schmuck der Original-Holzschnitte des Erhard Renwich. Die deutsche Ausgabe dagegen (Augsburg 1488) zeigt nur die Holzschnittkopien, die seitenverkehrt sind. Auf die Holzschnitte folgten die ersten Metallschnitte. Sie wurden schon zur Bilddarstellung in, des Philippus Bergomensis „Von berühmten Frauen“ (Ferrara 1497) verwendet- Und hier fällt uns etwas ganz' Eigenartiges auf: Die dargestellten Personen zeigen typisch mongolisch-chinesische Züge, überhaupt könnte die ganze Darstellung von einem fernöstlichen Künstler stammen, eine Wahrnehmung, die übrigens auch für den am Anfang erwähnten Ulmer Holzschnitt (Antonius-Darstellung von, 1450) gilt. Hier taucht

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auf, wie weit sich o st asiatische Kultureinflüsse bis nach Europa zur Geltung bringen konnten, wie weit unsere Erfindungen zum Teil sogar unmittelbar auf chinesisches Vorbild zurückgeführt werden können. Nicht nur in der Technik, sondern auch in der Kunst kann man solchen Einflüssen und Auswirkungen nachspüren, wie etwa in einem Teil der italienischen Malerei. Es ist einmal mehr ein Hinweis darauf, daß Europa, das Abendland christlicher Prägung, es immer wieder als Aufgabe erfaßt und verstanden hat, Kulturströme aus dem Osten aufzufangen und ihnen eine bleibende Richtung zu geben.

Deutlich kann man iri diesen Werken die Entwicklung des Buchdruckes und die Fortschritte in der Ausstattung verfolgen. Da gibt es in einer lateinisdien Grammatik des Nicolaus Perotti (Venedig 1499) schon eine Seiten- und Zeilenzählung. In einem anderen Band (Mars-Ficinus, „Über das Leben“, Florenz) hat sich der Drucker mit einem Druckerzeichen verewigt, einem Vorläufer unserer Verlagszeichen.

Die Sprache der meisten dieser alten Werke ist lateinisch oder italienisch. Doch ist auch die deutsche Sprache vertreten. Unter anderem mit dem Sachsenspiegel von Eike von Repkow (Augsburg 1481), dann einem präditigen Wappen-Exlibris und d e r n e u n-ten deutschen Bibel, die, mit farbenreichen Bildern, 1483 von Anton Koberger in Nürnberg gedruckt worden ist. Daß unter den vielen Werken auch ein 1469 in Augsburg erschienenes Konversationslexikon des Baibus de Janua vorhanden ist, vervollständigt das vielseitige fesselnde Bild des Salzburger Institutes.

Hoste ist ein großer Teil dieser Bücher

wieder in die Räume der Studienbibliothek im alten Salzburger Universitätsgebäude zurückgekehrt. Direktor von Frisch, der umsichtige Leiter der Bibliothek, hofft, daß auch die noch außerhalb befindlichen Bestände keine Lücken aufweisen. Denn im Zuge der Kriegsereignisse wurden in den Halleiner Stollen manche Kisten erbrochen und ihr Inhalt verstreut. Ob dabei auch das eine oder ander e Werk verlorengegangen ist, wird sich noch zeigen. Die anderen Ver-lagerungsorte blieben unbehelligt. Sicher ist, daß das alte Gefängnis von Thalgau noch nie einem so edlen Zweck gedient hat, wie in den vergangenen Jahren, in denen es Kulturschätze wertvollster Art in seinen festen Mauern „verwahrte“.

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