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Probleme der modernen Kirchenmusik

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Der nachfolgende Beitrag enthält die Grundgedanken eines bei den letzten Salzburger Hochschulwochen gehaltenen Vortrages. Sein Autor, den Lesern der „Furche“ wohlbekannt, wurde vor kurzem mit dem Orden „Pro ecclesia et pontiiice“ ausgezeichnet und ist als Musikrelerent tür Kirchenmusik bei der Ravag tätig

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Der nachfolgende Beitrag enthält die Grundgedanken eines bei den letzten Salzburger Hochschulwochen gehaltenen Vortrages. Sein Autor, den Lesern der „Furche“ wohlbekannt, wurde vor kurzem mit dem Orden „Pro ecclesia et pontiiice“ ausgezeichnet und ist als Musikrelerent tür Kirchenmusik bei der Ravag tätig

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Ueber alle Verschiedenheiten hinweg ist unter „moderner Kirchenmusik“ jene zu verstehen, die dem Willen entspringt, Musik wieder aus der liturgischen Gemeinschaft für die liturgische Gemeinschaft zu sein. Dieser Wille bedingt nicht zuletzt bei vielen eine Revision der gewohnheitsmäßigen Einstellung, die großenteils in dionysisch-romantischer Ausdruckswelt immer noch das letzte Wunder der Musik sieht, anstatt im Maß der kirchlichen Richtlinien Sinn und Aufgabe gottesdienstlichen Musizierens zu erkennen. Wir haben das große Erbe des Barocks und der Romantik im Blut, das einen Gipfel musikalischer Kunst darstellt, doch wir sind seit Generationen dabei, das Form- und Klangsymbol jener Zeit mit ihren bleibenden Ausdruckswerten zu verwechseln. Wenn wir das musikalische Opfer unserer Vorfahren im Geiste erneuern, so können wir dies im Sinne des Gotterlebens unserer Väter, nicht aber im Sinne des kulinarischen Genusses, des rein ästhetischen Wertes. Und wir müssen das eigene Opfer dazutun, denn Opfern ist zunächst eigene Gabe. Die Verpflichtung zum eigenen musikalischen Opfer, zur zeitgenössischen Kirchenmusik somit, ist damit in der liturgischen Aufgabe der Musik beschlossen.

Das Gottesdienstliche in der Musik erfließt aus der Verbindung von Klarheit der Form und mystischem Inhalt. Der barocke Geist erreicht im getürmtesten Bau höchste funktionelle Klarheit (J. S. Bach) und in der höchsten Klarheit das tiefste Geheimnis (Mozart). Die Romantik läßt das Gefühl (das mystische, in der Nachfolge oft auch bloß mystifizierte) verströmen und entfernt sich im gleichen Maß, als sie die Formen lockert und auflöst, von der liturgischen Gegebenheit. Das Geheimnisvolle, dessen Gipfel Gott ist, kann nur durch Form symbolisiert werden. Im Formen liegt das Schöpfungsgeheimnis, im Gestalten die Gott am nächsten kommende Kraft menschlichen Geistes, der, Gottes Ebenbild, immer sein Urbild nachformt, bewußt und unbewußt, gewollt und ungewollt. Formlockernde und -lösende Gefühlsverströmung, bloß auf Klang und Farbe gestellt, auf Eindruck (oder ehrlicher: auf Stimmung) berechnet und somit letzten Endes wieder auf Genuß, ist antiliturgisch und im Grunde auch antimystisch, so geheimnisvoll sie auch tun mag. Debussy und Ravel haben keine Kirchenmusik geschrieben; ihr Stil ist dazu ebenso unbrauchbar wie der Verismus eines Puccini und die kulinarische Bürgerlichkeit eines Richard Strauß. Es sind die antiliturgischesten Stile aller Zeiten, während vergleichsweise sogar einem Rossini und Verdi der liturgische Ton nicht ganz fremd war. Erst die großen Neuformer Strawinsky und Hindemith haben diesen Ton wieder gefunden. Weil sie formten, gewannen sie der Musik ihren mystischen Gehalt wieder. Endlich stand hinter dem Klang, der nicht mehr Selbst- und Alleinzweck war, wieder das Geheimnis, hinter dem. Farbenspiel wieder die zeichnende Linie und hinter den herben Ueberschneidungen ein unentweihtes Land. Der gestaltende Geist war wieder an die Stelle des schwelgenden Gefühls getreten. Dieser Weg mußte früher oder später zur Kirchenmusik führen — und er hat viel früher dahin geführt, als die beiden Meister Hindemith und Strawinsky selbst dahin kamen. Denn für die Musica sacra rannen die Qiftllen unverdünnt und unverfälscht aus den piani-schen Bullen und deren vollkommener Erfüllung im gregorianischen Choral. Die Begegnung der mit den modernsten musikalischen Spannungsmitteln vertrauten kompositorischen Jugend mit dem gregorianischen Choral kann als die Urzelle der neuen Kirchenmusik angesehen werden.

Vom Choral aus begann denn auch eine neue Mehrstimmigkeit und — zumindest — der Wille zu einer neuen Einstimmigkeit. Der erste Weg führte zur sogenannten neuen Polyphonie (deren bedeutendste Vertreter von Joseph Lechthaler bis Anton Heiller die österreichische Entwicklung entscheidend vorwärtstrugen und -tragen), der letztere zur volksliturgischen Kirchenmusik, die bis heute noch Experiment ist, seit ihren Anfängen jedoch sehr ernst zu nehmende Perspektiven einer künstlerischen Entwicklung eröffnet hat.

Nach zwei Seiten hin offen und ungelöst präsentiert sich darüber hinaus das eigentliche Grundproblem in der Musikliturgie unserer Tage, das durch noch so ernst zu nehmende Experimente nicht gelöst werden kann. Einerseits gilt es, eine Tonsprache zu gewinnen, die künstlerische Aufgaben löst, dabei aber am gläubigen Menschen in der Kirche nicht vorbeimusiziert, auf der andern Seite tut es absolut not, die Kirchenmusik — und hier insbesondere den Volksgesang in seiner Erneuerung — vor einem kunstfeindlichen Pietismus zu bewahren. Denn die Kirchenmusik ist nicht zu erbaulicher Andacht schlechthin berufen, sondern zur tönenden Formung und Spiegelung des liturgischen Erlebnisses, dessen integrierender Bestandteil sie ist und dessen sie sich stets bewußt zu sein hat.

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