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Eine faszinierende Ausstellung der Kunsthalle Krems zeigt Wurzeln und Realität einer künstlerischen Obsession.

Das Wort Paradies stammt aus dem Altpersischen. Die Sehnsucht nach dem Paradies ist allen Menschen gemeinsam. War sie im Christentum bis zum Ende des Mittelalters auf ein Jenseits des Friedens und der Gottesanschauung gerichtet, hat sie seit der Renaissance stark erotische Züge bekommen. Das ent-spiritualisierte Liebesparadies erlebte seine Blüte in der europäischen Malerei um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die Sommerausstellung der Kunsthalle Krems "Sehnsucht nach dem Paradies. Von Gauguin bis Nolde" erzählt aber drei Paradies-Geschichten, die in einem Spannungsverhältnis stehen. Die erste ist eine politische Geschichte. Im zivilisationsmüden, dekadenten Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts lockten Weltausstellungen mit ihren lebenden "Exponaten" in die paradiesische Südsee: "Ich fahre nach Tahiti, einer kleinen Insel im großen Ozean, wo man noch ohne Geld leben kann. In Europa breitet sich für das kommende Geschlecht eine furchtbare Zeit vor: Die Herrschaft des Goldes. Alles ist verfault, die Menschen und die Kunst", schrieb Gauguin 1891. Doch weder auf Tahiti noch auf den Marquesas-Inseln fand der Franzose das Paradies: Die Kolonialmacht Frankreich hatte die Bewohner zwangschristianisiert, ihnen europäische Kleider verpasst, die sie nicht mehr auszogen, und sie mit Geschlechtskrankheiten, Opium und Stangentabak beglückt. Gauguin gab seine Träume trotzdem nicht auf, sondern erschuf sie auf der Leinwand. Die Kunst der Eingeborenen interessierte ihn kaum.

Der Weg des deutschen Paradiesschwärmers Max Pechstein ins Südsee-Paradies führte über das Völkerkundemuseum in Dresden. Dort sah er einen magischen Schnitzbalken, und da wars um ihn geschehen. 1914 wurde ein eben geborenes Söhnlein in Pflege gegeben, damit das Ehepaar Pechstein auf die Palau-Inseln entfliehen konnte. Nach wenigen Monaten nahmen japanische Invasionstruppen die Pechsteins gefangen. Das Paradies war, wie die meisten dort entstandenen Bilder, verloren.

Einheit mit der Natur

Emil Noldes Sehnsucht nach dem Paradies erwuchs nicht aus dem Wunsch, "Barbaropa" endgültig zu verlassen, sondern aus der Suche nach dem Ursprünglichen. Auch er hatte im Völkerkundemuseum in Berlin 1911 ein packendes Erlebnis, als er der Kunst der Naturvölker begegnete. Als sich ihm die Gelegenheit bot, nahm er an einer wissenschaftlichen Deutsch-Neuguinea-Expedition teil: "Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und Teil vom ganzen All. Ich habe zuweilen das Gefühl, als ob nur sie noch wirkliche Menschen sind." Nolde hatte schon vorher sein Paradies gesucht, indem er überall, wo er wohnte, Gärten anlegte. Durch das Reise-Erlebnis fanden glühende Farben Eingang in seine Palette, ebenso wie exotische Landschaften und unverhüllte Erotik. Es war die künstlerische Antwort auf die koloniale Machtausübung und den Eurozentrismus. Nolde: "Wir Europäer sind rührend gute und liebe Menschen! Wir sind Christen, Demokraten, Sozialisten oder Anarchisten, und dahinter steht immer der nackte Mensch, die gemeine Kreatur. Und hinter der Kreatur verschlagen schmunzelnd steht der Teufel, das Vernichtungswerkzeug der Urvölker mit schönsten Worten begründend."

Das innere Paradies

Andere deutsche Expressionisten, und das ist die zweite Geschichte, die in Krems erzählt wird, suchten das Paradies nicht in der Ferne. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Karl Schmidt-Rottluff transzendierten die Paradiesessehnsucht in eine innere Welt. Die Moritzburger Teiche 15 Kilometer von Dresden und Badeorte an der Nord- und Ostsee inspirierten sie zu Urbildern der Freiheit, der Seinsvergessenheit. Heiter, hochgestimmt, freizügig lebte und malte es sich auf der Ostseeinsel Fehmarn. Manche dieser Paradies-Sucher wie August Macke und Franz Marc, die 1912 gemeinsam ein Paradiesbild schufen, führten ein gutbürgerliches Leben; andere, Kirchner und Otto Mueller, gaben sich antibürgerlich, bohemehaft.

Die dritte Geschichte, die sich der ideensprühende Direktor der Kunsthalle Krems, Tayfun Belgin, ausgedacht hat, steht in eigenartiger Spannung zu den europäischen Paradiesbildern: Das Wiener Völkerkundemuseum hat 41 Kultobjekte aus der Südsee geliehen. Furchterregende Masken und Ahnenfiguren aus geschnitztem Holz zeigen eine geschlossene Welt, in die Europäer nicht einzudringen vermochten. Die Künstler haben sich ästhetisch anregen lassen, Politiker und Missionare haben sie weitgehend vernichtet. Das belegen Fotografien aus der Kolonialzeit. Eine intelligente, aufwühlende Ausstellung.

DIE SEHNSUCHT NACH DEM PARADIES. Von Gauguin bis Nolde.

Kunsthalle Krems, Franz Zeller Platz 3, 3600 Krems-Stein; www.kunsthalle.at

Bis 24. Oktober, täglich 10-18 Uhr

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