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Digital In Arbeit

Provokation ohne Schrecken

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e typisch biedermeierliche Ruhe mit ein paar Dutzend guten Kunden in der Adreßkartei schon wieder komfortabel genug erscheint, Sicherheit für Absatz garantiert.)

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e typisch biedermeierliche Ruhe mit ein paar Dutzend guten Kunden in der Adreßkartei schon wieder komfortabel genug erscheint, Sicherheit für Absatz garantiert.)

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Natürlich haben Künstler und Galeristen ans Geschäft gedacht, wie man die „Laufkundschaft“, den „kleinen Mann“, anlocken könnte. Sicher keinesfalls mit kostspieligen Großformatsgemälden und Monumentalplastiken, die im Minieigenheim mit SW-Ausstattung nicht einmal durch die Tür zu bringen sind. Also besann man sich (wie schon um 1870) auf die Serigraphie zu relativ kleinen Preisen und im kleinen Format. Aus einer Not wurde eine Tugend: international bekannte österreichische Künstler, wie Ernst Fuchs, Adolf Frohner, Alfred Hrdlicka, Erich Brauer, haben die österreichische Druckgraphik einer Blüte entgegengeführt, zum begehrten Sammelobjekt gemacht. Von solchen Erfolgen hätten Unternehmer vorerst gar nicht zu träumen gewagt. Große Verlage folgten natürlich mit kostbaren Mappeneditionen: Man riß ihnen die Graphik aus den Händen. Die Galerien erzielten Rekordumsätze, die Preise stiegen und werden in den nächsten zehn Jahren weiter steigen. Hohe sechs- und siebenstellige Preise sind für erstklassige Radierungen (etwa für Blätter aus Ernst Fuchs' „Einhorn“-Zyklus im ersten Zustand) durchaus keine Seltenheit und Sensation. Freilich, eine Untugend folgte auf den Fuß: alles stürzte sich prompt auf Druckgraphik, vor allem auf den Siebdruck, mit dem offensichtlich das lukrativste Geschäft zu machen ist. (Hundertwasser legte zum Beispiel jüngst sein „Wolkenkratzer“-Blatt in 10.000-Stück-Auflage vor). Und Poster- und Modern-Art-Shops des Auslands — die hierzulande werden wohl demnächst folgen! — verkaufen längst künstlerisch gestaltete Billetts für alle erdenklichen Gelegenheiten, Radierungen, Lithos, Siebdrucke, Holzschnitte, die von bekannten Artisten entworfen wurden. Der Schritt vom Kunstwerk zum Kunstgewerbe war unmerklich vollzogen. Die Kunst der Gegenwart hat davon allerdings profitiert. Man hat sie provisorisch ihrer Bürgerschrecktendenzen entkleidet, sie „gängig“ gemacht; freilich manchmal auch banalisiert, wie man anderseits ihren Revolten durch Kommerzialisierung den Stachel zu nehmen versuchte. *

Eigentlich hat die neue Kunst in Wien den phantastischen Realisten viel zu danken. Sie haben dazu beigetragen, daß heute wieder intensiv neue Gemälde gekauft werden (und in erster Linie übrigens längst nicht mehr die Wiener Schule). Wieviel Wahres ist dran, wenn Puristen klagen, daß just die fadesten Voyeurs dieser Kunstrichtung, sprich: die Nachhut, die, die mit ihrer Sentimentalität und kitschigen Banalisierung selbst dam Unkritischen das Gefühl der Kunstverständigkeit eingeschmeichelt haben, eine Hausse auf dem Bildermarkt initiierten. So man-

eher Käufer hat sich von da vorgetastet und ist unvermutet bed viel unbequemerer Kunst gelandet: bed Rainer oder Hundertwasser, Giron-coli oder Waske.

Aber haben Österreichs Künstler im Ausland Erfolge? ... Sogar imponierende! Ein Preis für Ernst Fuchs, den Papst der Wiener Phantasten, bei der Biennale in Säo Paulo und ein Verkaufsrekord (14 Riesan-gemälde) des Österreichers Adol] Frohner bei derselben Monsterschau. Erfolge der jungen Peter Pongratz und Gerhard Moswitzer bei der Biennale junger Kunst in Paris, Erfolge Alfred HrdUikas in London, Hoflehners Plastikenmassenabver-kauf in Südamerika, bekannte Architekturpreise und Wettbewerbsauszeichnungen für Hans Hollein und Architekt Holzhauer, internationale Großaufträge für österreichische Komponisten, wie Ligeti, Haubenstock-Ramati, Cerha. Erfolge dei Haus-Rucker-Co beim Kölner Kunstmarkt und Attersees in New York, Zürich, München, Berlin, Erfolge eines Cornelius Kolig in Köln, Jor-rit Tornquists in Mailand, Karl Korabs bed der Großen Surrealistenschau in Köln, erstaunliche Buchauflagen österreichischer Autoren, wie Handke, Bauer, Jonke ... Gewiß, wirtschaftliche Konjunktur-

phasen und Geschäfte, nein: Spekulation mit moderner Kunst stehen stets in ursächlichem Zusammenhang. Außerdem ist die Kundschaft vielschichtiger geworden, neue Kreise sind hinzugekommen, der Mut zum Experimentieren (in der Kunst wie im Handel) sind gewachsen.

*

Jeder Versuch, einen großräumigen Überblick über die künstlerische Entfaltung in Österreich nach dem zweiten Weltkrieg zu gewinnen, zeigt eine gewisse Ähnlichkeit auf mit der Situation zwischen 1910 und 1914: Koexistenz verschiedener, oft diametral einander gegenüberliegender -Au^draclfsfjormen ist erneut Devise. Geometrisches Kalkül, die Geste zur Erschütterung des Bestehenden in turbulenten Ausbrüchen, die Neigung, physiognomische Zerrbilder zu geben, dadaistischer Materialkult und unablässige Versuche, das Material zu dynamisieren, anderseits auch erstmals die Einbeziehung des Schaffenden in den Entstehungsprozeß des Kunstwerks existieren nebeneinander. Nur mit dem Unterschied, daß der Kampf „abstrakt“-„gegenständlich“ in den vergangenen Jahren mit eben mehr Radikalismus geführt wurde, der „formale Prozeß um vieles wissender und selbstbewußter geworden ist“

(Werner Hofmann), Wo tatsächlich das Übergewicht im letzten Drittel unseres Jahrhunderts liegen wird, kann man nur abwarten. Ein Prozeß zunehmender Intemiationalisierung österreichischer Kunst ist eingeleitet (auch im Handel).

Der Angriff der mißgünstigen Konservativen, vor allem der Vereinigungen gegen die neue Kunst, die „die Kunst der Gegenwart ausschließlich in den Händen der Abstrakten“ glauben, ist glattweg falsch geführt. Sie übersehen geflissentlich die „qualvolle Gegenstandswelt veristdscher

und phantastischer Surrealisten, aber auch die neuen Gegenstandsbeschwörungen, die alle expressiven Richtungen des ersten Halb Jahrhunderts rekapitulieren“. Aus diesem Pensum hat sich ein neues Bild von Mensch und Natur geformt. Nur, wie zahm scheinen uns heute die Revolten der Fauves, gemessen an diesem „Neuexpressionismus“ und „Neufau-vismus“, der gegen alle Schönformig-keit protestiert und revoltiert (die früheren Bilder eines Arnulf Rainer, Maria Lassmigs, Mikls bezeugen es). Die geschichtliche Herkunft all dieser Künstler ist schwer zu bestimmen. Wo vehemente Gebärden und Farbkatarakte auftauchen, gehen sie zuriiek auf das „action padnting“. Andere kommen aus dem skurrilen Surrealismus ... Die Cobra-Gruppe wie die Irrenkunst haben unleugbar Spuren bei den „Wirklichkeiten“ hinterlassen. Neue konstruktive Vorstellungen spielen auch immer wieder mit, führen in kinetische Experimente, ja bis zur Zerstörung des konventionellen Begriffes „Kunst“. Man ist am Nullpunkt angelangt. Die Frage „Was ist Kunst?“ wird erst neu beantwortet werden müssen. Hier wie überall in der Welt. Daneben lebt sich weiter der aggressive Angriff auf „die ästhetischen Leitbilder des Wohlgefügten aus: als Bloßlegung unbeschönigter Kreatürlichkeit wie als Versuch der Entdeckung neuer Symbolschichten, in denen sich die prekäre Existenz des Menschen spiegeln soll“. Das heißt: die österreichische Kunst der siebziger Jahre wird nicht weniger vielschichtig sein, als sie es bisher war. Neue Tendenzen stehen — wenn man solche Prophezeiungen überhaupt tun soll — kaum bevor. Der Anschluß an die Ideen und Vorstellungen Europas und der USA ist längist vollzogen. Von der Auswertung wird auch der internationale Erfolg abhängen. Und vom Mut, das hier Geleistete international — in Venedig, Säo Paulo, Kassel, Paris, New York — zu präsentieren. Ohne Verspätungen um zehn Jahre, die zu „österreichischen Schicksalen“ in Künstlerkreisen rühren.

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