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Reflexion des Umbruchs

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China ist ein heißes Thema, nicht nur in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, sondern auch in Sachen Kunst. Einen überzeugenden Beweis dafür liefert „China !”, eine Ausstellung zeitgenössischer Malerei, die - nach ihrem Start in Bonn und vor der Weiterreise nach Singapur, Kopenhagen, Berlin und Warschau - im Wiener Künstlerhaus haltgemacht hat.

Für die Realisierung ihres Projektes reisten Walter Smerling (von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur e. V.) und Dieter Ronte (Direktor des Kunstmuseums Bonn) gemeinsam mit einem in Deutschland lebenden chinesischen Künstler durch sieben Regionen im Reich der Mitte. Nach Besichtigung der Werke von über 500 Künstlern war es notwendig, ein Auswahlkriterium zu finden.

Die Ausstellung beschränkt sich daher auf die in China erst seit etwa 110 Jahren praktizierte Ölmalerei und auf junge Künstler, die ausschließlich in ihrer Heimat studiert haben. Nichtsdestotrotz tritt hier exemplarisch an 31 Künstlern die unglaubliche stilistische und inhaltliche Vielfalt der chinesischen Avantgarde zu Tage. Avantgarde ist dabei nicht im Sinne der europäischen Kunsttheorie zu verstehen. Denn China zeichnet sich geradezu durch einen Mangel an Theorie aus.

Wie es Dieter Ronte auf den Punkt bringt: „Die Bilder sind praktische Ausdrucksformen von Wissen, von Erfahrungen, von Gefühlen, nicht aber von wissenschaftsimmanenten Konstruktionen, von Theorien also, die Regeln beinhalten, nach denen das Gelingen zu beurteilen ist. Die chinesische Kunsttheorie ist kein Computer mit einem Programm, das einem bestätigt, ob das Resultat richtig ist.”

Avantgarde meint vielmehr jene Positionen, die sich den offiziellen Richtlinien für Kunst widersetzen, wonach Kunst - gemäß dem immer noch gültigen Motto Mao Tse-tungs „Laßt hundert Blumen blühen” - vor allem Schönheit und Harmonie vermitteln soll. Schön ist, was jeder versteht (etwa Landschaften oder Hirten- und Bauernidyllen) und als handwerklich perfekte Kunst erkennen kann. An den Kunstakademien legt man also größten Wert auf die Beherrschung der traditionellen Techniken: Kalligraphie und Tuschmalerei. Ölmalerei wird durch das Kopieren europäischer Meisterwerke gelehrt.

Auch die meisten der in der Ausstellung gezeigten Künstler lehren an den Akademien den offiziellen Stil. Ihre künstlerische Individualität allerdings können sie nur in den privaten Ateliers ausleben. Was dort entsteht, ist nicht mehr brav und läßt sich in kein bestimmtes Eck drängen:

Gut informiert über westliche Malerei und doch im Einklang mit der eigenen Tradition reflektieren sie den politischen und sozialen Umbruch. Das geschieht zum Teil mit Zynismus und zitathafter Ironie, sodaß man fast geneigt ist, von etwas wie einer „chinesischen Postmoderne” zu sprechen. Manche äußern sich laut, grell, aggressiv oder mit einem Lachen, das nur scheinbar so wirkt, als würde es aus vollem Halse kommen. Andere, die Abstrakten, suchen nach Visionen jenseits der sichtbaren Welt, nach Stille oder auch visuellem Chaos.

Diese dynamische Kunstszene wird von offizieller chinesischer Seite ignoriert. Solcherart unangepaßte Werke werden weder in den öffentlichen Museen ausgestellt noch gekauft. Während sie hingegen in Hongkong, Taiwan, Singapur oder New York gut im Geschäft sind.

Der Leitsatz der Wiener Secession

- „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit.” gilt sicher nicht in China, wo das antiquierte staatliche Kunstwollen in krassem Gegensatz steht zum wirtschaftlichen Fortschrittsdenken. Kunst ist der Spiegel ihrer Zeit. Warum sollte er ausgerechnet in einem Land, das gerade einen allgemeinen Wertewandel erlebt, blind sein ?

Aber selbst im guten alten Europa stoßen Ausstellungen wie diese, die sich mit außereuropäischer Kunst auseinandersetzen, oft auf heftige und voreilige Kritik. Wie die (Kunst-)Ge-schichte lehrt, war man sich in Europa nie zu gut, Kunst und Kultur anderer Kontinente mit der eigenen zu vermantschen: „Unserem” Geschmack angepaßt, kam das Chinesische, Orientalische und Afrikanische in Mode. Dem originären Schaffen dieser Kulturen haftete dennoch der Hauch des Kuriosen an. Angesichts unserer erwiesenen „Weltoffenheit” und noch dazu im Zeitalter der überstrapazierten Globalisierung - wäre es da nicht wünschenswert, sich vorurteilsfrei auf so eine Ausstellung einzulassen ? - Kunst hat schließlich keine Grenzen.

China! Zeitgenössische Malerei.

Künstlerhaus Wien, bis 20. April 1997, täglich 10-18 (üo. 10-21) Uhr.

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