6718691-1965_02_15.jpg
Digital In Arbeit

Rembrandt als Gast

Werbung
Werbung
Werbung

Wie bereits angekündigt, ist seit dem 19. Dezember des vergangenen Jahres in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste ein wesentliches Werk Rembrandts, das „Bildnis seines Bruders Adriaen“ , zu sehen. 1650 entstanden, datiert und signiert zeigt es den Bruder des Künstlers im Dreiviertelorofil, d^n Kopf vom Beschauer nach rechts gewendet, als Brustbild, wobei der Oberkörper etwas mehr als die Hälfte des Bildes einnimmt. Der Lichteinfall von links oben hebt Stirn. Backenknochen und Nase stark hervor und grenzt auf dem weißen schmalen Hemdrand aufleuchtend den Hals gegen den Körper scharf ab. Diese dramatische Lichtführung steht in deutlichem Gegensatz zu der nahezu gleichmäßigen Durchleuchtung des Frauenbildes aus dem Besitz der Galerie, einem .Tugendwerk aus dem Jahre 1632, das daneben hängt und weitere aufschlußreiche Vergleichsmöglichkeiten bietet. Der gleichmäßigeren Beleuchtung des Frühwerkes entspricht eine Dekonzentration in der Komposition der Hände, die von dem ungleich weniger psychologisch durchgebildeten Gesicht der Frau ablenken. Die Malweise ist bei tech-' nischer Vollendung im Jugendbild gleichmäßig vertrieben und glatt, erreicht weniger plastische Größe im Körper und den Armen als der summarisch angelegte Rumpf im Bildnis des Bruders über dem der räumlich wuchtig durchgebildete Kopf steht, der durch den genialen Einfall des an den rechten Bildrand spitz vorstoßenden Helligkeitskeil sein Relief bekommt. In diesem Spätwerk ist die Malweise im rotockrigen Inkarnat flockig und gelöst, von einem Mittelton in die Tiefen und die Helligkeiten gearbeitet. Die Partie um das Ohr und das rechte Auge, das mit dem Augenwinkel die Mittelachse berührt, hat stärkste plastische Eindringlichkeit und Stufung. Der graue Haarwuchs liegt einem deutlich gewölbten Schädel auf. der eraue Schnurrbart bedeckt eine den Kiefer spüren lassende Oberlippe. Dieser räumlichen Intensität des Kopfes entspricht eine ebenso große seelische. Der Ausdruck des gealterten Mannes, dessen Blick nach rechts aus dem Bild abirrt, ist ebenso mürrisch wie resigniert, ebenso skeDtisch wie fragend. Er entsnricht jener Vanitas-Haltung die zum Teil das beginnende Spätwerk Rembrandts charakterisiert. Die Mühsal und die Last eines schweren Lebens erhält hier eine von Bitterkeit nicht freie Dar-stellune. die nur durch das nahezu überirdische Licht gemildert und versöhnlich gestaltet wird. Eine von rechts hereinkommende helle Stelle im Oberkörppr legt den Gedanken nahe, daß Rembrandt daran dachte, die linke Hand des Dargestellten ins Bild zu bringen — auf einen Stock gestützt? — um damit den etwas übermächtigen Rumpf zu gliedern. Die Vermutung drängt sich auf. daß das etwa gleichzeitig entstandene Bild „Der Mann mit dem Goldhelm“ , das ebenfalls den Bruder zeigt, eine spätere Fassung des Bruderbildes darstellt und daß das vorliegende Werk im eigentlichen unvollendet geblieben ist. Geht hier die Fragestellung noch ins Leere, so ist sie dort in sich selbst hineingerichtet und erhält eine neue, noch menschlichere, gesammeltere Bedeutung. Die Anwesenheit dieses meisterhaften Bildes in der Galerie der Akademie bietet einen willkommenen Anlaß auf ihre in manchem großartige Sammlung hinzuweisen und derzeit vor allem darauf, daß sie gerade im Hinblick auf die Lorrain-Ausstellung der Albertins nicht nur einen kleinen bezaubernden Elsheimer, sondern auch zwei Claude Lorrains, darunter die seltene nach der Natur gemalte „Schafhürde“ , einen Gaspard Dughet — ein Schwager Poussins -—. mehrere ausgezeichnete Karel Du Jardins und eine ganze Reihe niederländischer Italianaten besitzt, die diese hinreißende und einmalige Ausstellung glücklich ergänzen. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, daß in Wien zwei Bilder Poussins zu sehen sind, das eine im Kunsthistorischen Museum und das andere in der Galerie Harrach auf der Freyung. Grund genug, um über die Jahreswende eine besinnliche Kunstwanderung anzutreten, die ihren Ausgangspunkt in der Albertina findet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung