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Romantische Kunstreligion und italienischniederländischer Raum

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In der schier unausschöpfbaren Fülle neuer Ideen und Gegenstände, die in der romantischen Bewegung Epoche machten, ist wohl eine der bedeutsamsten Thesen die, daß Religiosität und Kunst Kundgebungen des gleichen inneren Verhaltens seien. „Religion“, „Religiosität“, mit diesen Worten begreift die frühromantische Generation am Ende des 18. Jahrhunderts ihr Verhältnis zum Absoluten. Der Religionsphilosoph Schleiermacher umschreibt dieses Verhältnis als „Anschauung des Universums“, nachdem er es von den „Usurpationen der Metaphysik“ befreit hatte. Gleichzeitig mit Schleiermachcrs Moder-nisierung der Religionsphilosophie erschienen Wackenroders „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, in denen der Versuch unternommen wurde, eine bis dahin in solcher gedanklichen Glut nicht erlebte Einheit von Religion und Kunst zu verkünden: „Es ist mir. gelungen, einen neuen Altar zur Ehre Gottes aufzubauen.“ Dieser neue Altar ist das, was hier formelhaft „Kunstreligion“ genannt wird.

Eine der Quellen dieser Kunstreligion, in der man Kunst nicht genießt, sondern anbetet, in der der Künstler nicht Originalgenie, sondern Heiliger ist, ist die Mythologisierung des Lichtes, wie sie voll Kühnheit und innerer Spannung Renaissance-und Barockmalerei erfüllte. So sieht auch Wackenroder im „himmlischen Lichtstrahl“ die Ursubstanz der Künste. Dieses Urlicht, Symbol des göttlichen Geistes, entfaltet sich zu den Künsten, indem es „durch das mannigfach geschliffene Glas der Sinnlichkeit unter verschiedenen Zonen... in tausenderlei verschiedene Farben“ gebrochen wird. Diese Lichtstrahlmythologie wirkte auf die romantische Auffassung der Malerei bestimmend. Wackenroders Ziel war das Sichtbarmachen der durch das Wort verdunkelten geistigen Mächte. Diese waren ihm am eindringlichsten im Symbol des Lichtes und des Tones faßbar. So erscheint es folgerichtig, daß ihm Malerei und Musik als die idealsten Gestalten einer Kunst ohne Worte, aber auch einer wortlosen Religiosität erschienen. Wir wissen von dem bestimmenden Eindruck, den Kirchenmusik und kirchliche Kunst in Bamberg auf Wackenroder ausübten Bamberg, Nürnberg, Pommersfelden mit seiner bedeutenden Sammlung italienischer Malerei, sie' alle sind hier nur einzelne Namen für jenen italienisch-deutschen Süden, in dem die norddeutschen Protestanten der frühromantischen Generation zur Erkenntnis ihrer Berufung erweckt wurden. Dieser südliche Raum erstreckte sich von Rom bis zu den genannten Städten Frankens. Das große Erlebnis dieses katholisdien Raumes wurde für die Entwicklung des romantischen Geistes in den vom Norden und Osten her einwandernden Protestanten bestimmend. Dem Fernendrang des Nordostens hat ja noch Eichendorff Ausdruck verliehen: „Ach, wer da mitreisen könnte.“

Die kultischen Formen des Bamberger Bistums und die italienische Malerei gehen in Wackenroder jene Legierung ein, die er „Kunstandacht“ nennt. Und diese Andacht erhebt ihren verzückten Blick zu Raffael und den Malern des italienischen Quattrocento als ihrem Kunsthimmel. In der Galerie zu Pommersfelden stammelt Wackenroder verzückt über eine Madonna Raf-faels: „Zerreiße meine Worte, wer das Götterbild sehen kann; und zerschmelze in Wonne, wer es sieht“ Aus gleichem Geist nennen „Die Gemälde“ von A. W. und Karoline Schlegel Raffael den „Priester“, durch den man zum Katholizismus bekehrt werde. In der Tat kommt den Bildern Raffaels, besonders seinen Madonnen, in der Geschichte der romantischen Konversionen eine auffallende Rolle zu. Der Norweger Steffens gar bricht nach dem Besuch der „Sixtinischen Madonna“ in Dresden in die Worte aus: , Was ich fühlte, nenne ich Andacht, Anbetung, weil ich kein Wort sonst weiß.“ Gerade hier, in Sachsen und Franken, in jener schier wichtigsten mitteldeutschen Geisteszelle der romantischen Dichtung, erleben die eingewanderten Protestanten die Einheit von Religion und Kunst. Sprachlich wurde jener Raum, dessen künstlerischer Ausdruck für die Romantik so bestimmend wurde, durch die Dialekte des „Romanzo“, das sind Proven-zalisch, Spanisch und Italienisch, umgrenzt. Nach dem Worte Romanzo gab sich ja die romantische Bewegung ihren Namen. Diesem geschlossenen, damals noch kaum wirklich begangenen Urwald der Dichtung und Kunst entstammen denn auch die „Kunstheiligen“ der romantischen Dichtung und Philologie: Dante, Boccacio, Ariost, Petrarca, Tasso und Cervantes. Sie sind der neuerwachenden Dichtung, was die Madonnen Raffaels den Malerenthusiasten sind: die großen kultischen Svmbole ihrer Kunstreligion. Die Geschichte der Auseinandersetzung mit jenem Räume des Romanzo ist in ihrer ganzen, reizvollen Mannigfaltigkeit noch ungeschrieben. Sie wird sich nur dem ganz ersdiließen, der sie vom Verhältnis des Geistes zum Raum her formen kann.

Folgen wir Herman Grimm an Hand seines Essays „Cornelius und die ersten fünfzig Jahre nach 1800“ in die Niederlande und an den Rhein. Schon Grimm lag der offensichtliche Zusammenhang zwischen dem Einbruch der Revolutionsarmeen Frankreichs in die Niederlande und die Rheingegenden, mit der Renaissance der Gotik zu Beginn des 19. Jahrhunderts klar vor Augen. Denn diese Armeen waren es, die dep durch Religionskriege und Bilderstürmerei stark mitgenommenen Kunstbesitz des Adels und der Klöster am Niederrhein und in den Niederlanden zum größten Teil vernichteten, den der Vernichtung entgangenen Rest aber auf den Markt warfen, so daß aus gelegentlichen Ankäufen dieser Überbleibsel die großartige Sammlung der Rheinländer Boisseree hervorgehen konnte Grimm weiß zu berichten: „Auf diesen herrlichen Tafeln sdiien sich die Form zu offenbaren, deren das neue deutsche Wesen bedurfte. Die Werke der Van Eyck, Van der Weyden und Memlings wirkten wie überirdische Offenbarungen, wie direkter Widerschein der himmlischen Dinge. Nur dem vorbereiteten, würdigen Kunstfreunde wurden sie wie Heiligtümer gezeigt. Das war echte Kunst, Natur, Gottesdienst im edelsten Sinne.“ Wie man sieht, betont auch Herman Grimm den Gedanken der Kunstfrömmigkeit. Die Säkularisation des geistlichen Kunstbesitzes als Folge des Friedens von Luneville (1801), durch die die ehemaligen Nutznießer der an Frankreich abgetretenen Gebiete entschädigt werden sollten, schildert Tiecks Novelle „Eine Sommerreise“ mit Wehmut: „Es ist unklug und unschicklich, wie im Dom, während am Nebcnaltar eine stille Messe gefeiert wurde, die silbernen Kirchengefäße und sauber-gearheiteten Kruzifixe in Kisten mit dem größten Geräusch und Lärmen gepackt und geworfen wurden. Die Käufer der Sachen waren zugegen, und man zerbrach einige Kreuze mir großem Geräusch, die sich dem Kasten nicht fügen wollten.“ Noch weit trauriger ist Sulpiz Boisseree: „Wir sahen dergleichen Wandmalereien beim Niederlegen von Kirchen, was in jener Zeit in Köln sehr oft geschah. Man untergrub zu diesem Zweck ein paar Pfeiler, stützte die selben mit hölzernen Streben, zündete dann die Hölzer an, und im Augenblick, wo die Pfeiler zusammenbrachen, sahen wir die Kalkdecke von den Wänden und Gewölben sich loslösen, unter welchen die bemalten Flächen wie in einem Blitz hervortraten, um für immer zu verschwinden.“

In dieser Zeit der Säkularisation weilte Friedrich Schlegel, der führende Kunstphilosoph der deutschen Romantik und selbst Raffaelit, in Paris und lernte hier die Brüder Boisseree kennen. Diese hatten eben auf einer niederländischen Reise die Gotik von Löwen, Mecheln, Antwerpen und Brüssel mit ihren erhabenen Kathedralen wieder entdeckt und wurden durch dieses Erlebnis der hohen Gotik entscheidend bestimmt. Schon Georg Forsters „Ansichten vom Niederrhein“ priesen ehrfürchtig den Dom zu Köln. Nun aber, in dieser Pariser Begegnung der Brüder Boisseree und Friedrich' Schlegel sowie in der durch sie angeregten gemeinsamen Reise durch die Niederlande, ward Friedrich Schlegel und durch ihn ,der gesamten romantischen Bewegung ein zweiter, in sich geschlossener Geistraum eröffnet, der auf ganz anderen geschichtlichen und geistigen Voraussetzungen beruhte, als der Raum des „Romanzo“. Es war der gleiche französischniederländische Raum, den Huizingas Buch „Der Herbst des Mittelalters“, farbenprächtig und schwelgend in der düsteren Glut jener kulturellen Spätzeit dem Raum der italienischen Renaissance und seiner lichten Pracht gegenüberstellte. Jener Raum ist, groß gesehen, durch die Eckpunkte Paris, Antwerpen und Köln bestimmt. Ihm verdankt die Welt die Blüte der gotischen Kunst und Mystik. Schon in Paris befand sich Friedrich Schlegel auf einem zum niederrheinisdi-flandrischen Räume gehörenden Boden. Noch im 15. Jahrhundert wurde in Paris ebensoviel flämisch als französisch gesprochen, und mit Recht verweist Oswald Spengler (Untergang I, 307) auf die Tatsache, daß die alten Stadtteile von Paris zu Brügge und Gent, nicht aber zu Troyes oder Poitiers gehören. Auch Köln, die Stadt, in der Schlegel die Summe seiner niederrheinischen Lebenswende zog, als er 1808 im Kölner Dom zum Katholizismus übertrat, hatte wie Paris selbst seinen geistigen Nährboden immer im nordfranzö-sisch-burgundisdien Raum gehabt. Friedrich ^dilegcl hat, nachdem sich ihm dieser Raum erschlossen hatte, aus den Resten der altrheinischen Kunst die religiösen und mysti-sdien Quellenströme jener frommen Malerei und Baukunst wieder freigelegt. Goethe hat ihm denn auch das Verdienst zugebilligt, daß er „eben damals durch seine Anregung die Aufmerksamkeit der Forsdicr zuerst auf die alte niederrheinische Malerschule und die in Köln befindlichen Werke derselben hinlenkte“. Er entdeckte aber auch die dem rheinisdnen Räume angehörenden Philosophen und Mystiker, wie Cues, Meister Eckhardt und Friedrich von Spee, und seine Gattin Dorothea verstand erst durch die architektonischen Wunder des Kölner Doms die Kunst der Fuge und gelangte zur Wiederentdeckung des gemeinsamen Grundes von Musik und Baukunst.

Es gibt eine eigene Mythologie und Magie der Polis. Die der Roma begegnet zum Beispiel bei Thomas de Quincey, bei Baudelaire, bei Dostojewski, bei Rilke und ■j;anz besonders bei Fallermayer und Alfred Sdiuler. Eins steht auch für den historischen Realisten fest, daß die großen Weltstädte Jerusalem, Athen, Byzanz und Rom die entscheidenden Mittelpunkte historischer Schwerkraftfelder sind. Deutschlands kulturelles Sdiicksal scheint mir unter vielerlei Ursachen auch darin begründet, daß es keine Polis im Sinne jener großen Städte hat, daß es vielmehr zentrifugal im Wirkungsbereich mehrerer einander überschneidender Schwerkraftfelder des europäisdien Geistes liegt. Dies zeigt die deutsche Romantik, wie kaum eine andere geistige Bewegung, mit aller gewünschten Deutlichkeit. Paris und der ihm zugehörige niederrheinische Raum, das war für die deutschen Romantiker die Polis, eines dem römischen Genius entgegengesetzten Raumes des Nordens, in dem sich die Antike als tausendfach gebrochener Lichtstrahl zur gotisdien Kunst entfaltete. In der Berührung der dcutsdien Romantik mit dem Genius dieses Raumes sehe ich neben der mit dem Geiste Italiens, in der Überschneidung beider Kraftfelder, die mächtigste und ergiebigste Quelle der romantischen Kunstreligion und Kunstmythologie.

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