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Romeos Burg

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Die ragenden Zinnen der wildgeformten, grauen Dolomitenberge begrenzen im Norden den Horizont, während nach Süden hin die Ebene grün und fruchtbar unter dem Dunst des nahen Meeres liegt. So erschließt sich Venezien dem Besucher. Nicht nur die Landschaft ist hier sanfter und milder als in der westlich gelegenen Lombardei, auch die Sprache klingt weicher als dort. Der größte lateinische Prosaschriftsteller, Titus Livius, ist in Padua, also im Zentrum Veneziens, geboren worden und Roms größter Dichter Virgilius an der westlichen Ausfallspforte Veneziens, in Mantua, zur Welt gekommen. Die französischen Anklänge, die uns in der Lombardei und vor allem in Savoyen so sehr auffallen, fehlen hier ganz und aus dem harten „Duca” ist das wohlvertraute und klingende „Doge” Venedigs geworden. Zwischen dieser Stadt, ehrwürdig und unvergleichlich durch ihre Bauten wie durch ihre Geschichte, und dem bergnahen Trient spannt sich die farbensatte, fruchtbare Landschaft Veneziens.

Westlich von Vicenca klingen die südlichsten Alpenketten, deren kühne Felsgipfel sich im Norden unmittelbar an die Dolomiten anschließen, mit sanften Hügeln in das ebene Schwemmland der breiten Flüsse Etsch und Po aus und leiten mit ihrer milden Kurve in die fruchtbare Ebene über. Als letzte Wellen erdgeschichtlich bewegter Zeiten tauchen in dieser Landschaft da und dort noch kleine Kuppen aus den Weingärten und Maisfeldern auf und tragen auf ihren Rücken Schlösser und Burgruinen, um die herum einst die Dörfer wuchsen und die kleinen Städte entstanden.

Dort, wo ein langes und landschaftlich reizvolles Tal durch die immer enger werdenden Berge nach Recoaro hinaufführt, wo heilsame Wässer aus dem grauen Felsgestein brechen, stehen über einer kleinen Ortschaft mitten im Rebengehügel, auf zwei eng zusammengerückten, schroff abfallenden Bergspitzen, die altersgrauen Gemäuer stattlicher Burgen. In dem kleinen Dörfchen Montecchio Maggiore ist außer dem üblichen Bild des ‘geruhsamen italienischen Alltags nichts Interessantes zu sehen; darum wundert es auch die Einheimischen, daß der Fremde den mühsamen Aufstieg auf die mauergekrönten Hügelrücken sucht. Harter Basaltfels, aus unruhiger Erde in vorgeschichtlicher Zeit vulkangeboren, gibt den Grundstein für die Wälle und Zinnen der zwei Burgen. Man schaut von diesen Anhöhen weit über das venezianische Land, über die Dächer und Kuppeln und Vicenca und über die wohlbebaute Ebene im Süden. Wie auf einem Söller steht man hier, auf einem weit vorgetriebenen Wall, einer Felszunge im flachen Land. Der niedrige und nach allen Seiten steil abfallende Hügelzug mußte einen besonders günstigen Platz für die Errichtung einer wehrhaften Burg bieten und jeden, der hier den Reichtum des umgebenden Landes in sicherem Hort verwahren wollte, zum Bau eines Schlosses verlocken. Wann dies das erstemal geschehen ist, läßt sich heute kaum mehr feststellen. Vermutlich aber haben schon verschiedene Herrscher und Fürsten vor den Skaligem hier ihre festen Plätze angelegt. Die Grundmauern der Ruinen, die heute hier noch zu sehen sind, stammen wohl aus dem 14. Jahrhundert, also aus jener Zeit, da überall in ganz Italien, an den Alpenhängen, an den Steilufern der Seen und auch mitten in der Ebene die skaligi- schen Burgen aufwuchsen. Sie alle haben dann in der wechselvollen Geschichte dieses Landes mehrmals ihre Besitzer gewechselt und die Kriegsstünne dieser unruhigen Zeiten haben auch die Zinnen der Burg Montecchio umbrandet. Überliefert ist nur, daß sie im Jahre 1544 von Gerolamo Marola im Namen der Republik Venedig erstürmt und völlig in Schutt und Asche gelegt wurde, damit der Löwe von San Marco hier keinen Widersacher mehr fände.

Dennoch würde, abgesehen von der einzigartigen Lage, diese Burgruine nichts aus der Vielzahl der anderen herausheben, die hier überall im oberitalienischen Raum auf den Hügeln und Bergen stehen und die alle eine bewegte Vergangenheit, eine farbenbunte Geschidite haben. Diese Doppelburg Montecchio aber, die durch einen langen unterirdischen Felsengang miteinander verbunden ist und von der angeblich auch ein geheimer unterirdischer Weg bis in die Stadt Vicenca geführt haben soll, ist mit dem Namen des berühmtesten aller tragischen Liebhaber der Weltliteratur, mit dem Namen Romeos, verbunden.

Daß Burg und Dorf Montecchio heißen, verrät dem Kundigen bereit , daß sie einmal zur Herrschaft der Montecchi gehörten, den in der Geschichte oft erwähnten Widersachern der Capuletti. Bekanntlich spielt die unsterbliche Liebesgeschichte, deren Haupthelden die Namen Romeo und Julia tragen, in Verona, wo die beiden miteinander verfeindeten Familien ihre Stadtpaläste hatten. Nicht Shakespeare hat, wie vielfach angenommen wird, die Fabel dieser Geschichte erfunden und auch der Rahmen des mittelalterlichen Veronas, in dessen Mauern er die Tragödie spielen läßt, war nicht sein Einfall. Die beiden Geschlechter hat es tatsächlich gegeben, sie waren tatsächlich in dieser Gegend hier begütert und ein italienischer Dichter, Luigi Daporte, hat sie zum erstenmal aufgezeichnet und in der Mitte des 16. Jahrhunderts in einem Bande mit verschiedenen anderen Erzählungen aus seiner Zeit veröffentlicht. Den sicherlich sehr interessanten Vorwurf für die klassisch gewordene Liebesgeschichte hat dann der Franzose Boisteau übernommen und von diesem wieder der Engländer Arthur Brooks, der sie in einem Versepos besungen hat. Aus diesen längst vergessenen Versen hat dann Shakespeare am Ende des 16. Jahrhunderts den Kern der Dichtung geschält und unter Belassung des ursprünglichen Handlungsortes daraus sein großes Drama gestaltet. Wie wir wissen, spielt die Shake- spearesche Fassung der unsterblichen Liebesgeschichte aber keineswegs irgendwo auf einer Burg, sondern in und vor den Palästen der beiden feindlichen Familien Montecchi und Capuletti in Verona. Die Volkssage Veneziens aber hat mit der Tatsache, daß die schöne Doppelburg einmal auch zum Besitztum der Montecchis gehörte, eine eigene Sage gemacht vnd mit der aller überlieferten Geschichte eigentümlichen Vereinfachung die Sache so ausgelegt, daß in der einen der beiden Burgen Romeo gewohnt haben soll und in der anderen, nur durch eine Einsattelung des Berges von ihr getrennten, seine Julia. Man muß zugeben, daß diese schöne Fassung die Geschichte noch hübscher und glaubhafter macht. So stehen die Burgen nebeneinander: trotzig und schön, fast ineinander übergehend und doch getrennt, sagenumwoben und vom Gang der Geschichte arg mitgenommen.

So unromantisdi die heutige Zeit auch ist, so hat man sich doch dieser Burgen an- genommen und sie in jahrelanger, mühevoller Arbeit soweit restauriert und zum Teil auch wieder aufgebaut, daß sie nicht nur weiterhin erhalten bleiben, sondern auch ein eindrucksvolles Bild ihrer ursprünglichen Schönheit geben können. Erklärende Inschriften an den hochragenden Türmen setzen dem Besucher genau auseinander, daß die in dieser Gegend umlaufende Volkssage mit der historischen Forschung und den Erkenntnissen der Literaturgeschichte nicht ganz in Einklang zu bringen ist und er nicht ihr Glauben schenken darf, sondern einzig jenen verdienten Wissenschaftlern, die mit Fleiß und Gründlichkeit die Burg vor dem Verfall bewahrt und ihre wirkliche Geschichte genau aufgezeichnet haben.

Uns aber bleibt sie doch als das Schloß Romeos in Erinnerung, als die Burg aus dem Liebesmärchen, der schönsten eine im blühenden Venezien.

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