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Romische Gurten

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Zum Allerschönsten, was das alte Rom zu bieten hat, gehört es, durch die Ruinen der von Augustus, Tiberius, Vespasian, Domitian und Septimius Severus erbauten Kaiserpaläste zu streifen. Ähnlich wie der Name Casars — Kaiser, Zar — zur allgemein europäischen Bezeichnung der höchsten Herrscherwürde geworden ist, haben alle glanzvollsten herrschaftlichen Wohnsitze der Welt, haben alle Pfalzen, Paläste und Palasse ihren Namen den kaiserlichen Prunkbauten am Palatin entlehnt. Die Erinnerung an den einstigen Glanz gibt diesen ausgedehnten, aber heute so stillen Ruinen den höchsten Reiz und es ist ein unvergleichlicher Genuß, hier in den Kaiserbiographien des Tacitus oder Suetonius zu lesen. Die Melancholie, die der Gegensatz zwisdien einst und jetzt auslöst, wird aber durch die schönen Gartenanlagen, vor allem durch die Reste der Villa Farnese, deren Bäume, Blumenbeete und Wasserkünste die verfallenen Zeugnisse der Vergangenheit mit neuem Leben erfüllen, einigermaßen gemildert. Dieses Übereinander und Ineinander zweier Epochen und Kulturen regt den sinnenden Geist ganz besonders an und erfüllt das Gemüt mit jener geheimnisvollen und seltsam beunruhigenden Poesie, wie sie etwa in Eichendorffs „Marmorbild“ in Worte gefaßt ist. Wem es gar gelingt, in die sonst unzugänglichen heute unterirdischen Gemächer der Domus Augustana einzudringen und wer hier durch die geborstenen Gewölbe hoch über sich blühende Frühlingsblumen vor dem blauen Himmel leuchten und hin- und herschwanken sieht, dessen Herz müßte die fühllose Härte eines Kieselsteins haben, wenn er unter dem wehen Glück dieser Poesie nicht erschauern sollte.

Daß sich über den Ruinen antiker Bauwerke grüne Gärten erheben, Glyzinien und Rosen duften, dunkle Pinien und Zypressen Wache halten und Amseln und Naditigallen singen, kommt aber in Rom nicht nur am Palatin, sondern auch an vielen anderen Orten vor. Über dem Kolosseum, am Abhang des Esquilin, erbaute Kaiser Trajan seine ausgedehnten Thermen, wobei Teile von Neros Goldenem Hause als Substruktionen verwendet wurden. In diesen heute wieder ausgegrabenen, aber unterirdischen Räumen wurde einmal die Laokoongruppe gefunden und bewundert man heute noch antike Malereien, die man wegen ihrer Lage Grotesken nannte und an denen sich einst Raffael und seine Schüler inspirierten. Aber auch die Thermen selber verfielen und nur etliche Mauertrümmer, so die Reste dreier halbrunder Apsiden haben sich erhalten. Dafür dehnten sich hier mancherlei Gärten aus, die man freilich in früherer Zeit nur von außen bewundern oder höchstens auf heimlichen Schleichwegen betreten konnte. Seit neuestem aber ist das ganze Gelände freigelegt und zu einem öffentlichen Park umgewandelt, den jedermann ungestört betreten und bewundern kann und zwischen dessen Blumenbeeten und ungewöhnlich üppig duftenden Fliederbüschen sorg fältig ummauerte Lichtschächte zu den antiken Räumen hinabgehen.

Ein anderer Fall liegt vor in der Villa Aldobrandini im Zentrum der Stadt. Immer schon wunderte man sich über die hohe Lage ihres kleinen, aber schönen Gartens. 1926 aber entdeckte man, daß das Gartenparterre sich über den Ruinen antiker Häuser und über der angeblich von Servius erbauten alten Stadtmauer erhebt. Heute ist auch dieser Garten zugänglich.

Zu den schönsten und interessantesten Gärten Roms gehört der Garten der Villa Medici, der zwar nicht antike Ruinen überkleidet, wohl aber sich so an die Aurelianische Stadtmauer lehnt, daß die obersten Geschosse der Türme als Gartenhäuschen dienen. Bereits um die Mitte des XVI. Jahrhunderts angelegt, hat er reiner als andere römische Gärten den architektonisch ausgerichteten Renaissancecharakter bewahrt. Die symmetrisch angelegten Buchs- und Taxushecken, die nur von wenigen Zypressen, aber dafür von zahlreichen und ganz besonders mächtigen Pinien überragt werden, sind durch lauschige Wege getrennt, die nach allen Seiten Wandnischen, Brunnen, antike Statuen als Blickpunkte besitzen. Auf der Südseite wird das Gartenparterre durch eine hohe Mauer abgeschlossen, deren Rundbogennischen ebenfalls antike Statuen einschließen und deren krönende Balustrade sich malerisch von einem dunklen Steineichenwäldchen abhebt. Dieses bedeckt eine höhere Terrainstufe und soll dem regelmäßig angelegten Parterre gegenüber die freiwachsende Natur darstellen. Eine hohe, mehrfach unterteilte Steintreppe führt zuletzt zum Belvedere und zu seiner schönen Aussicht empor. Auch die Gartenfassade der Villa, die wesentlich reicher und freier gegliedert ist als die Straßenfront, ist mit antiken Reliefs geschmückt und besonderen Eindruck machte es auf 'mich, wie die letzten rosigen Strahlen der Abendsonne den prächtigen, träumerisch versonnenen Kopf der freistehenden Apollostatue zum Leben erweckten, vor dem dunklen Steineichenhintergrund ein doppelt wirkungsvolles Bild. Und auch das leise Wiegen dern Pinien vor dem feurigen Abendhimmel ist mir in Erinnerung geblieben.

„Schlösser sah ich und Türme, schimmernd und marmorweiß, dunkler Pinien Schirme wiegten im Winde sich leis ...“ Einen ganz besonderen Reiz besitzt der kleine Garten hinter dem Palazzo Colonna, der terrassenförmig den Steilhang zum Quirinal emporsteigt. Die geistvolle Ausnützung des ganz unregelmäßigen Grundstückes, die Terrassen, die dunklen Pinien und Zypressen und vor ihnen, weißschimmernd abgesetzt, als Abschluß gegen die Stadt eine Mauer mit doppelt-geschwungener Balustrade und mit Götterstatuen — das alles gibt dem intimen, halb versteckten und dem Blick des Fremden nur schwer zugänglichen Garten einen besonders eigenartigen Reiz. Übrigens bedeckt auch er antike Mauerreste, denn hier erhob sich einst der von Caracalla erbaute große Serapistempel. Aber schon allein der Name Colonna webt um den Palast, in dem dieses berühmte Geschlecht seit dem XV. Jahrhundert haust, und um seinen stimmungsvollen Garten einen eigenen Zauber, denn ganz anders als die römischen Fürstengeschlechter, die Titel und Reichtum erst als Nepoten der Barockpäpste erwarben, haben die Colonnas schon im frühen Mittelalter eine führende Rolle gespielt. Auch stellt man sich gern die berühmte Vittoria Colonna vor, wie sie wohl an dieser Stelle lustwandelte oder durch den Garten nach S. Silvestro ging, wo sie sich mit dem großen Michelangelo und anderen gelehrten Freunden über Religion, Philosophie und Kunst zu unterhalten pflegte.

Ich bin darauf gefaßt, daß man mich wegen snobistischer Neigungen belächelt, aber ich muß trotzdem ein heimliches Verlangen bekennen, mit dem mein Herz oft schon spielte — nämlich einmal im Leben am Canal Grande in Venedig als Gast in einem der dortigen Prunkpaläste zu wohnen und im Garten des Palazzo Colonna einmal an einem schönen Frühlingsabend zum Tee oder noch besser zu einem Glase dunkelroten Weins eingeladen zu werden. Der erste Wunsch wäre mir beinahe erfüllt worden, denn der Besitzer des prächtigen Palazzo Vendramin, in dem Richard Wagner 1883 starb, hatte mich tatsächlich für einige Tage zu Gast geladen. Ich fuhr zuerst nach Toskana und wollte Venedig auf dem Rückweg besuchen. Als ich aber mein Hotel in Florenz eben verließ, um auf den Bahnhof zu fahren, überreichte mir der Portier ein Telegramm, mit dem der Besitzer des Palastes meldete, seine Mutter, die alte Fürstin, sei plötzlich gestorben und ich möchte den Besuch verschieben. Seitdem hat der Palazzo längst seinen Besitzer gewechselt und die Hoffnung, von einem seiner Balkone jemals auf das dunkle Gewässer des nächtlichen Canals hinabzu-träumen, ist endgültig dahingeschwunden.

Noch viel mehr ist der zweite Wunsch ein Luftschloß geblieben. Nur eines habe ich endlich erreicht: Während man den Colonna-Gatten sonst nur von unten und schräg von der Straße her sehen kann, habe ich ihn mir diesmal mit allem Behagen von oben her betrachtet. Hart neben ihm erhebt sich nämlich der Neubau der Gregoriana, und ein befreundeter Professor, den ich dort besuchte, führte mich auf die ausgedehnte Dachterrasse, von wo man unmittelbar in den Garten niedersieht. Eben ging hinter der Peterskuppel die Sonne unter, der westliche Himmel erstrahlte in roter Glut und drunten im Garten sang eine Amsel und von Zeit zu Zeit auch eine Nachtigall.

Als ich dann etliche Tage später Rom ▼erließ und wegen der frühen Morgenstunde zu Fuß auf den Bahnhof ging, da machte ich noch mancher liebgewonnenen Kirchen- und Palastfassade einen raschen Abschiedsbesuch. Auch in der Straße, die am Palazzo Colonna vorbeiführt und von der aus man einen Teil des Gartens, vor allem aber die Balustrade mit den weißen Statuen und dahinter die schwarzen Zypressen sehen kann, blieb ich stehen und dachte mir, nun müsse mir die Nachtigall der Villa Colonna unbedingt ein Abschiedslied singen. Und tatsächlich, es vergingen keine zwei Minuten, und von den Zypressen herab erklangen acht, zehn schluchzende Töne. Nur acht bis zehn, nicht mehr. Und ob idi auch noch geraume Zeit wartete, die Nachtigall hatte ihre Schuldigkeit getan und ließ sich nicht mehr weiter hören.

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