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ROmischer Alltag in Afrika

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NORDAFRIKA UND DIE RÖMER. Von Gilbert Charles Picard. Titel des französischen Original Werkes: „La Civilisation de L'Afrique Romaine“, Librairie Plön, Paris. Ubersetzt von Robert Werner. Verlag Kohlhammer, Stuttgart. 306 Seiten, zusätzlich 11 Seiten Anhang. Preis 24.80 DM.

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NORDAFRIKA UND DIE RÖMER. Von Gilbert Charles Picard. Titel des französischen Original Werkes: „La Civilisation de L'Afrique Romaine“, Librairie Plön, Paris. Ubersetzt von Robert Werner. Verlag Kohlhammer, Stuttgart. 306 Seiten, zusätzlich 11 Seiten Anhang. Preis 24.80 DM.

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Es ist erfreulich, ein Buch wie dieses in die Hand zu nehmen und zu erleben, wie ein ausgezeichneter Fachmann wie G. Picard, der zur Elite der europäischen Archäologen zählt, sich mit größter Sachkenntnis, Liebe und Elan der Aufgabe entledigt, die römische Kultur und Zivilisation Nordafrikas einem breiten Leserpublikum lebendig nahezubringen. Eine umfangreiche und vollständige Bibliographie ist elegant und unaufdringlich, ver*-.; arbeitet, , und die Hinweise ,.auf,,.diese Quellen, diskret im Text untergebracht, stören auch den daran weniger Interessierten keineswegs. Sie machen vielmehr den im Überfleiß dem Originalwerk hinzugefügten Anhang „Einführung in die Quellen und Literatur zut Geschichte des römischen Afrika“ überflüssig. Diesem ist hier und da ein heiter stimmender Lapsus unterlaufen. So etwa ist P. Cintas nicht der Erbauer eines römisch-afrikanischen Hauses, sondern dessen Ausgräber und Pubiiiist (Seite 15 5, Anmerkung 36).

Picard läßt vor unseren Augen eine Kulturgeschichte des nordwestlichen Küstenstreifens Afrikas unter Berücksichtigung der geographischen, wirtschaftlichen und ethnologischen Gegebenheiten und deren Nutzung durch die Römer entstehen und interpretiert seine Theorien glaubhaft an Hand des archäologischen Fundmaterials.

Seine Betrachtungen schließen Libyer und Berber, Punier und Römer, Griechen und Ägypter ein, die im Verlauf von mehr als 500 Jahren zum Typus des afrikanischen Römers verschmolzen; er macht nachdrücklich auf Große aus diesen Reihen, die in die Geschicke des Imperiums eingegriffen und Bleibendes geleistet haben, aufmerksam. Unter ihnen ragen Septimius Severus, ein gebürtiger Afrikaner als Kaiser, Apuleius von Madaura als Schriftsteller, Rhetor und Weltreisender. Salvius Julianus als Jurist, Tertullian und Augustinus als eminent wichtige Verkünder und Interpreten christlicher Weltanschauung hervor.

Der Autor verfolgt die Entstehung und Entwicklung der (mehr als fünfhundert) römischen Pflanzstädte, darunter auch das wiederaufgebaute und im 3. Jahrhundert nach Christi als eine der Reichsmetropolen berühmte Karthago, beschreibt die Bauten der Legionslager von Timgad und Leptis Magna sowie die die Festungen verbindende Limesstraße. Er berichtet über die Anlage und den Bau der für die afrikanische Landwirtschaft so überaus wichtigen Aquädukte, unter denen der für die Wasserversorgung von Karthago bestimmte mehr als 80 Kilometer weit an die Stadt herangeführt werden mußte. Er schildert die reichgeschmückten Thermen und Fora der Städte, die häufig mit Hilfe der Summa honoraria — einer Ehrenspende, zu der für offizielle Ämter gewählte Senatoren und Ritter verpflichtet waren — errichtet wurden. An Hand von Grundrissen vieler ausgegrabener Villen und Landhäuser (Gutshöfe) wird die raffinierte Wohnkultur, ganz auf das Klima abgestimmt, mit weitläufigen Anlagen für schattenspendende Gärten. Peristylhöfen. Springbrunnen und sogar luxuriös ausgestatteten Souterrainwohnungen erläutert, deren architektonische Nachwirkungen heute noch an den Palastbauten arabischer Adeliger wahrnehmbar sind.

Vorwiegend waren es französische und italienische Archäologen, die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in Marokko, Algerien. Tunesien und Tripolitanien Forschungen durchführten. Das Ergebnis dieser intensiven archäologischen Erschließung liegt in ausgezeichnet publiziertem Material vor,..und dieser Umstand, .in Verbindung mit eigener, jahrzehntelanger Grabungstätigkeit erlaubt es Professor Picard, auf die verschiedensten Aspekte des täglichen Lebens in sehr origineller Weise einzugehen. Er befaßt sich mit der gesellschaftlichen Struktur der Bevölkerung in Stadt und Land, den Möglichkeiten der Erziehung und Bildung durch Privatlehrer, städtische Beamte und Reisen, der Art der Bodenbewirtschaftung und den Problemen der Politik und V-'waltung.

An Hand der gefundenen Inschriften, häufig ergänzt durch literarische Überlieferungen, formt Prof. Picard ein Bild der Verwaltung der kaiserlichen (Mauretania Caesariensis und Tingitana) und der senatorischen (Africa proconsularis) Provinzen, belegt die gute oder schlechte Amtsführung von Legaten und Prokonsuln, deren obligatorischer Tätigkeitsbericht von den Bürgern entweder mit einer Belobigung (Laudatio) oder einer Kritik beantwortet wurde. Sogar Aufzeichnungen über die fünf Prozent betragende Kaution, die ein Senator bei einem nachgewiesenen Vermögen von einer Million Sesterzen, ein Ritter bei 400.000 Sesterzen, im Falle der Bewerbung um ein öffentliches Amt erlegen mußte, sind vorhanden.

Mosaikbilder, in Afrika von außerordentlicher Schönheit und Qualität, werden immer wieder zur Interpretation der Lebensweise des afrikanischen Römers herangezogen. Sie illustrieren auf anschauliche Weise Leben und Arbeit auf den Gutshöfen, die Bebauung des Bodens und die Pflege der Obst-, Wein- und Ölbaumkulturen oder die Getreideeinbringung, denn Afrika war mit neun bis zehn Millionen Zentner jährlich einer der Hauptgetreidelieferanten Italiens.

Aber nicht nur über das tägliche Leben, sondern auch über die Religiosität der Afrikaner gewähren uns Mosaikdarstellungen Aufklärung. Sie lassen darauf schließen, daß die Verehrung punischer Götter spätestens im 2. Jahrhundert n. Chr. zugunsten der griechisch-römischen aufgegeben worden war. Vom Beginn des 3. Jahrhunderts an mehren sich die Zeichen christlicher Gesinnung an den Denkmälern.

Statuen und Reliefs überliefern, wenn auch häufig in volkskunsthafter Primitivität, die Kleidung der Punier und Berber, der römischen Bürger und ihrer Familien sowie der Sklaven und Schauspieler; damals wie heute war die Haartracht einer rasch wechselnden Mode unterworfen, und in vielen Fällen verhilft diese Tatsache zu einer genaueren Datierung der Kunstwerke.

Apuleius von Madaura schildert in seinen Werken das Leben der durch den Saharahandel, durch Schiffahrt und ertragreiche Bodenbewirtschaftung reichgewordenen Afrikaner, er spricht von deren üppigen Gelagen in goldstrotzenden Empfangszimmern. Wenig davon blieb außer den nackten Mauern und den mosaikgeschmückten Fußböden übrig, nur Reste zerbrochenen Geschirrs aus den berühmten Erzeugungsstätten von Arrezzo, Alexandrien oder Tarsos, und nur Fragmente zierlicher Figuren aus Bronze und Marmor zeugen vom einstigen Reichtum und den weitreichenden Handelsbeziehungen afrikanischer Römer.

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