6791873-1970_42_13.jpg
Digital In Arbeit

Rosen für Rosa, Vogelscheuchen

19451960198020002020

In diesem Jahr begingen zahlreiche Festspiele ihr Jubiläum. In Berlin feierte man den zwanzigsten Geburtstag. Ein verhältnismäßig junges Festival also. Aber doch nicht mehr so jung, daß es nicht der Regeneration bedürfte. Aber nicht durch weitere Forcierung seines Linksdralles und Avantgardismus, sondern eher durch Besinnung auf Wertbeständigeres. Dies zu finden ist heutzutage nicht leicht. Immerhin gelang bei den heurigen Festwochen, die vom 20. September bis zum 9. Oktober dauerten, das Kunststück, daß das Ganze besser erschien als die Summe seiner einzelnen Teile. Das liegt an der immer wieder erregenden Atmosphäre dieser Stadt, wo alles in hellerem (freilich auch in unbarmherzig dekouvrierendem) Licht daliegt als anderswo. Und wo die Publikumsreaktionen noch nicht so ausgeglichen, so neutral sind, wie etwa bei uns.

19451960198020002020

In diesem Jahr begingen zahlreiche Festspiele ihr Jubiläum. In Berlin feierte man den zwanzigsten Geburtstag. Ein verhältnismäßig junges Festival also. Aber doch nicht mehr so jung, daß es nicht der Regeneration bedürfte. Aber nicht durch weitere Forcierung seines Linksdralles und Avantgardismus, sondern eher durch Besinnung auf Wertbeständigeres. Dies zu finden ist heutzutage nicht leicht. Immerhin gelang bei den heurigen Festwochen, die vom 20. September bis zum 9. Oktober dauerten, das Kunststück, daß das Ganze besser erschien als die Summe seiner einzelnen Teile. Das liegt an der immer wieder erregenden Atmosphäre dieser Stadt, wo alles in hellerem (freilich auch in unbarmherzig dekouvrierendem) Licht daliegt als anderswo. Und wo die Publikumsreaktionen noch nicht so ausgeglichen, so neutral sind, wie etwa bei uns.

Werbung
Werbung
Werbung

Das exponierteste und von der Kritik am schärfsten beäugte und abgehorchte Ereignis war die Aktion mit Musik „Nationale Feiertage“, Szenarium Claus H. Hennebers, Musik Thomas Kessler, Inszenierung Winfried Bauernfeind, musikalische Leitung Hans Hilsdorf. Die Aufführung durch das Studio der Deutschen Oper Berlin fand in der Akademie der Künste statt. In einem Interview des SFB sagte dazu der Komponist, es handle sich bei diesem Werk um eine politische Oper, aber da man eine Oper im herkömmlichen Sinne nicht mehr schreiben könne, heiße es eben „Aktion mit Musik“. Claus Henneberg hat nicht ein Libretto geschaffen, sondern lediglich historische Texte von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin zusammengestellt. Dann gibt es auch Texte, die nur als Wortmaterial für die Sänger und Sprecher verarbeitet wurden. Was fehlt, sind handelnde Personen, es gibt nur Schablonen von Politikern, Militärs, Historikern, Kommerzienräten, Lehrern usw. Das bot die Möglichkeit, auch die Sprache und den musikalischen Klang zu „verfremden“. Daneben laufen, von einem Tonband, konkrete Geräusche, vor allem Marschmusik als Symbol für Militarismus sowie Dokumentaraufnahmen von den Maiunruhen. In knappen 15 Bildern des etwa ein-einhalbstündigen Werkes, das ohne Pause durchgespielt wurde, wird gezeigt, wie die Mobilmachung von 1914 nationalen Jubel auslöst, darauf folgt bereits ein Feldlazarett (die böseste Szene des ganzen Stücks), wo eine vornehme Dame wohltätige Übungen an den Verwundeten vornimmt, die leer ausgehen; darnach Rosa Luxenburgs Rede gegen den Krieg, gefolgt von einem ersten großen Sopransolo (sehr virtuos: Lucy Peacock). „Gold gab ich für Eisen und Orden“ ist Anlaß, den Kaiser (Wilhelm II.) in effigie erscheinen zu lassen, mit einer Art Computer mit Tonbandgeräten im Brustkorb, im 9. Bild wird dann gezeigt, wie der Kaiser abgeschoben wird, dazwischen Briefe Rosa Luxenburgs und Klara Zetkins, verschiedene Kommentare und schließlich, ebenfalls eine böse Szene, der Prozeß gegen die Mörder, die zuvor lachend und grölend beim Trinken gezeigt wurden.

Das alles wird vom Regisseur mehr statisch als dramatisch dargeboten, er arbeitet vor allem mit Projektionen zeitgenössischer beziehungsweise historischer Bilder; die Musik, von 14 Instrumentalisten in weißem Mao-Look auf der Bühne produziert und von vier Schlagwerkern, Klavier, Orgel und Harfe verstärkt, an Nonos „Intolleranza“ und anderen Vorbildern orientiert, ist fast nur Geräuschkulisse.

Zwei Jahre lang hat das genannte Team an dem Stück gearbeitet. Es ist ein gutgemeintes Epitaph für eine bedeutende Frau daraus geworden, deren Denkmal (von Mies van der Rohe) von den Nationalsozialisten zerstört und nach 1945 nicht mehr rekonstruiert wurde. Der Erfolg, auch bei der Jugend, war sehr gering, — man scheint in Berlin noch wenig Erfahrung mit ähnlichen Werken zu haben —, nicht zuletzt wegen des jeden Applaus dämpfenden, quasi versickernden Endes. Ein älterer kritischer Berater hätte diese Panne vielleicht vermeiden oder mildern können, aber die jungen Leute schienen ganz sich selbst überlassen. Und das ist bei einem szenischen Teamwork doch etwas gefährlich...

Die Deutsche Oper Berlin präsentierte als ihren Festwochenbeitrag einen Ballettabend mit der Uraufführung der „Vogelscheuchen“ von Günther Grass und Aribert Reimann. Das Werk hat eine 13jährige Vorgeschichte, die ersten Pläne dazu reichen noch in die Pariser Zeit von Günther Grass, der damals „Die Blechtrommel“ schrieb. Dort lernte er durch seine Frau, die Tänzerin ist, den Choreographen Marcel Luitpart kennen, der Stoff weitete sich aus und fand Eingang in den Roman „Hundejahre“, für Herbst 1969 wollte die Deutsche Oper Berlin ein neues Ballett haben, Aribert Reimann, damals etwa 35 Jahre alt, Schüler von Haring, Blacher und Pepping, wurde als Komponist vorgeschlagen, und ein Jahr später als vorgesehen war es dann so weit.

Das Sujet: Ein Gärtner, besorgt um die Ordnung in seinem Garten, in den die Vögel eingezogen sind, konstruiert eine Vogelscheuche. So wird eine neue Welt, die der Vogelscheuchen, ins Leben gerufen. Deren „Präfekt“ findet Gefallen an der Tochter des Gärtners, von einer „Äbtissin“ wird das Mädchen mit der Vogelscheuchensprache vertraut gemacht und werden ihr die einzelnen Gruppen vorgestellt, es folgen Hochzeit und Springprozession, Flucht des Mädchens, ihre Rückkehr zum Vater, aber die Vögel mengen sich ein und überfallen den Gärtner — der, um sich ihrer zu erwehren, sich selbst in eine Vogelscheuche verwandelt. Ein Handlungsballett also, für das, als Genre, Günther Grass auf einer Pressekonferenz sehr nachdrücklich eintrat. Es gäbe, so meint er, Leute denen Geschichten einfallen und andere, denen keine einfallen. Diese letzteren behaupten dann, die „Geschichte“ sei tot. Nach Jahren der „Restauration“ des klassischen Balletts und seiner abstrakten Spielart wäre jetzt, so meint Günther Grass, wieder die Zeit gekommen, wo man, zumindest in Deutschland, Handlungsballette schreiben sollte. Suggestiv waren die Projektionen und Kulissen (in Schwarz, Weiß und Grau) von Erich Kondrak, einem jungen Wiener Künstler, phantasievoll und apart die Kostüme Liselotte Erlers. Den hervorragenden Solotänzern beziehungsweise Hauptdarstellern Eva Evdokimova, Frank Frey, Silvia Kesselheim und Klaus Beelitz ist es zu danken, daß man von der Aufführung einen starken Eindruck mitnahm. In der Choreographie Luttparts hätte man sich manches intensiver, dramatischer gewünscht. Denn daran war in der Musik Aribert Reimanns kein Mangel, mit deren klanglichen und dynamischen Exzessen der Hörer zuweilen überfordert wurde. Diese Musik für Orchester nebst 57 verschiedenen Schlaginstrumenten klingt oft verzerrt, bewußt enervierend mit ihrer brutalen Rhythmik und ihren schneidend dissonanten Blechbläserfanfaren. Auch kultische Elemente sind vorhanden. Im hellen oder dunklen Dröhnen, Klappern und Rasseln. Virtuos versteht es Reimann auch, ein ganzes Heer von Vogelstimmen zu imitieren — aber sehr stilisiert natürlich. Der Erfolg war lebhaft.

Vorausgegangen war der Uraufführung Balanchines Serenade nach Musik von Tschaikowsky, einstudiert von John Taras, und von Balanchine überwacht, der anwesend war. Innerhalb des disziplinierten Corps zeichneten sich die Solisten Didi Carli, Silvia Kesselheim, Heidrun Schwaarz, Klaus Beelitz und Rudolf Holz aus. Sehr zu loben ist der Dirigent des Abends, Ashley Lawrence. Wogegen sich die Proteste zu Beginn des Ballettabends und, vereinzelt, auch während der Aufführung richteten, blieb dem Gast von auswärts verborgen.

Eines der reizendsten Stücke von Brecht mit Songs von Kurt Weill wurde in der „Tribüne“ am Ernst-Reuter-Platz aufgeführt. „Happy End“ nennt sich im Untertitel „Eine Magazingeschichte“ von Dorothy Lane, die so wenig linientreu ist, daß Brecht sie später verleugnete. 1929 am Schiffbauerdammtheater, wo auch die „Dreigroschenoper“ Premiere hatte, uraufgeführt, und zwar ohne den dritten Akt (der einem aber auch heute nicht abgeht), wurde „Happy End“ seither in Berlin nicht mehr gespielt, wohl aber in Wien, wo wir es anläßlich seiner Premiere im Theater an der Wien ausführlich besprochen haben. Das Duell zwischen der Heilsarmee, beziehungsweise dem Leutnant Lilian Holiday und einer Gangsterbande gewinnt die erstere, eine Vorläuferin übrigens der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“. Brechts Dialektik, sein kaustischer Witz, seine Vorliebe für schwere Jungs und leichte Mädchen sind hier einmal in den Dienst einer guten Sache gestellt. Aber das wollte er später nicht mehr wahrhaben. In den Hauptrollen Edith Hancke, Klaus Sonnenschein, Marcel Andre, Horst Ponlehen und Helo Gutschwanger. Regie führte Günter Büch, das Bühnenbild schuf Peter Heyduck, die Kostüme Waltraut Mau, unter der Leitung von Horst A. Hass spielte und begleitete ein Ensemble von acht Instrumentalisten die Songs von Kurt Weill.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung