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Salzburgs Ruf an jedermann

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Salzburg im Regen — gewiß ein wohlvertrautes Bild allen treuen Festspielbesuchem. Es sollen sogar welche darunter sein, denen die Stadt hinter dem silbernen Sehleierwehen besonders schön erscheint. Doch diesen unaufhörlichen Güssen am Tage vor dem Beginn des Festes vermochte niemand mehr etwas ab- zugewinnen. Die Generalprobe zu „Jedermann“ mußte vom Domplatz in das Neue Festspielhaus verlegt werden, und man fürchtete für den Alt-Salzburger Fackeltanz, der, wie es schon Tradition geworden ist, von der Salzburger Bevölkerung dem Bundespräsidenten zur Begrüßung dargeboten wird. Zur rechten Stunde indessen ließ die Ragenflut nach, und der nächtliche Reigen der Fackeltänzer legte seine kreisenden Feuergirlanden um den Residenzbrunnen. Am Vormittag des 24. Juli begrüßte Landeshauptmann Dr. Lechner das Staatsoberhaupt beim Eröffnungsakt im Carabinierisaal der Residenz und ließ in seiner Rede den Gedanken anklingen, daß der Fortbestand der Kunst von ihrem Vorrat an moralischen Energien abhänge. Schließlich überreichte er Clemens Holzmeister, dem so verdienten Mitgestalter der Salzburger Festspiele, den Ring des Landes Salzburg, die höchste Auszeichnung, die das Land zu vergeben hat. Dann sprach Bundesminister Dr. Piffl- Percevic und brachte die Überzeugung zum Ausdruck, daß der Mensch seine wesenhafte Bestimmung in der Berufung zum Schönen zu erblicken habe. Bundespräsident Franz Jonas eröffnete die Festspiele mit den Worten: „Salzburgs Ruf ergeht an jedermann. Er enthält die Einladung, Werke des Friedens und der Besinnung, der Kultur und Humanität zu erleben. Die Freude am Schönen verbindet sich heute mehr denn je mit der Sehnsucht nach Frieden. Wird der Friede zerstört, stirbt auch das Schöne.“ In dem anschließenden Festvortrag legte Clemens Holzmeister mit bewegten Worten ein glühendes Bekenntnis zu Salzburg ab; er schilderte Wesen und Wandlungen der Salzburger Festspiele und gab einen sehr persönlichen Über blick über ihre Schicksale, wie er sie als Schöpfer des alten und des neuen Festspielhauses erlebte.

Noch vor dem feierlichen Staatsakt eröffnete der Bundespräsident im Salzburger Landestheater die Max-Reinhardt-Ausstellung der neugegründeten „Salzburger Gesellschaft für Max-Reinhardt-For- schung“. Frau Universitätsprofessor Dr. Margret Dietrich sprach als Generalsekretär der Gesellschaft über deren Aufgaben und Ziele, und Heinz Kindermann führte den Bun- despräsddenten durch die fesselnde Ausstellung, die Leben und Schaffen Reinhardts in unigemein interessanten Bilddokumenten zeigt und in deren Mittelpunkt dessen Regiebücher stehen. So stand der Beginn der Festspiele 1966 ganz im Zeichen ihrer Vergangenheit. Da sich der Himmel trotz aller pessimistischen Prognosen gnädig zeigte, konnte der erste „Jedermann“ vor dem Dom über die Szene gehen, was als freundliches Zeichen für den Verlauf des Festes gelten möge.

Von Mozart enthält das Programm noch aus dem Vorjahr „Die Entführung aus dem Serail“ in der Inszenierung von Giorgio Strehler, und die „Gärtnerin aus Liebe“; in einer Neuinszenierung von Günther Ren- nert wird unter Karl Böhm „Figaros Hochzeit“ zu sehen sein. Das neue Festspielhaus ist Schauplatz der vom Publikum viel begehrten Karajan- Carmen, der Uraufführung von Hans Werner Henzes Oper „Die Bassariden“ und von Mossorgskis „Boris Godunow“ in der Inszenierung vom Vorjahr. Leopold Lindtberg gestaltet in der Felsenreitschule Shakespeares „Sommemachtstraum“. Eine schier unübersehbare Fülle von Veranstaltungen weist das Konzertprogramm auf. Große Solisten werden zu hören sein; die Berliner und die Wiener Philharmoniker spielen unter neun bedeutenden Dirigenten. Über die wichtigsten Aufführungen der Salzburger Festspiele werden wir in den nächsten Nummern der „Furche“ berichten.

Heinrich Sicking

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