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Schändliche Trapezakte

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Das Modische ist bei den Salzburger Festspielen Maß aller Dinge geworden. Eitle Selbstdarstellung gibt den Ton an.

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Das Modische ist bei den Salzburger Festspielen Maß aller Dinge geworden. Eitle Selbstdarstellung gibt den Ton an.

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Die Jubelmeldungen des Intendanten Gerard Mortier flatterten schon zehn Tage vor dem FLnde der Salzburger Festspiele allen auf die Schreibtische: 194.000 verkaufte Karten, eine Auslastung von rund 93 Prozent und Einnahmen von rund 294,5 Millionen Schilling! Doch zum Unterschied zu früheren Jahren hatte man die Festspiele heuer um eine Woche gestreckt und das Angebot auf 218.000 Karten aufgestockt. Eine der Folgen: An die 24.000 Karten wurden nicht verkauft. Für seine so frühe Erfolgsmeldung hatte Mortier einen triftigen Grund: Kritische Stellungnahmen zu seinen Mozart-Premieren der „Zauberflöte” und der „Entführung aus dem Serail” - und nicht nur von Wiener Bezensenten - aber auch wütende Bepliken des Komponisten György Ligeti auf Peter Seilars Inszenierung seiner Oper „Le Grand Macabre” hatten Salzburgs Landeshauptmann Franz Schausberger auf den Plan gerufen. Er erlaubte sich, angesichts dieser Kritiken und der liegengebliebenen Karten sich um die Festspielprogrammierung „Sorgen zu machen”.

Hausinterner Hickhack folgte: SP-Kulturlandesrat Othmar Baus regte an, zum Jahr 2000 die Position des F'estspielpräsidenten, also zur Zeit Helga Babl-Stadlers (ÖVP), abzuschaffen und die Geschäfte in die Hände Mortiers zu legen; sein Stellvertreter Gerhard Buchleitner schoß sich auf den Landeshauptmann ein, weil dieser das Festspieldirektorium für kommenden November zu einem klärenden Festspiel-Gespräch geladen hat (dabei scheint den Beteiligten entgangen zu sein, daß mit einer Abschaffung der Präsidentenstelle Salzburgs Festspielgesetz und die Vereinbarung der Festspielfinanzierung wackeln).

Mortier reagierte auf die scharfe Kritik von Landeshauptmann und Presse prompt: Den „bösen Kritikern aus Wien” ließ er über seine Leibblätter - fast am selben Tag - eine Bü -ge zukommen. Vom Landeshauptmann verbat er sich jede Einmischung in die künstlerische Autonomie. Doch dann verkündete er via TV treuherzig, daß er 2001 seine Intendanz verlängern möchte. In dieser gespannten Atmosphäre mußte der Säckel wart des Festivals, Hans Landesmann, die Wogen glätten: Bereits für 1998 kündigt er Korrekturen an. Statt wie heuer am 19. Juli wird man - wie früher - am 24. Juli beginnen; maximal 215.000 Karten werden angeboten; und man wird die Moderne „dosiert” einsetzen ...

Auseinandersetzungen gehören zum Mortiersehen Salzburger Sommertheater. (Siehe auch „Geist & Welt”, Seite 18.) Über diesem Spektakel tritt die Diskussion um künstlerische Fragen längst in den Hintergrund. „Wir sind das modernste Festival”, befand Mortier heuer. Daß etwa Achim Freyer heuer die Felsenreitschule mutwillig zubaute, um seine „Zauberflöte” in einem Zirkuszelt ansiedeln zu können, verkauft er ebenso als „modern” wie Francois Abu Salems Idee, die „Entführung aus dem Serail” in ein Palästinenserlager mit Stacheldrahtverhauen zu pferchen und Mozart mit original-orientalischer Musik und tanzenden Derwischen aufzumöbeln.

Es ist Mortiers Aufgabe, seinem Konzept entsprechende Begisseure und Bühnenbildner zu engagieren. Aber daß er die Festspiele vor allem Bobert Wilson und Peter Seilars „ausliefert”, kann nicht der Sinn sein. György Ligeti, der berühmte ungarisch-österreichische Komponist, hatte schon recht: Für Salzburg hatte er seine Oper „Le Grand Macabre” in eine neue Fassung gebracht, über die Peter Sellars herfiel. Proteste nützten nichts. „Marotten eines alternden Easy Bider” schimpfte Ligeti. F2r konnte sich immerhin verbal gegen „Schande” und „Verfälschung” wehren. Mozart kann das nicht. Nicht gegen Stacheldrahtverhaue, Zirkus-späße, ein Pissoir, in das seine „Cosi fan tutte” verlegt wurde ...

Das ist Mortiers „Festspiel-Dramaturgie” - bei Ligeti, Mozart, Bichard Strauss, den er nicht mehr aufführen will, weil er den Erben 14 Prozent Tantiemen zahlen soll (Peter Stein erhielt für Shakespeare-Bearbeitungen sehr wohl zwölf Prozent). Eitle Selbstdarstellung des Intendanten und seiner Begisseure gibt den Ton an, Modisches als Maß aller Dinge. Wie recht hatte doch C. Bernd Sucher, als er nach einer Salzburger Festspielpremiere in der „Süddeutschen Zeitung” fragte, wie lange Begisseure noch „Stücke biegen, verbiegen und brechen” werden, weil sie sich „klüger dünken, als sie den Autor einschätzen”.

Mortier glaubt, bei den Salzburger Festspielen in diesem Sinne Werke biegen, verbiegen und brechen zu müssen. Er hat sich damit für eine Mode- und Kunstgewerbeschau entschieden, in der ich die Dramaturgie vermisse. Urteile der Wiener Kritiker tut er natürlich als unwahre Bosheiten ab. Drum sei hier das Besümee der „Financial Times” zitiert: Salzburgs Programm, „dem es an klaren Höhepunkten und am Schimmer der Originalität fehlt, gleicht ... einer gut geölten Maschine. Die bestimmende Linie, die Nikolaus Harnoncourt in Mortiers erste vier Festivals einbrachte, ist verschwunden - Es gibt niemanden, der ihn ersetzen könnte ... Das andere große Loch im Herzen des Festivals ist ein zusammenhängender Stil für Mozart-Opern!” Dramaturgie ist also keine zu erkennen - wohl aber eine Linie: Internationale Namen dürfen zu Mortiers höheren Ehren in Salzburg bekannte Trapezakte vorführen. Ein Intendant stilisiert sich selbst.

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