Scharfsinniger Beobachter mit Witz

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So verletzlich, so nackt, so dünn wirkt sie: "Die Kreuztragung Christi" von Pieter Bruegel dem Älteren hängt im Kunsthistorischen Museum derzeit ohne Rahmen, in einem Glassturz, beidseitig sichtbar. Man staunt über die Fragilität der Holztafel, kann an diese so nah herankommen wie nie zuvor und sieht bisher vielleicht unbemerkte Details. Das ist symptomatisch für die gesamte Sonderausstellung, die weltweit die erste große monografische über diesen niederländischen Künstler ist. Man möchte einen Blick auf Bruegel ermöglichen, der sich mit Feinheiten, Details und Techniken auseinandersetzt.

Dass hier ein Überblick über das gesamte Œuvre geboten werden kann, liegt einerseits daran, dass das KHM über zahlreiche Werke des Künstlers verfügt. Andererseits gelangte man durch ein groß angelegtes Forschungsprojekt an Leihgaben aus aller Welt, denen ansonsten Reisen wegen ihres hohen Alters und ihrer Fragilität verwehrt bleiben. Somit kann der Besucher sehen, wie Bruegel die Landschaftsmalerei revolutionierte, die Genremalerei und die Wintermalerei erfand, zusätzlich aber auch in die Bilder hineinschauen. Mittels modernster Technologien werden Vorzeichnungen und Übermaltes transparent gemacht. Damit will das Kuratoren-Team "Bruegels Wunsch nachkommen, genauer hinzusehen" und "die Sicht auf das Werk Bruegels ein Stück weit von der kunsttheoretischen Überfrachtung befreien und einen 'frischen' Blick auf Werke ermöglichen". Manches, so erfährt man, war früheren Besitzern zu pikant und daher übermalt worden. Ein Paar, das sich bei der "Bauernhochzeit" im Stroh vergnügt, eine aufgedunsene Leiche im "Kampf zwischen Fasching und Fasten". Auch die Gegenüberstellung von Kopien und Originalen bringt Ähnliches zutage: Im "Bethlehemitischen Kindermord" zeigt die Kopie drastisch die Vorgehensweise der Mordenden, während im Bruegelʼschen "Original" die Kinder mit Tieren übermalt wurden.

Der Meister des Details

Auch Bruegels Techniken kann der Besucher kennenlernen: Gips-Hände halten den Pinsel genau wie er, es wird gezeigt, wie Eichenholz geschnitten werden soll, damit die gewonnene Holztafel möglichst wenig Spannung hat und sich kaum verzieht. Ausgestellte Schuhe und Krüge, die jenen auf seinen Bildern ähneln, sollen helfen, Details wahrzunehmen. So sehr Bruegel ein Meister des kleinteiligen Malens war, verlor er andererseits nie das große Ganze aus den Augen. Besonders offensichtlich wird dies beim "Turmbau zu Babel": Erstmals nach Jahrhunderten sind die beiden Versionen aus Wien und Rotterdam wieder vereint, die Darstellung der Unmöglichkeit des babylonischen Unterfangens kann nun also direkt verglichen werden. In vier Jahreszeitenbildern wird augenscheinlich, wie Bruegel die Landschaftsmalerei revolutionierte: Ließen zuvor Landschaftsdarstellungen den Betrachter scheinbar über dem Gemalten schweben, ist er nun mittendrin, auf den Boden geholt. Vor allem aber machte Bruegel erstmals Witterung und Klima sichtbar. Man spürt förmlich die Kälte, die Hitze. Bei allem atmosphärischem Reichtum gibt es Bilder, die auch Befremden auslösen: Ob die "Kinderspiele", an denen teils greisenartige Kinder kaum Spaß zu haben scheinen, oder die "Anbetung der Könige", in der etwas Gewaltsames mitschwingt. Fast wirken sie wie Vorboten der apokalyptischen Gräuel-Bilder, bei denen von Erlösung und Hoffnung keine Spur mehr ist. Tausende werden im "Triumph des Todes" in einen riesigen Sarg getrieben. Der Höllenschlund ist mitten unter den Leuten, die Dörfer und Schiffe brennen, es gibt kein Entkommen.

Werke wie die "Dulle Griet" lassen selbst für Experten Rätsel offen. Gerade dies scheint Bruegel aber zu wollen: Nicht alles muss eindeutig sein, auch das Rätselhafte per se ist Thema für ihn. Dass er aber in der "Bauernhochzeit" einem Mann drei Beine gemalt habe, wird als Mär entlarvt, wenn im letzten Raum der Ausstellung mit dem Klischee des derben Bauern-Bruegel aufgeräumt wird. Bruegel war es, der Bauern erstmals aus der Karikatur heraus auf das Tafelbild hievte, er idealisierte nicht, aber nahm sich auch kein Blatt vor den Mund. Abermals lassen sich hier seine scharfsinnige Beobachtungsgabe und sein Bildwitz erkennen, die sich durch sein gesamtes Œuvre ziehen.

Ließen die Landschaftsdarstellungen zuvor den Betrachter scheinbar über dem Gemalten schweben, ist er nun mittendrin. Vor allem aber machte Bruegel erstmals Witterung und Klima sichtbar.

Bruegel bis 13.1.2019 täglich 10-18, Do bis 21 Uhr Kunsthistorisches Museum, Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien www.khm.at

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