6559760-1948_41_14.jpg
Digital In Arbeit

Schau aus St. Stephan

Werbung
Werbung
Werbung

Erschütternd und beglückend zugleich ist diese eigenartige Schau kostbarster Bestände aus dem St.-Stephans-Dom, die in denRäumen des „Museums für angewandte Kunst“ gezeigt wird und einen großartigen Überblick über die Baugeschichte und die Kunstdenkmäler des Domes und zugleich einen Einblick in die gewaltige Wiederaufbauarbeit gewährt, die unserer Generation obliegt, um dieses herrliche Gotteshaus wieder in seinem alten Glanze erstehen zu lassen. Gleichzeitig bietet die einzigartige Ausstellung die Gelegenheit, der weitesten Öffentlichkeit Kunstgegenstände zu zeigen, die, mit dem Dome und seiner Geschichte im innigsten Zusammenhang stehend, bisher im .mystischen Dunkel des Domes unbeachtet blieben, ja vielfach sogar dem zünftigen Kunsthistoriker unbekannt waren. Durch ihre Zurschaustellung werden auch der kunstgeschichtlichen Forschung neue Möglichkeiten geboten, so daß diese Schau weit über die Grenzen Österreichs hinaus Aufsehen erregen wird.

Eine ergreifende Erkenntnis drängt sich dem Besucher, der mit offenen Augen diese Ausstellung durchwandert, auf, die Erkenntnis, mit welchem Idealismus und welch tiefer Gläubigkeit alle diese berühmten Dombaumeister und die ungezählten namenlosen Steinmetze,. Bildhauer, Maler und Kunsthandwerker vor Jahrhunderten an diesem Baue wirkten, mit welcher Liebe und Hingebung sie jede Einzelheit gestalteten, nicht um ihr Schaffen der Mit- und Nachwelt zum eigenen Ruhme darzubieten, sondern als unbekannte Helfer an einem Werke, das Gottes Herrlichkeit dienen sollte. Nur so konnte dieser herrliche Dom entstehen, steingewordene Manifestation des tiefen Gottesglaubens eines Volkes.

Eine künstlerische Offenbarung bedeuten die Glasgemälde der Chorfenster von St. Stephan, die einst die Lichtgaden schmückten, aber in der Barockzeit ersetzt wurden, sowie die Scheiben der Eligiuskapelle, von denen sich ein Teil im Besitze der Städtischen Sammlungen, ein anderer im Museum für angewandte Kunst befindet. Diese im Feuer gefärbten, geschmelzten Gläser erreichen die Reinheit und Leuchtkraft von Edelsteinen, deren Schönheit und Glanz te nachzuahmen versuchen. Ein derartiges Glühen und Leuchten geht von diesen Scheiben aus, die in dieser Ausstellung durch kluge Beleuchtungsanordnung zu voller Wirkung gelangen, daß man sich einem farbigen Wunder gegenübersieht, das mit dem Pinsel nie erreicht werden könnte.

Auf einige der kostbaren Schätze aus dem Stephansdome sei besonders hingewiesen, weil sie in ihrer kunstgeschichtlichen und kulturellen Bedeutung kaum ihresgleichen haben. So ist das auf Pergament mit Tempera gemalte „Bildnis Rudolfs IV, des

Stifters“ zu sehen, das älteäte erhaltene selbständige Tafelbild der deutschen Malerei überhaupt, in den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts entstanden, mit dem gleichfalls ausgestellten Totenkleid dieses Fürsten und den ältesten Glasscheiben des Domes, eine kostbare Erinnerung an den großen Bauherren des Gotteshauses. Köstlich sind die Fragmente des Emailreliquiars, bedeutsam? Arbeiten lothringischer Emailkunst aus dem 12. Jahrhundert, zwei wundervolle syrische Glasgefäße, die einst von Pilgern aus dem HOI. Lande, gefüllt mit Erde aus Bethlehem, nach Wien gebracht wurden, sowie meisterhafte Werkarbeiten spätgotischer Goldschmiedekunst.

Unter den plastischen Arbeiten verdient besondere Erwähnung die „Krone des Taufsteines“, 1476 wahrscheinlich von dem Salzburger Meister Ullrich Auer gestaltet, die seit dem Jähre 1652 als Schalldeckel für die Pilgramkanzel verwendet wurde, aus Eichen- und Lindenholz geschniftt, ein Meisterwerk hochgotischer Kunst.

Einen lebendigen Einblick in die Werkstatt des mittelalterlichen Bauhüttenbetriebes gewähren einige der Originalrisse des Dombaues, von denen mit Sicherheit einzelne Blätter Hanns Puchspaum, Anton Pilgram, Gregor Hauser und Hanns Zierholt zu- gesdirieben Werden können, den bedeutendsten Baukünstlern des Domes. Diese Risse sind heute in der Zeit des Wiederaufbaues des zerstörten Domes geradezu unentbehrlich.

Diesen geschichtlichen Erinnerungsstücken reiht sich der dem Wiederaufbau des Domes gewidmete Teil der Ausstellung an. Er wurde durch Dombaumeister Hofrat Dr. Karl Holey gestaltet. Retrospektiv werden die Schutzmaßnahmen gezeigt, die seit Kriegsbeginn unternommen wurden, um die wertvollsten Bestände des Domes zu sichern. Vieles wurde geborgen, vieles durch Schutzbauten einigermaßen geschützt. Die Bombenangriffe haben dem Dome nur geringen Schaden zugefügt, erst die allerletzten Kriegshandlungen, vor allem das schwere deutsche Artilleriefeuer aus der Leopoldstadt, rissen das Dach an verschiedenen Stellen auf, und boten so Brandgranaten und Funkenflug die Möglichkeit, Dachstuhl und Holzgerüste in Brand zu setzen und so ein Zerstörungswerk einzuleiten, dem unersetzliche Kunstschätze zum Opfer fielen und das den Dom zur Ruine machte.

In einer großen Anzahl von Plänen und Lichtbildern wird die Arbeit gezeigt, die am 25. April 1945 einsetzte und schon 1946 das Langhaus durch ein Stahlbetonflachdach gegen alle Einflüsse der Witterung schützte. Auch die Stahlkonstruktion für das Riesendach geht der Vollendung entgegen, die glasierten Dachziegel sind in Auftrag gegeben, so daß im Frühjahr 1949 mit der Eindeckung begonnen werden djirfte.

Etwa 180 Arbeiter sind an den Wiederaufbauarbeiten beteiligt. Die prächtigen Steinmetzarbeiten, die in der Ausstellung gezeigt werden, beweisen, daß unsere Kunsthandwerker mit Erfolg ihren Vorfahren am Dombau nacheifern. Nun wird aber auch der Beweis zu erbringen sein, daß sich die Gegenwart an Opferwilligkeit durch die Wiener Bürger des 14. Jahrhunderts nicht beschämen läßt, und dazu beiträgt, daß der Stephans- dom als das markanteste Wahrzeichen Wiens und das erhabenste gotische Bauwerk Österreichs so schön wie zuvor erstehen kann.

Die Jahrhunderte dauernde Geschichte des Domes ist in der jetzigen Ausstellung gewissermaßen auf engstem Raum zusammengedrängt worden, trotz der Vielfalt der «künstlerischen Einzeldenkmäler die glanzvolle Epoche eines Gesamtkunstwerkes, dessen würdigen Vollendung vom göttlichen Walten uns Gegenwartsmenschen Vorbehalten wurde, die wir vielleicht gerade durch diese uns gestellte Aufgabe aus der materialistischen Verstrickung der Zeit den Weg zu dem Idealismus jener zurückfinden, die einst dieses Bauwerk geschaffen haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung