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„Schau, sdiää...“

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Die Worte dieses Titels sind einem 1959 erschienenen Dialektgedicht Friedrich Achleitners entnommen; das Ereignis dazu fand erst heuer statt. Die Wiener Internationale Gartenschau hat mehrere Aspekte; auf keinen Fall jedoch darf man sie unterschätzen. Sie ist für die Zukunft der österreichischen Bundeshauptstadt in jeder Hinsicht exemplarisch.

Nicht nur hat sich — ganz nah am Stadtzentrum — ein fast 100 Hektar großes Müllschüttungsgelände in einen Park verwandelt. Die „enteren Grund“ sind aufgewertet und das Interesse der Bevölkerung auf das Stadtgebiet jenseits der Donau gelenkt worden, in dem große zusamr menhängende Flächen der Gemeinde gehören und das für eine planmäßige Erweiterung der Stadt vorzüglich geeignet ist.

Schon Otto Wagner hat die Ringe der Stadt — vor allem den Gürtel — über die Donau führen und jenseits schließen wollen, und diese Forderungen haben nichts an Aktualität verloren. Dort drüben liegt das Zukunftsgebiet der Stadt, und jeder bescheidene Schritt dorthin ist zu begrüßen. Eine Kritik der Investitionen wäre verfehlt; für dieses Gebiet kann gar nichts zu teuer sein.

Ferner: Wer wollte etwas gegen sinen Garten haben? Wisns Landschaft ist reizvoll und abwechslungsreich; und noch heute bestehen Zeugen einer Gartenkunst, die diese Landschaft bewältigte. Da ist das Belvedere, ein reiner Architekturgarten zwischen Steinmauern, als Vordergrund für ein Stadtpanorama. Da ist Schönbrunn, dessen Formenwelt von minutiösen Blumenrondellen über beschnittene Hecken und Bäume bis zur freien Parklandschaft reicht, eine Spannweite der Vorstellungskraft, die imstande ist, das Schloß, den Berg und selbst die Wolken in die Wirkung einzubeziehen; Und da ist <— freilich nur mehr in Resten — der Prater, der die an die Stadt reichende Aulandschaft einfach durch Verkehrswege faßt, die sich zu einer schnurgeraden Allee steigern und in einen großen Sternplatz münden.

Der Donaupark gehört zum großzügigsten Teil der Wiener Landschaft und durch den Wind des Donaubettes zum klimatisch härtesten. Aber auch diese Herbheit hat ihre Reize; und viele Wiener ziehen das Überschwemmungsgebiet anderen Erholungsmöglichkeiten vor.

Der Donaupark ist aber nur ein kleines Stückchen dieser Landschaft. Vielleicht, um das Bewußtsein, daß darunter Millionen Tonnen Großstadtmüll liegen, zu verdrängen, hat man diesen Fleck „wohnlich“ machen, das heißt, keine Stelle ohne optischen „Akzent“ lassen wollen.

„Menschlich“ ist das andere einschlägige Stichwort, das zwar eigentlich gar nichts bedeutet, aber auch eine Tendenz zum Kleinen hat.

Und nun stehen lauter Kleinigkeiten, mit denen man nichts Rechtes anfangen kann, in einer Anordnung herum, die offensichtlich jeden irgendwie geometrischen Plan vermeiden wollte. Das einzige Großzügige ist eine Rasenfläche, die aber so liegt, daß sie immer zu Umwegen zwingt; betreten darf man sie natürlich nicht. Das übrige Gelände verzettelt sich in Beetchen, Hügelchen, einem kleinen See, aber die Massen sind ratlos, denn es gibt im Grunde weder Anlaß zum Wandern noch zum Stehenbleiben, noch natürlich den Betrieb eines Rummelplatzes. Über das ganze Gelände fahren eine Liliputbahn und ein Sessellift; ihre Stationen sind aber so verteilt, daß sie ernsthaft nicht als Verkehrsmittel in Frage kommen. Man macht eine „Rundfahrt“; dann bleiben die Cafes. Die sind hoffnungslos überfüllt, später werden sie vielleicht hoffnungslos leer sein; und für keinen dieser Fälle sind sie berechnet. In Wien haben weder Gäste noch Unternehmer begriffen, daß man solche Veranstaltungen mit herkömmlicher Gastronomie nicht versorgen kann.

Eine gewisse kleinbürgerliche Renommiersucht möchte überall etwas eröffnen, einen Fleck haben, wo alles neu ist, es „den Leuten zeigen“. Wenn man auch froh ist, daß derlei sich hier austobt statt etwa an einer Alwegbahn, so steht man doch erschüttert vor den Attraktionen, mit denen sich eine Stadt vorstellt. Im Vergleich dazu behauptet sich selbst eine neugotische Dutzendkirche im Hintergrund mit Ernst und Würde; man glaubt, einen Dom vor sich zu haben, wenn der Blick zufällig auf sie fällt.

Diese wildgewordene Phantasie eines Kleingärtners, von deren Chaos schon der Übersichtsplan einen Eindruck gibt, steht in keinem Verhältnis zu der Landschaft; schon die wenigen Bäume geben einen viel weiträumigeren Maßstab. Und es ist zu bezweifeln, ob die Hunderttausende, die „auf d' Ausstellung“ pilgern, so viel Eindruck von der Landschaft mitnehmen, daß sie später wiederkommen.

Und nun halte man sich vor Augen, daß dies nur ein kleiner Teil eines riesigen Gebietes ist, das ein zusammenhängendes Grünland werden soll. Es besteht kein Zweifel: Dieser Donaupark repräsentiert die herrschende Vorstellung von einem großstädtischen Erholungsgebiet — ähnlich wie die Opernpassage die von einer großstädtischen Verkehrslösung. Man stelle sich einen Augenblick vor, daß sich entlang des Stroms — wie die Passagen entlang des Rings — die Donauparks aufreihen, hier eine Dominante und dort ein Akzent, und wie ein künftiges Wien als Summe solcher Einzelereignisse — jedes davon „international“ — aussehen würde.

Es soll gar nicht gesagt werden, daß es anderswo besser ist; vermutlich haben die Gartenausstellungen in Stuttgart oder in Hamburg ebenso ausgesehen. Die Forderung nach Grün in der Stadt ist überhaupt nicht so einfach, wie sie klingt. Heutige „Naturverbundenheit“ hat so viel Verlogenes an sich, daß es schwerfallen dürfte, eine „Stadtlandschaft“ zu realisieren, die sich nicht in neckischen Einzelheiten verliert. Es gibt auch keine Gartenvorstellung unserer Epoche, wie etwa die des Barocks oder des 19. Jahrhunderts; wir haben weder in der Ausnützung noch im Genuß der Natur eine unmittelbare Beziehung zu ihr, beides findet unter Vermittlung der Technik statt. Man begegnet der Natur auf dem Campingplatz oder in Gestalt der einzelnen Pflanze in Zimmer oder Garten, die das Dasein eines Schoßhundes führt.

Blumen und Schoßhunde entsprechen einem Bedürfnis ebenso wie all der Formenkleinkram, der unsere Wände, Zimmer und Straßen ausfüllt. Vielleicht soll man derlei auch als Realität hinnehmen — wie vordem das Brettldorf an der Donau. Und angesichts manchen Vorstadtespressos könnte man tatsächlich von Volkskunst sprechen.

Freilich wird diese Volkskunst weiterhin von Akademikern gemacht, berechnet für die „breite Masse“. Das vorgebliche Herabsteigen auf ein niedrigeres Niveau macht jede Kommunikation unmöglich; es entsteht jenes Halbbewußtsein, das sich von der eigenen Produktion distanziert, die ja nur „für den Verkauf“ gemeint ist, sich ihr im Grunde überlegen und daher nicht verantwortlich fühlt. Mehr noch: Da jedermann irgend etwas „managt“, beurteilt er eine Sache nicht unmittelbar, sondern „fachmännisch“, nämlich, ob der Bauernfang „gut gemacht“ ist.

Folgerichtig hat diese Haltung auch etwas Schulmeisterliches; sie möchte das Publikum zu dem erziehen, was sie ihm ohnehin vorsetzt. Und so wird denn auf der Gartenausstellung dem kleinen Mann, für den jeder den anderen hält, auf einem Musterfriedhof gezeigt, wie er begraben sein möchte.

Und überall ist die Atmosphäre herzlich; hier und dort flitzt ein Bähnchen, blinkt ein Wässerchen, witzelt ein Häuschen. Und im Mondzelt läßt's einen gruseln. Und die große Halle ist gerade nicht viereckig, und die Turmterrasse ist gerade nicht rund; so haben auch die ernsthaften Bauten etwas Ansprechendes. Selten ist Politik so unmittelbar zu Baukunst geworden.

In einer offiziellen Broschüre ist der Ausstellung ein Aufsatz Hofmannsthals mitgegeben, in dem der Satz steht: „Der seelenloseste Garten braucht nur zu verwildern, um sich zu beseelen.“ Der Spätromantiker erwartete von der geheimnisvollen Natur, daß sie die starre, kalte Planung bereichere. Hier hingegen ist zu hoffen, daß die Natur als Realität eine Gemütsgstettn reinige.

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