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Sie zertiiimmern voll Lust

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Die Surrealisten, Niki de Saint Phalle, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg - ihre Auseinandersetzung mit der Welt ist ernstgemeint.

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Die Surrealisten, Niki de Saint Phalle, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg - ihre Auseinandersetzung mit der Welt ist ernstgemeint.

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Sieht man von Cartoons, Karikaturen und satirischen Zeichnungen ab, ist Humor, wie er aus Literatur, Film und Musik bekannt ist, in der bildenden Kunst viel schwerer aufzufinden. Diese Verschränkung von ernst und unernst haben wahrscheinlich die Surrealisten in unserem Jahrhundert in exemplarischer Weise eingeführt, am einsichtigsten nachvollziehbar Joan Miro und Pablo Picasso gestaltet. Wenn Picasso aus gewöhnlichen Gabeln Hühnerbeine zurechtbog, dann zeigt sich nicht nur ein ungehemmter Drang, die Welt ganz anders zu sehen, sondern auch ein humorvoller, lustvoller Umgang mit Gegenständen. Miro gab seinen biomorphen Formen und kindlichen Strichfiguren einen poetischen Anstrich, der auf humorvolle Weise Spannungen und Angst thematisiert.

Ganz anders der schwarze Humor: Max Ernst malte beispielsweise eine Frau, die ein kleines über ihr Knie gelegtes Kind schlägt. Der schwarze Humor kommt erst durch den Titel ins Spiel: Jungfrau Maria züchtigt ihren Sohn. Der Tabubruch entspricht dem, was Andre Breton als „Exzeß der Phantasie" bezeichnete.

Humor ist, surrealistisch betrachtet, unauflöslich mit dem Begriff des Rätselhaften verbunden, das Lautrea-mont mit der ästhetischen Devise bezeichnete: „Schön wie die zufällige Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Seziertisch." Bei solch einer Definition scheint sich eine Büchse der Fanüora zu öffnen und ein ganzes Pandemoni-um steigt auf die Bildflächen, das sich mit List und Tücke an die „hohe Ikonographie" überlieferter Bild-Vorstellungen annähert und sie lustvoll zertrümmert.

Einer, der das schon im 16. Jahrhundert wußte, war Giuseppe Arcim-boldo. Neben seinen Aufgaben als Porträtmaler widmete er sich der Einrichtung von Hoffesten und Maskeraden. Für sich selbst entwickelte er einen manieristisch-naturalistischen Stil, Elemente aus der Natur fügte er zu neuen Kompositionen zusammen, menschliche Wesen konnte er aus Büchern, Musikinstrumenten und Werkzeugen zusammensetzen. Aus dem Abbild Gottes wurde ein Konglomerat aus Versatzstücken. Daß solch ein herausragender Sonderling zum Stammvater sehr unterschiedlicher Kunstvorstellungen und Humorschattierungen werden konnte, verwundert, retrospektiv gesehen, nicht.

Niki de Saint Phalle entwickelte in unseren Tagen grotesk überdimensionierte weibliche Idole, die als Affront gegen die verbreitete Vorstellung vom weiblichen Akt als Inbegriff von Schönheit zu sehen sind. Die Körper erscheinen ungelenk, die heiter-dekorative Buntfarbigkeit läßt die Aggressivität zurückgedrängt erscheinen, sie wirken als Zitate von Reklamepuppen. Der Übergang von Humor zur grotesken Bitternis bleibt fließend. Der Bildhauer Bernhard Luginbühl ließ aus vorgefundenen Alteisenteilen animalische Monster entstehen, die er mit Namen wie „Bulldog", „Bimbo" oder „Elefant" ausstattete. Seine Skulpturen sind als witziger Beitrag für sinnvolles Recycling zu sehen, das hochästhetische Gegenstände hervorbringt. Nicht ganz unähnlich sind die Maschinen-Plastiken von Jean Tinguely, die in sehr phan-tasie- und humorvoller Weise das Spannungsfeld zwischen Dynamik und Statik behandeln.

Ganz anders ist der Humor in der Pop-Art eines Roy Lichtenstein, der die Bubble-Gum-Sprache der Comics ins Gigantische vergrößert, oder eines Eduardo Paolozzi, der in einer Arbeit aus einer Vielzahl von abgebildeten Gegenständen eine Mickey Mouse zusammensetzte, die der Betrachter erst erkennt, wenn er sich an der Fülle satt gesehen hat, oder eines Tom Wessel-man, der das Frauenbild in der Werbung mit provokativen sexuellen Ironien darstellt, oder eines Claes Oldenburg, der ein eigenes Museum für Eßattrappen aus Kunststoff entwarf.

Der Bildhauer Erwin Reiter beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema der Astronauten, Kosmonauten und Engel, das heißt, mit dem irdischen Menschen, der die Erdschwere abzustreifen versucht. Dennoch werden seine Wesen, die auf der Suche nach neuen Welten sind, sowohl Nahrung als auch Werkzeug brauchen. So schuf er für sie Polyesteräpfel und „himmlische Schaufeln".

Neben diesen humorvollen Aspekten in einer sehr ernst gemeinten Auseinandersetzung mit der Welt, gibt es noch den Privatspaß mancher Künstler in ihren Bildern. Könnte nicht der überzählige Fuß in „Bauernhochzeit" von Pieter Bruegel ein solcher sein? Manche Maler zeichnen Späßchen, die sich erst dann zu erkennen geben, wenn man das Bild umdreht. Der englische Maler und Bildhauer Brian El-liott signiert seine Arbeiten häufig mit einem liegenden großen „B". Dies ist jedoch nicht ein Initial, sondern Elliott sieht in dem liegenden B die emporgestreckten Fingerkuppen des Zeige- und des Mittelfingers, ein in England als ordinär eingestuftes Zeichen. Dieses widmet Elliott allen seinen Kritikern.

So bleibt Suche nach dem Humor in der bildenden Kunst etwas unbestimmt. Paul Valery meinte: „Das Wort humour ist unerklärbar. Wenn es das nicht wäre, würden die Franzosen es nicht gebrauchen. Aber sie gebrauchen es gerade wegen des Unbestimmten, das sie in es hineinlegen, und das aus ihm ein für den Streit über Geschmäcker und Valeurs sehr geeignetes Wort macht. Jeder Satz, der es enthält, verändert seine Bedeutung, so daß eben diese Bedeutung strenggenommen nur die statistische Summe aller Sätze ist, die das Wort enthalten und in Zukunft enthalten werden."

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