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Siebenmal Heiligenstadt

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Die Zerstörungen, die durch Bombenabwürfe während des zweiten Weltkrieges im Wiener Stadtgebiet an Gebäuden. Kirchen und kunsthistorischen Denkmälern entstanden sind, haben für die Forschungsarbeit der Archäologen eine gute Seite gehabt. An vielen Stellen der dichtverbauten Inneren Stadt konnte nun das oft seit Jahrhunderten nicht mehr freiliegende antike Niveau mit seinen römischen Bauresten studiert und aufgezeichnet werden. Systematische Grabungen, die Zeit und persönlichen Einsatz, vor

allem aber größere finanzielle Mittel erfordern, konnten allerdings selten durchgeführt werden. So beschränkten sich die offiziellen Stellen meist auf die Beobachtung topographisch besonders interessanter Bauplätze oder auf gelegentliche, kurzfristige archäologische Untersuchungen, wie etwa am Schottentor, beim Neubau des Seiten-stettner Hofes, Am Hof oder am Hohen Markt. Immerhin reichten die nach 1945 aufgedeckten römischen Baureste an zwei Stellen der Inneren Stadt — wo sich das römische Legionslager Vindobona innerhalb der Begrenzung Tiefer Graben, Naglergasse, Graben, Kramergasse, Rotgasse und Salzgries erstreckte — aus, um unterirdisch, am Hohen Markt und im Keller des ehemaligen Zeughauses Am Hof, Teile der Lagerbauten zu konservieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Über archäologische Relikte in den Wiener Außenbezirken berichtete bereits der Wiener Historiograph und Staatsmann Johannes C u s p i n i a n zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Auf seinem Landgut in Schwechat entdeckte er römische Gräber und gestempelte Ziegel der Legio I Nori-corum und der Legio X Gemina. In Aufzeichnungen über seinen Sieveringer Besitz stellte er in Kenntnis der lokalen , Tradition und der Vita Severini des Eugippius die Vermutung auf, hier müsse die Zelle des Heiligen gestanden haben. Wolfgang L a z i u s kommt auf diese Bemerkung seines Vorgängers in seiner Geschichte der Stadt Wien (1546) zurück und bringt viele andere, damals noch sichtbare Überreste und noch lebendige Überlieferungen aus der Römerzeit der Nachwelt zur Kenntnis.

Seit dem späteren 19. Jahrhundert sind aus Ober-Döbling und Unter-Sievering römische Funde bekannt, so kamen aus der Sieveringer Straße ein Votivstein des Mithras, den ein Soldat der 10. Legion stiftete, und einige Tonlampen zum Vorschein. Von der Hohen Warte stammen römische Münzen und gestempelte Ziegel aus der Spätantike, aber auch die Fundamente eines Wachturmes sollen hier festgestellt worden sein.

Ein neuer Fund

Zu diesen Gelegenheitsfunden gesellte sich ein besonders glücklicher Fall, der neue Möglichkeiten für die Erforschung der römerzeitlichen Bauten in der näheren Umgebung Wiens eröffnete. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden anläßlich der Restaurierung der St.-Jakob-Kirche in Heiligenstadt römische und spätantike Baureste unter der heutigen Kirche gefunden. Seither sind fast zehn Jahre vergangen, und wieder erweiterte eine Zufallsentdeckung, diesmal in der Pfarrkirche St. Michael in Heiligenstadt, das Bild archäologisch-historischer Gegebenheiten in dieser Gegend.

Als im April vergangenen Jahres elektrische Kabel für eine Heizung

unter dem Fußboden der St.-Michael-Kirche verlegt wurden, stießen die Arbeiter unterhalb der Chorstufen auf ältere Mauerreste. Diese Entdeckung veranlaßte die Mitglieder der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft der St.-Severin-Bruderschaft, die sich vor allem um eine weitere Erhellung und Klärung der Bedeutung des frühchristlichen Grabes unter der St.-Jakob-Kirche und dessen Zusammenhang mit der kirchlichen Überlieferung von Heiligenstadt bemühen, eine systematische Untersuchung der

neuen Fundstelle in der Pfarrkirche in die Wege zu leiten.

Auf Grund der finanziellen Unterstützung durch das Bundesministerium für Unterricht und der Erteilung einer Grabungsgenehmigung durch das hierfür zuständige Bundesdenkmalamt konnte eine Probegrabung im Sommer 1961 in Angriff genommen werden. Die vorgenannte Arbeitsgemeinschaft betraute den Autor des vorliegenden Aufsatzes mit der Leitung dieser Ausgrabung. Dr. Lothar Eckhart, Initiator

und Leiter der Ausgrabungen in der St.-Laurentius-Kirche in Lorch bei Enns, stellte sich als Berater zur Verfügung.

Im Bauschutt der Jahrhunderte

Das einvernehmlich aufgestellte Programm für eine Probegrabung sah die Untersuchung des Bodens unterhalb der Chorstufen in der ganzen Breite des Langhauses vor. Ein eineinhalb, stellenweise drei Meter breiter Suchgraben wurde im Sinne des Gutachtens der beigezogenen Baustatiker in einem Abstand von einem halben Meter von den beiden Triumphbogenpfeilern nach Entfernung der Fußbodenpflasterung angelegt. Innerhalb dieses Suchgrabens wurde in Schichten von je 20 Zentimetern auf den gewachsenen Boden vorgestoßen. Die zutage geförderten Funde wurden in ihrer Lage vermessen und aufgezeichnet (Abb. 4).

Mit der Grabung wurde am 23. Juli begonnen, sie dauerte ohne Unterbrechung bis 29. September. Die vorgenommenen Untersuchungen konzentrierten sich zunächst auf den Ravm zwischen den beiden Pfeilerreihen unmittelbar vor dem Chorbogen. Bereits in der ersten Schichte des Suchgrabens, die teilweise schon durch Arbeiter des Historischen Museums der Stadt Wien im April vorigen Jahres durchsucht und daher gestört worden war, traten überraschende Funde auf.

Das heutige Fußbodenpflaster aus Kehlheimerplatten lag durchwegs in eine drei bis vier Zentimeter dicke Mörtelschicht eingebettet; darunter wurden Aufschüttungen verschiedener Zusammensetzung angetroffen. Die Klosterneuburger Baumeister Martin und Josef Schömer haben in den

Jahren 1894 bis 1898 die St.-Michael-Kirche umgebaut. Der Bauschutt wies unter, anderem offenbar damals entfernte gotische Architekturstücke aus Kalk- und Sandstein, färbige Verputzreste verschiedenster Art, glasierte gotische Dach- und Fußbodenziegel hauptsächlich von brauner, gelber oder grüner Farbe, Bauziegel der Gotik, der Renaissance, des Barock sowie des 19. Jahrhunderts auf. In diesem Aufschüttungsmaterial, vorzugsweise in den Schichten eins bis fünf, fanden sich zahlreiche Ziegelfragmente römischer Provenienz.

In der Schichte eins wurden an verschiedenen Stellen 10 bis 15 Zentimeter dicke Lagen von Kalk beobachtet, die über besonders fetter und schwarzer Erde gelagert waren; es handelte sich um die über Bestattungen innerhalb der Kirche aufgeschütteten Disinfektionsschichten aus ungelöschtem Kalk.

Nach sorgfältiger Abtragung von sieben Schichten wurden im Mittelschiff 14 Bestattungen in situ, ein Massengrab und zwei Gruben für die Aufnahme exhumierter Skelette freigelegt. Die Skelette waren alle in Ost-West-Richtung mit dem Gesicht zum Chor gebettet und konnten, soweit sie gut erhalten waren, zum überwiegenden Teil als männlich identifiziert werden. An Hand mehrerer, bei den Skeletten oder in deren unmittelbarer Umgebung gemachten Funde (Pestamulette, Pestkreuze, Gebetbuchdeckel aus Pergament und Rosenkranzperlen) konnten die Bestattungen mit einer Ausnahme in die Zeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert datiert werden. (Unter Joseph II. wurde die Beerdigung innerhalb der Kirche verboten).

Unbekannte Baureste

Der Raum zwischen den beiden Triumphbogenpfeilern erwies sich in jeder Hinsicht als der fundreichste der Grabungen. Hier konnten unter dem heutigen Fußboden Mauerreste mindestens sechs verschiedener Bauarten festgestellt werden, die mit Nr. 1 bis Nr. 9 bezeichnet wurden. Soweit es die bisherigen Ergebnisse der Probegrabung gestatten, kann Mauer Nr. 3, eine ost-westlich verlaufende Trockenmauer ohne Mörtel aus unbehauenen Steinen mit römischen Ziegelfragmenten, als frühmittelalterlich oder nachrömisch datiert werden. Von den Mauern Nr. 4 und 5 sind nur Bruchteile erhalten. Sie können, da eine der beiden in der Art eines opus spicatum errichtet ist, möglicherweise zu römischen Bauten gehört haben.

Nr. 2 und Nr. 8 stellen rezente Pfeilermauern dar, die während verschiedener Renovierungsarbeiten an der Kirche zum Teil aus Altmaterial zwischen den Pfeilern in nordsüdlicher Richtung aufgeführt worden sind. Aus der Zeit der letzten Renovierung der St.-Michael-Kirche, der die wenig ansprechende

Neugotisierung dieses Baues zu verdanken ist, stammt auch das mächtige Turmfundament Nr. 7, das, soweit sichtbar, aus gotischen, Renaissance- und barocken Bauelementen und Ziegeln zusammengesetzt ist.

Unterhalb der Chorstufen und parallel zu diesen verlaufen die Mauern Nr. 1 und Nr. 6 mit solidem Mauerwerk aus behauenen Steinen. Augenscheinlich gehörten sie zu einem Bau, der vor der Errichtung der Kirche St. Michael — nach Dehio 1256 erstmalig urkundlich erwähnt — in ihrem jetzigen Umfange hier gestanden haben dürfte. Dasselbe gilt für das Pfeilerfundament Nr. 9, das weder unter den innerhalb des Suchgrabens freigelegten Mauern, noch im Grundriß der heutigen Kirche ein Gegenstück hat. In diesem Pfeilerfundament waren glasierte gotische Ziegel mitverrnauert.

Bei der Grabung im nördlichen Seitenschiff wurden Reste eines Friedhofs gefunden, der um eine Kirche lag, deren Westmauer sich an der Stelle der heute zum Presbyterium führenden Chorstufe befunden haben dürfte. Die Keramikfunde um diese Gräber waren größtenteils mittelalterliche, mit einzelnen römischen Scherben vermengt.

Der Suchgraben im südlichen Seitenschiff dagegen war fundlos. An dieser Seite der Kirche war der Lehmboden des Nordabhanges des Hungerberges (an dessen Fuß heute unterirdisch der Grinzingerbach fließt) abgetragen worden, um für die Vergrößerung der Kirche Platz zu schaffen.

Eine Zeitspanne von 2000 Jahren

Die überraschend große Anzahl von Kleinfunden umfaßt eine Zeitspanne von beinahe 2000 Jahren. Wenn man die wenig interessanten Funde des 19. Jahrhunderts beiseite läßt, so sind schon aus dem 18. Jahrhundert ein schönes Pestamulett mit der Darstellung der Mariazeller Muttergottes und ein zweites mit dem Martyrium des hl. Sebastian zu erwähnen.

Ein vorzüglich erhaltenes Brustkreuz mit dem Zacharias- und Benediktussegen aus der Wende vom 16.

zum 17. Jahrhundert lag über dem Grab Nr. 9 (Abb. 3). Aus der Frühzeit der Habsburger fand sich ein Wiener Pfennig Herzogs Albrecht II. von 1320 und ein Silberpfennig von dem Babenberger Leopold VI. aus dem Jahre 1230, auf dessen Revers ein Einhorn aufscheint (Abb. 2). Unter den keramischen Funden ist auch eine braun glasierte Ofenkachel mit der Reliefdarstellung eines Einhorns. An mittelalterliche Keramikfragmente vom 14. bis ins 10. (?) Jahrhundert reihen sich solche aus der Spätantike in größerer Menge. Einwandfreie römerzeitliche Datierungen ergeben z. B. das Fragment einer Terra Sigillata und das Bruchstück einer Terra-Sigillata-Schüssel mit Medaillonornament aus einer Rheinzaberner Fabrik (Abb. 1). Diese Schüsseln würden in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. in Rheinzabern (Bundesrepublik Deutschland) erzeugt. Eines der vielen römischen Ziegelfragmente weist den Stempel der Legio X Gemina (LEG X G) auf, die seit dem Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. dauernd bis in die Spätantike in Vindobona stationiert war und die unter dem Stadthalter und Legionskommandanten Ursicinus (um 400 n. Chr.) hier eine Ziegelei betrieben hatte, deren Erzeugnisse auch beim Bau des Grabes unter der St.-Jakob-Kirche Verwendung gefunden haben.

Durch die Ergebnisse der Probegrabung wurden wichtige Anhalts- ' punkte für eine Fortsetzung der Grabung unter dem Chor der St.-Michael-Kirche gewonnen. Die geplante Grabung soll nicht nur für die Baugeschichte der St.-Michael-Kirche sondern auch für die Deutung der frühchristlichen Funde unter der St.-Jakob-Kirche und der Tradition des Locus Sanctus Heiligenstadt zusätzliche Aufklärung erbringen. Immerhin gestatten bereits die Ergebnisse der mit begrenzten Mitteln durchgeführten Probegrabung in der St.-Michael-Kirche, die Auslegung der Funde in der St.-Jakob-Kirche dahingehend zu ergänzen, daß Heiligenstadt kontinuierlich besiedelt war, wie dies Funde aus fast 2Q00 Jahren beweisen.

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