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Sinnbilder abendländischer Machi

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Die Wiedereröffnung der Weltlichen Schatzkammer rückt nahe. Ab Anfang Juli wird die älteste und erhabenste Sammlung Oesterreichs der Oeffentlichkeit wieder zugänglich sein.

Leider mußte der Eröffnungstermin, der ursprünglich für Mai geplant war, immer wieder hinausgeschoben werden, da die umfangreichen Bauarbeiten, die zur Adaptierung der Räume notwendig waren, infolge des ungewöhnlich feuchten und kalten Frühjahrswetters nur langsam vorwärtsgingen.

Die Entstehungsgeschichte dieser Neuaufstellung hängt mit . dem jüngsten Schicksal der Schätze, die die Wiener Schatzkammer beherbergt, zusammen. Schon seit 16 Jahren sind diese ja nicht mehr zu sehen gewesen, seit den unruhigen Tagen, da Hitler in Oesterreich einmarschierte und wenig später die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches nach Nürnberg bringen ließ; sie wurden in der Katharinenkirche (der sogenannten Meistersingerkirche) ausgestellt, dann aber vor den Gefahren des Krieges in den unterirdischen Gängen und Gewölben der Nürnberger Burg geborgen.

Nach der Entnahme der Reichskleinodien blieb die Schatzkammer geschlossen. Eine Umgruppierung und eine Auffüllung der entstandenen Lücke war notwendig. Zugleich aber sollte eine Art „Ersatz“ für das Verlorene geschaffen werden, indem man die damals vom Staat eingezogenen Bestände der alten Ritterorden im Verband der Weltlichen Schatzkammer zeigen wollte. Für diesen Zweck erwarb die damalige Leitung des Kunsthistorischen Museums die an die Schatzkammer angrenzenden Räume, in denen im 19. Jahrhundert die Privatkassa des Kaisers untergebracht war, die dann aber nach dem Ende der Monarchie als Mietwohnungen eingerichtet worden waren. Der Krieg hat alle weiteren Pläne zunichte gemacht. Die Zime- lien der Schatzkammer wurden in Kisten verpackt und in der Nähe Wiens, im Stift Klosterneuburg, geborgen. Die Räume, die für die Ausweitung der Sammlung vorgesehen waren, blieben als Torsi in einem Zustand zwischen Zerstörung und Neuformung stehen. Das Kriegsende brachte die Objekte der Schatzkammer wieder nach Wien zurück, allein unter welchen Umständen! Als es nämlich klar geworden war, daß Wien und Niederösterreich Kampfgebiet werden würden, als bereits deutsche und russische Geschütze am Rande Wiens einander entgegendonner- ten, damals, als jeder nur noch an sich selbst dachte, transportierte der Erste Direktor des Kunsthistorischen Museums die österreichische Kaiserkrone und die übrigen Bestände der Weltlichen Schatzkammer in das Museum zurück, wo er sie in diesen bedrängten Zeiten am sichersten glaubte. Unverletzt und unberührt sind sie hier erhalten geblieben. Anfang Jänner 1946 wurden dann auch die Reichskleinodien . durch die amerikanische Besatzungsmacht wieder nach Wien zurückgeführt, nachdem sie aus ihren bombensicheren Verstecken in Nürnberg gehoben worden waren. So waren die Bestände der Schatzkammer im. gleichen Umfang wie vor 1938 wieder vereinigt, ohne Schäden und ohne Einbußen.

Sic wurden nun hier in sicheren Tresoren geborgen, während die Planungen für die Neuaufstellungen begannen, mit denen der Verfasser betraut wurde. Es ergab sich dabei die prinzipielle Frage, ob man an der alten Aufstellung der Weltlichen Schatzkammer festhalten sollte, so wie sie im großen und ganzen seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bestanden hatte, oder ob man für die Weltliche Schatzkammer die neuen, unfertigen Räume adaptieren sollte. Die alte Aufstellung wird gewiß vielen der älteren

Besucher durch die Kostbarkeit der Raumausstattung und das dichte Gedränge der Pretiosen und der goldflimmernden Gewänder in angenehmer Erinnerung sein. Aber anderseits haben gerade die reich ausgestatteten Möbel, die noch aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia stammen, die monumentalen, einfachen Werke aus dem Mittelalter erdrückt — ganz abgesehen davon, daß etwa der mächtige Krönungsmantel des Heiligen Römischen Reiches durch einen breiten Rahmen der Vitrinentür in zwei Teile zerschnitten wurde. Die geringe Zahl der Räume ermöglichte es außerdem nicht, die einzelnen Schatzgruppen gesondert zusammenzufassen; einzig die Reichskleinodien waren im größten Saal konzentriert gewesen, alle übrigen Bestände dicht gedrängt und durcheinander gewürfelt aufgestellt.

Die zehn neuen Räume, die wesentlich mehr Stellfläche besitzen als die alten, bieten dagegen die Möglichkeit einer lockeren Aufstellung, einer Zusammenfassung der einzelnen Schatzbestände und einer Isolierung aller wichtigen Stücke in besonderen Vitrinen, die in ihren Proportionen sich völlig dem Gegenstand anpassen.

Die Räume aber, in denen zuvor die Weltliche Schatzkammer untergebracht war, eigneten sich vortrefflich für die Geistliche Schatzkammer, die bisher in zwei von der Weltlichen isolierten Räumen üntergebracht war, wo hinter riesigen bis zur Decke reichenden Glaskästen in fünf bis sechs Reihen hinter- und übereinander Paramente, Haus-

altärchen und Reliquiare sich auftürmten. Mit diesen Gegenständen nun ließen sich die Maria-Theresianischen Kästen in ähnlicher Art einrichten, wie sie ursprünglich gefüllt gewesen waren; hier verbinden sich Vitrine und Objekt harmonisch. Die Aufstellung der Geistlichen Schatzkammer wurde daher sofort begonnen und anläßlich des Katholikentages im September 1952 eröffnet.

Der zweite Teil, die Weltliche Schatzkammer, bedurfte einer längeren Planung und umfangreicher Bauarbeiten. Jeder Gegenstand soll in seiner speziellen Schönheit gezeigt und in seiner Funktion erfaßt werden; die Krönungsgewänder daher nicht ausgespannt in einem flachen Wandkasten hängen, sondern über Puppen gelegt, lebendig erscheinen. Es muß ferner die Möglichkeit ausreichender elektrischer Beleuchtung geschaffen werden, damit die Schatzkammer auch abends geöffnet werden .kann; und die großartigsten Teile des Schatzes, die Reichskleinodien und der Burgunderschatz, sollen ja überhaupt nur in abgedunkelten Räumen in beleuchteten Vitrinen gezeigt werden. Das Bundesmini- sterium für Unterricht und das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau haben alles getan, um die Realisierung dieser Pl ne zu ermöglichen.

Jetzt ist es so weit. Saal für Saal gewinnt langsam seine gewünschte Form, Vitrinen werden aufgebaut, und in wenigen Tagen wird nach bangen 16 Jahren die alte Schatzkammer wieder ihr Tor öffnen. Hoffentlich wird dann die Neuaufstellung besser als die frühere Anhäufung zeigen, welche breite Fülle von Insignien und Kleinodien sich hier erhalten hat — trotz aller Einschmelzungen, die immer wieder im Laufe der Jahrhunderte schmerzliche Verluste verursachten.

Noch immer sind die großen Schatzgruppen erhalten: die prachtvolle Krone, die Kaiser Rudolph II. für sich machen ließ, die dann als Privatkrone Verwendung fand, bis sie endlich im Jahre 1804 zum offiziellen Symbol des neugegründeten Kaisertums Oesterreich wurde. Mit ihr verbinden sich Zepter und Reichsapfel, die wenig später für Rudolphs Bruder und Nachfolger Matthias geschaffen wurden, und all die kostbaren Gewänder, die von den Kaisern zur Krone getragen wurden — auch der prächtige Mantel, den dann 1830 Franz I. für den Kaiser von Oesterreich anfertigen ließ. Mit ihm zusammen werden die Gewänder des Königs von Lombardo-Venezien und die prunkvollen Garderoben der österreichischen Orden gezeigt werden. Es sind die Insignien erhalten, die bei der Erbhuldigung, der feierlichen Zeremonie des Regierungsantrittes in den österreichischen Erb- ländern, verwendet, die Geräte und Gewänder, die für die heilige Taufe bei Hof benützt wurden. An sie schließen sich zahlreiche Erinnerungsstücke an, deren berühmtestes sicherlich das Wiegenbett des Königs von Rom ist. Die Höhepunkte der Schatzkammer bilden aber die beiden großen Schatzbestände des Mittelalters: der Burgunderschatz, der seit Jahrhunderten zum erstenmal wieder vereinigt gezeigt werden kann — eben wegen der günstigeren räumlichen Situation —; er umfaßt all die Gegenstände, die aus dem Erbe nach den Burgunderherzögen aus dem Hause Valois in den Besitz der Habsburger kamen; und schließlich die Insignien und Keinodien des Heiligen Römischen Reiches, die entschieden das Gewaltigste sind, was auf dem Gebiete der Goldschmiede- und Textilkunst im Hochmittelalter geschaffen wurde. Gerade hier aber wird wohl am stärksten bewußt, daß die Schatzkammer keine Sammlung bloßer Kunstwerke ist, daß man an sie auch nicht mit trivialer Sensationslust herankommen kann, sondern daß hier „heiliger Boden“ ist. Was in diesen Vitrinen steht, sind die Zeichen, die Sinnbilder höchster abendländischer ideeller und irdischer Macht waren, getragen von einer langen Reihe von Generationen in einer nahezu tausendjährigen Entwicklung. Und selbst unsere moderne, nüchterne, technisierte Zeit fußt noch immer auf der Kultur und der Geschichte, für die die Kronen und Gewänder der Wiener Schatzkammer höchstes Heiligtum waren.

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