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Soll wieder eine berühmte Musikstätte verschwinden?

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Wie aus Zeitungsmeldungen hervorgeht, soll die in letzter Zeit so leidenschaftlich diskutierte Frage über die Wiederherstellung des im Kriege zerbombten Wohnhauses Mozarts in Salzburg insofern in ein entscheidendes Stadium getreten sein, als der „Assicura-zione Generali“, welche die Realität erworben hat, von Seiten der örtlichen Behörden gestattet wurde, dort ein Bürohaus zu errichten, das im Stile eines Alt-Salzburgerhauses erbaut werden muß und das Nachbargebäude an Höhe nicht überragen darf. Zur Begründung wird angeführt, daß der Wert einer reinen Kopie, wie sie die eventuelle Wiederherstellung, des Baues in der ursprünglichen Form darstellt, nicht überschätzt werden dürfe. Außerdem hätten die zuständigen Kulturinstitutionen es versäumt, „in den vergangenen Jahren in dieser Angelegenheit etwas zu unternehmen, um ihre Wünsche zu verwirklichen“.

Wer Mozart liebt, hat diese Zeitungsmeldung mit tiefer Betrübnis zur Kenntnis genommen! Ist wirklich schon eine endgültige Entscheidung in dieser Frage getroffen worden oder ist bis dahin noch etwas Zeit und somit geboten, noch im letzten Augenblick vor der Realisierung des gedachten Projekts eines Bürohauses die in Betracht kommenden Stellen zu warnen? Um was handelt es sich hier? Nicht um eine bloß die lokalen Faktoren, sondern die gesamte Kulturwelt interessierende Angelegenheit, um die Frage der Wiederherstellung einer Gedenkstätte Mozarts, den schon Goethe als einen der größten Künstler aller Zeiten gepriesen und Shakespeare und Raffael an die Seite gestellt hat. Was Shakespeare für England, Raffael für Italien, Goethe, Bach für Deutschland, ist Mozart für Österreich. Wenn Salzburg Weltruf genießt, das zum Kleinstaat degradierte Österreich im Bereich der Kunst noch als Großmacht gilt, so verdanken sie dies vor allem auch Mozart. Man kann daher meines Erachtens die in Frage stehende Angelegenheit nicht bloß vom Standpunkt der Denkmalpflege oder vom Gesichtskreis einer lokalen Bau- oder Magistratsbehörde beurteilen. Hier handelt sich es nicht allein um eine bauliche Angelegenheit, sondern in erster Linie um einen Akt der Pietät gegenüber dem größten Sohne Österreichs, gegenüber einem berühmten Künstler aller Zeiten. Schon gibt es mit Ausnahme des Geburtshauses in Salzburg, dem ebenfalls in Salzburg befindlichen „Zauberflöte“-Häuschen und dem sogenannten „Figaro-Haus“ in Wien fast keine bemerkenswerte Mozart-Gedenkstätte mehr. Seine letzte Wohnung, zugleich sein Sterbehaus in Wien I, Rauhensteingasse, ein auch kunsthistorisch wertvolles Barockhäuschen, wo die unsterbliche Musik der „Zauberflöte“, des „Don Juan“, des .Requiems“ entstand, hat einer Zinskaserne weichen müssen. Die Stelle, yro der Sarg Mozarts in ein Schachtgrab versenkt wurde, ist erst 1855 amtlich festgestellt worden. Sollen wir die Pietätlosigkeit, welche die Vergangenheit dem größten Sohn Österreichs gegenüber an den Tag legte, fortsetzen, indem wir just die Stätte, wo Mozart die für seine künstlerische Entwicklung vielleicht bedeutsamsten Jahre verbrachte, nicht dem Mozart-Kult oder einem dieses Meisters würdigen ideellen Zwecke, sondern einem rein materiellen widmen? Es war die Sturm- und Drangperiode, die der junge Mozart in diesem Hause erlebte, wo er nach seinen Kunstreisen als Wunderknabe etwa vom Jahre 1773 bis zu seiner Übersiedlung nach Wien im Jahre 1781, wenn er sich nicht auf Kunstreisen befand, domizilierte. Hatten die ersten Kinderjahre die Keime seiner musikalischen Urkraft in ihrer frühen wunderbaren Entwicklung gezeigt, so brachte in jenen Jahren die schöpferische Tätigkeit in der Heimat bis zur Übersiedlung nach Wien die Erregung, die Dämonie der großen inneren Wandlung des jungen Meisters zur vollen Auswirkung. Sein hoher Ernst, der damals schon sein Schaffen umwehte, heranreifende Männlichkeit, Tiefe der Empfindung prägen den Arbeiten dieser Periode ihren besonderen Charakter auf. Hier hat der von seinen Kunstreisen ruhmgekrönt zurückgekehrte Wolfgang Amadeus seine köstlichen Divertimenti, Serenaden, Klaviersonaten, Violinkonzerte, Streichquartette, zahlreiche Symphonien, Opern, wie „Finta giardiniera“, „Ido-meneo“, herrliche Kirchenmusik, wie die „Krönungsmesse“, und vieles andere geschaffen. Es ist also ein Ort wundersamer Erinnerung an eine der bedeutendsten Epochen in Mozarts .Leben. Soll an dieser Stätte eine Versicherungsanstalt oder ein Bankhaus errichtet oder soll der geplante Neubau wieder eine Weihestätte der Seele, eine Mozart-Gedenkstätte werden, zu der wir gerne und mit Andacht pilgern, weil über ihr der Geist des größten Genius Österreichs schwebt? Die fast ganz zerstörte Stadt Frankfurt, wo Goethes Geburtshaus im Kriege bombardiert wurde, ging hier mit gutem Beispiel voran, indem sie das Goethe-Haus im alten Stil wieder aufbaute. Nun hat — ich folge hier einem Zeitungsbericht — das Denkmalamt darauf hingewiesen, daß ein Vergleich mit dem wiederaufgebauten Goethe-Haus aus manchen Gründen hinke. „Vor allem konnte in Frankfurt die größtenteils aus der Goethe-Zeit stammende Einrichtung gerettet werden.“ Demgegenüber ist zu sagen, daß bei der Lösung unserer Frage es natürlich nicht auf das Vorhandensein einer inneren Einrichtung ankommt, sondern daß es sich hier ausschließlich um einen Akt der Pietät handelt. Natürlich müßte der Neubau in unserem Falle nicht gerade eine Kopie des alten Hauses sein, deren kulturellen Wert wir nicht überschätzen wollen, aber doch ein entsprechend den Anordnungen des Denkmalamtes ' dem alten Wohnhaus der Familie Mozart angepaßter Bau, der einem idealen des Meisters würdigen Zweck, etwa, analog dem Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, der Gründung eines Museums der österreichischen Tonkunst oder einem anderen ähnlichen künstlerischen oder wissenschaftlichen Zweck gewidmet werden sollte. Vielleicht besinnt sich Salzburg, die Mozart-Stadt, im letzten Augenblick noch ihrer Pflicht der Pietät gegenüber dem großen Genius, dem sie ihren Ruhm verdankt, und folgt dem Beispiel Frankfurts, das in schwerster Zeit sein Goethe-Haus wieder errichtet hat, und dem Weimars, das Goethes, Schillers, Herders Wohnstätten als nationale Heiligtümer erhält. Ja, wird man einwenden, woher sollen die Mittel für ein solches Unternehmen hergenommen werden? Nun, man hat in Salzburg auch Geld gesammelt für eine „Musikolympiade“. Auch ein Appell an die Mozart-Freunde in aller Welt würde nicht wirkungslos bleiben. Mozart, der so viel zum Ruhme seiner Heimat beigetragen hat, verdient es wohl, daß auch der Bund, das Land und die Stadt Salzburg für die Wiederherstellung der berühmten Gedenkstätte in der vom Denkmalamt vorgeschlagenen Form entsprechende Beiträge leisten. Es wäre eine solche Lösung dieser bedeutsamen Angelegenheit nicht nur eine große kulturelle Tat, sondern gewissermaßen auch eine Sühne für manche Pietätlosigkeit, die sich die Vergangenheit gegenüber Mozart schuldig gemacht hat.

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