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Spätgermanische Siedlung im Donauraum

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Die Jahrhunderte zwischen der Langobardenherrschaft in unseren Gegenden und der Einrichtung der karolingischen Ostmarken gehören zu den dunkelsten Epochen der Geschichte des österreichischen Donauraumes. Stehen uns für die Zeiten zwischen dem Zusammenbruch der Römerherrschaft und der Abtretung Pannoniens an die Awaren , immerhin neben den spärlichen Schriftstellernachrichten noch die von der Ur- und Vorgeschichtswissenschaft ausgebildeten Methoden und verwendeten Quellen zur Verfügung, so versagen diese von da an fast völlig. Grund hiefür ist neben der Spärlichkeit der Funde' insbesondere die Tatsache, daß die Untersdieidung der Tonware (Keramik), die früher einen der feinsten und aufschlußreichsten Gradmesser für zeitliche und volklidie Untersdieidungen bildete, mit einemmal versagt, da der sogenannte Nomadenstil das Töpfergewerbe der Awaren, Slawen und Germanodeutschen nunmehr völlig beherrschte. So galt es da vor allem neue Quellen zu erschließen und neue Methoden auszubilden, um die Lücke zu füllen.

Wir wissen heute'aus zahlreichen Grabfunden in Mähren, Niederösterreich, der Slowakei und dem Burgenland, daß die Langobarden um das Jahr 500 diese Gebiete bewohnten und hier offenbar die Reste früherer germanischer (insbesondere quadisch-swebischer) Völkerschaften einschmolzen. Nach Ausweis ihrer Hinterlassenschaften bewohnten sie vorwiegend die fruchtbaren Landstriche^ Tal- und sanften Hügellagen, während zum Beispiel die westlichen, ärmeren Randgebiete der damaligen nieder-österreichiscfen Kulturlandschaft, die Gegend am mittleren Kamp um Horn bis zur Thaya bei Raabs, Rückzugsgebiete der markomannisch-gotisch-rugisdien Restbevölkerung gewesen sein dürften. Bald nach 500, als die Langobarden die herulische Herrschaft abgeschüttelt hatten, breiteten sie ihre Siedlungsgebiete nach Südosten zu aus, drangen über die Donau vor und besetzten schließlich 546 auch die Plattenseegegend und Slawonien. Dadurch verlegte sich der Schwerpunkt ihres Reiches in jene Gegenden, ohne daß dabei aber ' die niederösterreichisch-mährischen Sitze aufgegeben worden wären. Bald darauf erfolgten dann wiederholte Zusammenstöße mit den im östlichen Ungarn wohnenden Gepiden. Diese suchten Rückhalt beim byzantinischen Reiche, während sich der Langobardenkönig Alboin mit dem Chakan der eben in der ungarischen Tiefebene eingelangten Awaren verbündete. 567

unterlag das Gepidenreich, worauf Alboin seine Scharen im kommenden Jahr nach Italien führte, nadidem er vorher Pannonien den Awaren vertraglidi abgetreten hatte.

Mit diesem Zeitpunkt begann nun bis vor kurzem die eingangs geschilderte Lücke unserer Kenntnisse der historischen Entwicklung im Donauraum. So war vor allem völlig unklar, was aus der langobardischen Restbevölkerung im Weinviertel, um Wien und südlich davon, insbesondere in der Gegend zwischen dem Osthang des Wienerwaldes und dem Neusiedlersee, geworden sei. penn daß sich alle hier Ansässigen restlos dem Zug nach Italien angeschlossen hätten, war von allem Anfang an als völlig unwahrscheinlich zu betraditen. Da hat sich denn vorerst herausgestellt, daß eine Anzahl von Grabfunden, die man früher als teils wesentlich älter, teils wesentlich jünger angesehen hat, zufolge ihrer rituellen Grabbräuche zweifellos eben in die Zeit nach dem Abzug der Langobarden nach Italien zu setzen und sicher diesem selben Volke zuzuschreiben sei. Es haben uns aber auch genaue Fundbeobachtungen und feine Grabungsmethoden sowie eine neuerliche Durchforschung der zeitgenössischen Uberlieferung in die Lage versetzt, neue Einzelheiten über diese Spätzeit germanischer Siedlung im österreichischen Donau'raum aufzudecken. Die Leichenteilung und Leichenzerstückelung, die insbesondere A. Seracsin im spätgermanisdien

Friedhof von Götzendorf bei Bruck a. d. Leitha beobachten und durch fachmännisch genaue Grabungsmethoden erhärten konnte, ist von ihm richtig als Seuchenabwehr und 1 die durch Furcht vor Ansteckung entstandene Abwehr des Wiedergähgertums gedeutet worden. Hält man da*u die von L. Franz zusammengestellten Nachrichten über den Ausbrüdi und die Verbreitung von pestartigen Seuchen in Mitteleuropa von der .Mitte des VI. Jahrhunderts an, so erhält man die Erklärung für den Niedergang der germanischen Kultur und Volkszahl eben in unseren Gegenden nach jener Zeit. Die Pest, die schon 542, von Byzanz und dem Orient ausgehend,' irisbesondere Norditalien verheerte, ist in wiederholtem Aufflackern offenbar auch zu uns her gelangt, wo sie die langobardisch-swebische Restbevölkerung dezimierte, welche Katastrophe ihren Niederschlag in den eigenartigen und grauenhaften Bestattungssitten des Ausganges des VI. Jahrhunderts fand. .

Trotz diesem schweren Aderlaß aber muß sich dennoch ein', wenn auch schwaches, deutschsprachiges Bevölkerungselement durch die kommenden Jahrhunderte hindurch erhalten haben. Denn die Sprachwissenschaft hat eindeutig festgestellt, daß zum Beispiel der illyrische Name des Marchflusses durch deutschen Mund an die karolingischen Siedler s des VIIL und IX. Jahrhunderts vermittelt worden sein muß. D*enn wäre der Flußname von Slawen den Deutschen Karls des Großen überliefert worden, müßte er nach den bestehenden Lautgesetzen im Mittelalter Morava, nicht Maraha gelautet haben.

Wohl schon am Ende des VI. Jahrhunderts, sicher aber von 600 an, schoben sich nun, von ihren awarischen Herren vorgetrieben, übsr diese donaugermanische, wohl in ärmlichsten Verhältnissen lebende Bevölkerung kroatisch-slowenische Stämme von Südenher vor. So ward das Alpenland bis zur Traun slawisch.. Wie aber, wieder dem Namensgute nach zu schließen, die romani-sierte illyrische Urbevölkerung unter den Slawen weiterbestand, so auch die •chwache germanische. Das Reich, das der trinke Samo 620 begründete, das die Länder von Karantanien bis Böhmen unter seiner Herrschaft einte, war keineswegs von einheitlichem völkischen Gepräge. Seine Hauptstadt war Wien. Hier stand der Palast seines Fürsten, den K. Oettinger aus kärglichen, aber um so bezeichnenderen Baubruchstücken und dunklen chronikalen Nachrichten erst unlängst nachweisen konnte. Von den Franken im Westen, von den Awarep im Osten bekriegt, verstand es Samo durch mehr als 30 Jahre glanzvoller Regierung, seine Unabhängigkeit zu wahren. Erst sein Tod brachte 622 auch seinem Reiche den Untergang. Der Osten bis an den Abhang des Wienerwaldes mit Wien selbst fiel nun an das Awarenreich. Und kürzlich erst haben uns die bedeutenden Grabfunde von Liesing erstmals awarisches Kulturgut eben dieser Zeit (um 700) auf Wiener Gebiet ergeben. Denn alle die anderen älteren awarischen Funde in der Umgebung sind wesentlich jünger und gehören erst der Mitte und dem Ausgang des VIIL Jahrhunderts an. Der Westen von Samos Reich aber, der Landstrich an der Donau zwischen der Traun und der Melk oder vielleicht dem Wienerwald, Wurde — wieder nach dem Ausweis des Namensgutes — nunmehr von den Bayern, und zwar anscheinend in harten KämDfen, besetzt. Erst um 750 bis 770 wurde auch dieses Gebiet, diesmal aber als deutschbesiedeltes Land, dem Awarenreich einverleibt, bis zu dem Zeitpunkte, da König Karl dem Reich der Chakane ein Ende bereitete.

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