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Spiele im Land der Burgen

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Nicht bloß eine zugkräftige Attraktion im Dienste des Fremdenverkehrs, nicht eine anlockende Sensationstrommel für ein Saisongeschäft, vielmehr eine innere Verpflichtung zur kulturellen Aufgabe und Volksbildung ist es, wenn seit Jahren im Burgenland Festspiele veranstaltet werden: auf Burg Forchtenstein (und früher auch in Schlaining und Güssing), im Haydn-Saal des Schlosses Esterhazy in Eisenstadt, in Mörbisch am Neusiedler See und nun im Römersteinbruch von St. Margarethen, wo nahe am Eisernen Vorhang Laienspieler das Leiden und Sterben Christi dajjstellęn., ap fn Schlaining hatte es Vorjahren begonnen. Der Ort, mit dem noch gut fhdtenen Gesicht eines mittelalterlichen Marktes, lud zweimal zu Aufführungen in seine das Tauchental überschauende Burg. Unter Leitung des Grazer Dramaturgen, Dr. Heinz Gerstinger, spielten die Schlaininger mit viel Hingabe und Begeisterung vor nicht wenigen Besuchern ihr Spiel vom Ritter Andreas Paumkircher.

Güssing und Forchtenstein folgten. Beide Burgen lassen das durch ihre Kulisse bereicherte Festspielerleben unter freiem Himmel besonders stark und eindrucksvoll werden. Die mächtigen Steinkolosse auf Felsen packen und stimmen, den Zuschauergast. Das Wort, das hier aufklingt, geht tiefer als sonstwo, die ferne Vergangenheit, die hier aufzieht, rückt näher und wird Gegenwart, die Bühne ist nicht tote Attrappe, sondern der in das Geschehen einbezogene Rahmen, der mitspielt und mitwirkt.

Geschichte und Sage dieses Grenzlandes sind oft und oft auf dem steilen Vulkanfelsen von Güssing und im Burggraben von Forchtenstein lebendig geworden: die Zeiten der im Hoch- und Spätmittelalter hier mächtigsten Grafengeschlechter, der Güssinger und Mattersdorf- Forchtensteiner, an die heute das Burgenlandwappen erinnert; die zwei Jahrhunderte der Türkennot („Im Zeichen des Halbmondes“ und „Im Zeichen des Kreuzes“, in Güssing, „1683“ auf Forchtenstein) und die harten Jahre der Pest, die wütete, als im Süden schon die Batthyäny und im Norden die Esterhazy herrschten.

Der Plan, in Güssing Burgspiele zu veranstalten, wurde von Bezirkshauptmann Hofrat Doktor Josef Mayer in die Tat umgesetzt. Als Autor und Regisseur zeichnete Dr. Paul Rauchbauer verantwortlich. Der für Freilichtaufführungen hervorragend geeignete, abgeschlossene Freiplatz vor der zum nächtlichen Himmel emporstrebenden Ruine bot eine effektvolle Bühne für den „Iwein von Güssing“ und die vier anderen Rau "hbauer-Spiele. Nicht weniger als 25.000 Zuschauer, hauptsächlich aus den südlichen Bezirken des Landes und der angrenzenden Steier mark, zählte man innerhalb der Festspielzeit von sieben Jahren. Anerkennenswert war die starke und lebhafte Anteilnahme der Güssinger Laienspielgruppe. Leider ist es um sie in der letzten Zeit still geworden. Die Güssinger werden aber, wie sie versicherten, wiederkommen.

Die Initiative auf Forchtenstein ging von Oberamtmann Rudolf Höttinger aus. Um ihn bildete sich ein aktiver Kreis, dem bis zum heutigen Tage die Gemeindevertreter und Schuldirektoren von Forchtenstein und Neustift angehören und die Einheimischen als Helfer und Komparsen treu zur Seite stehen. Die ersten yersuche wurden unternommen. Stücke von Franz Probst (Maria Hofmairin, 1683, Die Hexe von Forchtenstein, Die Brüder von Forchten stein) gingen von 1954 bis 1957 im tiefen Burggraben unter Mitwirkung einiger Berufsschauspieler aus Wien und der Landesbühne sowie ortansässiger Kräfte über die Bretter. Ludwig Maria Plakolb ließ, von Fritz Holzer geleitet, „Die fremde Frau“ nach Forchtenstein kommen.

Eine neue Ära brach an, als Herbert Alsen die künstlerische Leitung übernahm. Auf seine Anregung hin wurden mit Unterstützung der burgenländischen Landesregierung Bühne und der ansteigende Zuschauerraum für 1000 Gäste nach den Plänen der Architekten Ferry Windberger grundlegend umgestaltet. Nun spielte und saß man nicht mehr dm langen Schlauch des einstigen Wassergrabens, ohne die Burg mitzuerleben, jetzt wurde diese selber zur „Mitspielerin“ und beherrschenden Gestalt vor dem Zuschauer. Wer 1959 Goethes „Götz von Ber- lichingen“, 1960 Grillparzers „Ahnfrau“ und heuer „Ein treuer Diener seines Herrn" auf der neuen, 70 Meter breiten, in zwei Etagen aufgebauten Burgbühne an einem schönen Sommerabend gesehen hat, wird sicherlich mit Vergnügen und löblicher Anerkennung an die Aufführungen denken: nicht allein an das durch die wundervolle Naturkulisse geprägte Bild, sondern insbesondere an das glückliche und einmalige Zusammenspiel von Bühne, Burg und Landschaft.

Ein unvergeßlicher Abend ist es für jeden, der, von einer waldwürzigen Brise umfächelt, nach einer stimmungsvollen Fahrt auf die Felsenfeste und einer von Tal und Berg gespielten Ouvertüre einen Grillparzer auf diesem historischen Schauplatz erlebt, wobei mild der Mond über der Szene strahlt und hinter der monumentalen, verwandlungsfähigen Simultanbühne die Umrisse der turmbewehrten Festung sich vom dunkelblauen Nachthimmel abheben. Diese bezaubernde Anmut und reizvolle Symphonie hat Forchtenstein bekannt und berühmt gemacht. Bei insgesamt zehn Vorstellungen zählte man heuer schon mehr als 10.000 Besucher.

Mit Grillparzer ist den Burgspielen in Forchtenstein der große Wurf gelungen. Unter der Regie von Dr. Otto Ambros waren die zwei Grillparzer-Aufführungen ein durchschlagender Erfolg. Diesem großen österreichischen Dichter gehören auch in Hinkunft die Forchtensteiner Festspiele. Auf dem Programm stehen bereits: „Weh dem, der lügt“ und „König Ottokars Glück und Ende“, das als Jubiläumsgeschenk im zehnten Spieljahr gedacht ist. Der österreichische „Dichterhofrat“ soll hier eine bleibende Heimstätte finden, die er ja nirgendwo sonst noch hat. „Was Bayreuth für Wagner, sei Forchtenstein für Grillparzer“, meint Regisseur Ambros. Der Klassiker des österreichischen Theaters und Burg Forchtenstein mögen lange eine unlösbare Einheit bilden. Wer hätte denn an einem historischen Ort mehr Recht, zu Wort zu kommen, als unser großer Historiker-Dichter Franz Grillparzer?

Der Haydn-Saal des Schlosses Esterhazy in Eisenstadt erzählt uns nicht nur von einer vergangenen Glanzzeit der Kultur, sondern auch von repräsentativen Veranstaltungen, die unsere Großen im Reiche der Musik ehren. So ertönten im Jubiläumsjahr 1959 unter Aufgebot bedeutender Künstler und der Wiener Philharmoniker Josef Haydns unsterbliche Klänge. Listzs 150. Geburtstag nahm erst vor kurzem die burgenländische Landesregierung zum Anlaß, um zu einem Gedächtniskonzert, dirigiert von dem weltbekannten Paul Hindemith, ins barocke Schloß zu laden.

Die Seespiele in Mörbisch, seit Sommer 1957 mit immer größerem Erfolg inszeniert, könnten zu einem zweiten Bregenz werden, sobald def verdienstvolle Landesintendant, Kammersänger Herbert Alsen, nicht mehr allein die leichte Muse auf der Wasserbühne zwischen dem Schiff tanzen läßt. Gewiß fühlen sich „Der Zigeunerbaron“ und „Die Csardasfürstin“ in der gegebenen Pusztalandschaft ganz zu Hause, gewiß gibt es für sie keinen zweiten ähnlichen Rahmen, aber dennoch warten wir nach den Jahren des ..Anlaufens“ auf die eine oder andere Festival- Überraschung, die noch höheren Ansprüchen gerecht wird. Vergessen sei nicht die Erwähnung, daß neben den Starkräften die Volkstanzgruppe und der 100 Mitglieder starke Chor der Mör- bischer zum guten Gelingen beitragen.

Nahe am Eisernen Vorhang ragt auf der Anhöhe des Römersteinbruches von St. Marga' rethen das mächtige Passionskreuz und weist in das Land und hinüber zu den von uns getrennten Glaubensbrüdern. 1926 wurde hier zum erstenmal in einem Bauernhof auf Initiative des Pfarrers Josef Kaindlbauer und des heutigen Spielleiters, Emmerich Unger, das Leiden und Sterben Christi dargestellt. Dann 1933, 1936, 1946 und 1956 in einem kleinen Passionsspielhaus. 1961 ist der Steinbruch von St. Margarethen, der für Carnuntum und Vindobona, den Stephansdom, die Ringbauten, den Süd-Ost-Bahnhof und die Autobahn, für Bauwerke der Romanik, Gotik, des Barocks und der Neugotik sein Material geliefert hat und seit 1959 einem europäischen Kümtlersymposion als gigantisches Freiluftatelier dient, mit seinen steilaufragenden Felswänden und Schluchten zur gewaltigen Naturkulisse der „Passio Domini“ geworden: „Anläßlich der Erhebung der Apostolischen Administra- tur Burgenland zur Diözese und als Danksagung für die Inthronisation des ersten Diözesan- bischofs DDr. Stefan Läszlö, sowie zu den Feierlichkeiten der 40jährigen Zugehörigkeit des

Burgenlandes zu Österreich, und nicht zuletzt 2ur Belebung und Festigung der religiösen Gesinnung.“ — Die Freilichtbühne bietet Platz für 1350 Besucher. Insgesamt besuchten heuer 28.700 Personen 29 Aufführungen. 250 Leute aus allen Berufsständen der Dorfbevölkerung bilden die große Spielgemeinschaft. Burgschauspieler Alfred Schnayder hat die künstlerische Gesamtleitung. Das geistliche Laienspiel soll hier unverfälscht und echt erhalten bleiben. Hier wollen wir keine geschulten und perfekten Routinekünstler, hier soll der aus dem einfachen bäuerlichen Volk gewachsene Glaube allein sprechen und zum Erlebnis werden.

Von Güssing bis St. Margarethen, nahe am Eisernen Vorhang und unweit von den Wachttürmen und dem Stacheldraht am Ostwall, dokumentieren die Burgenländer durch diese Spiele auf Burgen, am See und im Steinbruch ihren Kulturwillen und das im Land an der harten Grenze besonders geschätzte Glück der geistigen Freiheit der Menschen.

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