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Spuren der Urzeitin der Landschaft

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Es war ein herrlicher Frühsommertag, als ich vor einigen Jahren von der französischen Atlantikküste aus eine etwa 30 Kilometer entfernte Insel besuchte. Ich tat dies in dem Bewußtsein, auf dem kleinen Eiland verschiedenes zu sehen, das mir die Möglichkeit bot, die älteste Geschichte dieses Punktes näher kennenlernen zu können. Meine Erwartungen wurden auch tatsächlich nicht enttäuscht. Bald fand ich ein uraltes Gemäuer, das sich mir als der Rest eines vor mehr als dreitausend Jahren errichteten Steingrabes offenbarte. Und als ich dann so sinnend vor den letzten Resten dieser uralten Gruft stand, da kam mir die Erinnerung,- daß wir ja auch bei uns, ja in unserer engsten Heimat, solch ehrwürdige Zeugen einer längst vergessenen Vergangenheit besitzen.

Mehr als man glauben möchte, trägt der Boden von heute die Spuren der Urzeit in sich, mehr als man erwarten würde, finden sich die Kerben des ältesten Geschehens in die Landschaft geschnitten. Denn die Landschaft von heute ist kein Produkt der Gegenwart, ja sie ist nicht einmal ein Ergebnis mittelalterlicher Einwirkungen und sie ist auch nicht geformt worden durch den Menschen des Altertums. Schon weitaus früher, da der Mensch sich anschickte, die Fruchtbarkeit der Erde für sich zu nützen, begann auch der Eingriff in die Landschaft. Er begann damit, daß durch die Pflege des samentragenden Grases der Lößboden frei vom Wald gehalten wurde. Er setzte sich fort durch die Ausweitung des Ackerbodens in die anschließende Waldzone, und er erwies sich als besonders kräftig, als man daranging, in die Berge einzudringen, ihre Schätze abzubauen und damit den hochgelegenen Waldbestand zu verändern. Durch diese Eingriffe wird die Landschaft langsam, aber immer merklicher geformt. Das ist der Weg von der Natur- zur Kulturlandschaft, die enger, als es uns anfänglich scheinen mag, an die formende Kraft des urzeitlichen Menschen gebunden ist. Denn es ist kein Zufall, wenn wir beispielsweise heute im Siedlungsbereich von Weinviertier Dörfern steinzeitliche oder metallzeitliche Funde heben. Kein Zufall ist es auch, wenn eine Almhütte auf dem Boden eines bronzezeitlichen Schmelzplatzes steht und wenn sie vom Dache eines riesenhaften Bergahorns Schutz gegen Wind und Wetter erhält. Denn dies ist ein Weiterwirken einer einmal gesetzten menschlichen Handlung, deren Träger uns unbekannt geblieben ist, deren Wille und Geist uns aber immer nodi ansprechen.

Mit Recht darf man daher sagen, daß der Wandel jungsteinzeitlicher Urland- schaft zur metällzeitÜchen Kulturlandschaff und von hier über die neueren Epochen der Geschichte in vielfachen Einzelheiten auch noch im heutigen Landschaftsbild zu verfolgen ist.

Kulturgeographische Schau zählt darum au di zu den eindrucksvollsten Betrachtungsweisen eines Landschaftsgebietes. Bei entsprechend inniger Beschäftigung mit einem kleinen Raum wird man deshalb schon auf Grund kartographisdier Studien in der Lage sein, aus der Geländeformation allein oder aus dem Gesamtcharakter der betrachteten Zone landschaftsgeschichtliche Aufschlüsse zu erhalten. Voraussetzung dafür ist allerdings ein inneres Aufgesdilossensein für die Sprache der Landschaft. Ich zähle es zu meinen schönsten Erinnerungen, als mir ein anderer Sommerlag das Geschenk des Inseltales gab. Hoch oben auf dem Burgberg über Obermauern saß ich auf den letzten Resten eines mittelalterlichen Turinfundaments. Zu meinen Füßen die gotische Kirche von Obermauem, in deren Friedhofsbereich man völkerwanderungszeitliche und römische Gräber gefunden hatte. Im Mittelgrund dieses imposanten Bildes Virgen, umgeben vom Kranze römischer und eisenzeitlicher Fundstellen am sanften Abhang gegen die Isel zu, während von der anderen Seite des Flusses der spitze Kegel des Burgstalles herübergrüßte. Und ganz draußen das Kirchlein von St. Nikola bei Matrei, mit den Türmen von Virgen und Obermauern in einer Linie gelegen. Unten aber im Tale konnte man die Trasse des Weges erfühlen, auf dem Römer und Illyrier in das Tal gezogen waren, um tief Hinten im Tlergland das Kupfer zu holen, Und schloß ich die Augen, dann schrumpfte dieses heute bebaute Land etwas zusammen, die Waldgrenze rückte einige Meter herunter, und an Stelle der steingebauten Häuser und der spitztürmigen Kirchen sah ich die kleinen Holzhütten der Eisenzeit. Landschaft von heute, urzeitliche Siedlungsund Grabreste flössen in eins zusammen und formten so das ideal geschaute Bild .einer längst entschwundenen Zeit.

Dieser Ruf aus der Vergangenheit aber klingt nach Axthieb, Arbeit und Brot, Das Tagewerk uralten bäuerlichen Werkens bringt er uns nahe und sagt uns, daß wir Umschau halten sollen nach anderen Spuren der Urzeit, Und wer zu lesen vermag in den Falten der Landschaft, der findet sie auch. Nicht in Gestalt von Grabhügeln, Steinmonumenten und Siedlungen aus heidnischer Zeit allein. Nein, in der Stille eines kleinen, auf der Berghöhe stehenden gotischen Kirchleins ist sie beschlossen. Denn hegte wissen wir, daß die christliche Kultstätte nur zu oft an jenen Orten aufgebaut wurde, die von alters her dem Menschen heilig war. Danielsberg, Magdalensberg, Ulrichsberg in Kärnten, der Kirchhügel von Lavant in Osttirol und der Freinberg mit der Martinskirche in Linz sind bloß einige wenige Beispiele dafür, wie uns durch das Bild der Gegenwart das Antlitz der Vergangenheit entgegenleuchtet.

Es ist wahrhaftig nicht notwendig, mit dem Flugzeug über unsere Landschaft zu eilen, wenn die schiefstehenden Strahlen der Sonne jede Einzelheit des Bodens wie mit einem Scheinwerfer herausheben. Wohl sehen wir dann gar mannigfaltige Einzelheiten im Relief der Erde, die uns sonst verschlossen bleiben würden, und können sie audi mit dem Auge der Kamera festhalten, wie dies bereits in so vorbildlicher Weise in England geschehen ist. Bei solchen Gelegenheiten werden verschliffene Ring- Wälle, eingeebnete Festungsgräben, ab- gebaqte Grabhügel und alte Ackerlandschaften sichtbar. Bei uns aber würden, wenn wir dieses moderne Forschungsmittel in den Dienst unserer Sache stellen könnten, noch viele unbekannte Dinge erschlossen werden. Ich denke dabei bloß an eine einzige Gruppe von Zeugen der Vergangenheit, an die frühmittelalterlichen Hausberge, die als Vorläufer der wehrhaften Burgen von den damaligen Landesherren errichtet wurden. Groß ist ihre Zahl, die man aus dem Burgenland, aus Niederösterreich und dem angrenzenden Südmähren kennt — und doch gibt es immer noch Überraschungen. So sei bloß auf eine Entdeckung aus den letzten Jahren hingewiesen. Einer unserer Kollegen studierte einmal ein Blatt der österreichischen Spezialkarte 1 : 75.000. Da fiel ihm eine Eintragung auf, die einen kreisrunden Hügel darstellte. Dabei stand als Erklärung das Wort „Türkenhügel“. Einige Zeit später hatte der Betreffende Gelegenheit, den auf der Karte verzeich- neten Punkt zu besuchen. Wie groß aber war sein Erstaunen, vor einem Erdunterbau für eine frühmittelalterliche Holzburg zu stehen.

Die Spuren der Urzeit und der späteren Vergangenheit in der Landschaft sind eben nicht tot. Sie leben in dem mit der Landschaft verbundenen Menschen noch fort und unsere Aufgabe ist es, zu dem Denkmal der Sache auch das Denkmal des gesprochenen Wortes und vielleicht sogar der gesetzten Handlung zu suchen. Allerdings werden wir dies nur dann tun können, wenn wir selbst mit dem Träger dieser überlieferten Vergangenheit eine innere Verbindung besitzen, wenn wir daher für diese Worte der Geschichte aufgeschlossen sind. Darum sei es bei dieser Gelegenheit noch einmal besonders betont: Vergangenes zu ergründen ist nur möglich auf dem Wege über das Gegenwärtige, das auf diesem so reichen Boden historischer Geschehnisse geworden ist. Nur wer sein eigenes Land kennt und nur wer das Volk dieses Landes versteht, wird zum Wesen des Vergangenen zurückfinden. Es scheint mir eine der größten Tragiken der Gegenwart zu sein, daß wir alle, nicht nur im großen, sondern vielleicht noch mehr im kleinen, also in Stadt und Land, von dieser Basis des gegenseitigen Verstehens, dieses Begreifens der spezifischen Sprache jeder einzelnen soziologischen Schicht abgerückt sind, daß wir Menschen des vorgeschrittenen 20. Jahrhunderts viel weiter als einer unserer Ahnen dieser Sprache der Vergangenheit entrückt sind. Daran ändern auch die herrlichen Erfolge der archäologischen Untersuchungen nichts. Sie sind ebenso Beruf wie jede andere Betätigung. Das wahre innere Verhältnis des Menschen der Gegenwart zur Vergangenheit wird erst klar, wenn völlige Entwurzelung und damit blindes Verschriebensein der Gegenwart auch wertvollste Spuren der Urzeit zerstören, ja wenn dieses Abgerücktsein von der eigenen Wurzelschicht zu einer vollständigen Verständnislosigkeit allen historischen Werten gegenüber führt.

Und so geht mein Ruf an alle jene, die ihre Arbeit in Feld, Wiese und Wald verankert haben. Mögen sie als Bauern, Jäger und Forstleute verständige Schützer dieser Vergangenheit sein und den ideellen Schatz, der ihnen durch Familie, Brauch und Beruf anvertraut ist, in Ehren halten. Denken wir alle daran, daß unsere materielle und geistige Habe aus dem Vergangenen erwachsen ist!

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