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Stadt, Großstadt und Utopie

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„Wir wollen, daß unsere Stadt nicht nur den Namen ,Linz an der Donau' trägt, sondern wir wünschen, daß die Stadt auch tatsächlich am Strom liegt und ihm ein architektonisch klar gestaltetes Gesicht zeigt.“ Unter dieses Motto ist der Band „Linz, Stadt am Strom“ gestellt, der durch die Zeitschrift „Österreich in Wort und Bild“ im H.-Bauer-Verlag, Wien, erschienen ist.

Das Buch ist nicht nur eine Darstellung der städtebaulichen Entwicklung der Stadt, ihrer künstlichen „Prachtentfaltung“ während der NS-Zeit, es stellt auch ihre vielfältigen Beziehungen zum umliegenden Landschaftsraum her, zeigt die geschichtliche und kunstgeschichtliche Bedeutung, vor allem die Verbindung mit der Donauschule, und kommt zuletzt zu einer lebendigen Darstellung der Gegenwartsproblematik. Zu den einzelnen Themen nehmen der Reihe nach Stellung: Rudolf Hirschmann (Erholsame Landschaft um Linz), Alwin Seifert (Linz und seine Wälder), Justus Schmidt (Die Donauschule in Linz), Rudolf Hillebrecht (Stadtentwicklung und Stadtzentrum), Franz Schuster (Die Verantwortung des einzelnen am Geschick der Stadt), Karl Kleinschmidt (An den Brücken), Roland Rainer (Linz und die Donau) und Erich Maria Meixner Wirtschaftswachstum und Donauverkehr in Linz). Das sind nur die wichtigsten Beiträge.

Großen Raum nehmen natürlich die Probleme der Gegenwart ein. so jene Anlagen, die den Kontakt der Stade zur Donau herstellen. Unter anderem die sogenannte „Zwischenbrückenverbauung“ und der Wettbewerb zur „Bruckner-Halle“, den bekanntlich der Finne Heikki Siren gewonnen hat. Es wäre nicht nur für Linz, sondern für ganz Österreich ein Gewinn, dieses großzügige, klare und konzentrierte Projekt ausgeführt zu sehen.

Der Band enthält viele gute Photos, Schwarzweiß- und Farbwiedergaben, Stiche, Zeichnungen, Lithographien, Pläne, Perspektiven und Modellaufnahmen. Das Layout ist, besonders am Anfang, etwas modernistisch. So „wachsen“ einige Donauaufnahmen zu neuen Landschaften zusammen. Der Umschlag ist nur Graphik. Diese Kleinigkeiten fallen aber bei dem gelungenen Band, der ein großes und heterogenes Material zu vereinen hatte, nicht ins Gewicht.

„Die moderne Großstadt“ (Soziologische Überlegungen zum Städtebau) von Hans Paul Bahrdt (Rowohlts Deutsche Enzyklopädie, Nr. 127) ist ein überaus anregendes Buch. Wir glauben, seine Bedeutung am besten zu zeigen, indem wir es selbst sprechen lassen. Die Zitate stammen aus dem zweiten, dritten und vierten Teil, denen im ersten eine „Kritik der Großstadtkritik“ vorausgeht, in dem die romantischen Begriffe wie „Vermassung“, „Verweisung“, mit denen man seit hundert Jahren operiert, bloßgestellt werden.

„... Den akademischen Schichten könnte man... vorwerfen, daß sie ihr Wissen, ihre Rede- und Schreibgewandtheit so wenig den Stadtvätern zur Verfügung gestellt haben, daß in ihrer umfassenden Allgemeinbildung soviel Platz für Literatur, Musik und bildende Kunst, aber kein Platz für Städtebau war. Auf sie trifft der Vorwurf ... zu, daß sie die städtischen Angelegenheiten für einfach lächerlich hielten und sich — sofern sie sich überhaupt für Politik interessierten — nur um nationale Belange kümmerten. Ihnen muß man ja vor allem die Schuld geben, wenn heute stadtplanerische Entscheidungen faktisch nur durch gute oder schlechte Experten oder durch eigennützige Interessengruppen, denen die Experten erliegen, gefällt, dagegen nur selten Gegenstand öffentlicher Diskussion werden. Unseres Erachtens sind städtebauliche Fragen popularisierbar, aber nur dann, wenn es eine vermittelnde Gruppe gibt. Und wer sollte diese sein.

wenn nicht die Ärzte, die Lehrer, die Volkswirte, die Ingenieure und die gesell-schaftskritischen Intellektuellen, die alle von ihrem Fachgebiet her einen Zugang finden können, wenn sie sich darum bemühen ...“

„... Wir werden niemals in Großstädten leben, die einheitlich und widerspruchslos aus dem Geist einer Epoche oder gar einer Theorie gebaut sind. Und es ist auch fraglich, ob wir dies wünschen sollten. Aber der Zwang, mit dem bereits Vorhandenen irgendwie zurechtzukommen, schließt nicht ein, daß man sich dem Althergebrachten stets unterordnen muß. In vielen Fällen ist es möglich, das bereits Bestehende in ein neues System einzu-beziehen, es gewissermaßen .umzudeuten'

oder ihm nachträglich einen Sinn zu verleihen, falls es vorher keinen gehabt hat. Den Mut und die Idee zu einer solchen ,Umdeutung' kann nur die Utopie, niemals die Erfahrung geben...“

Eine Schweizer Utopie hat das besondere Merkmal, könnte man definieren, daß sie auch realisierbar ist. So macht Walter Jonas, von Beruf Maler, mit der Broschüre „Das INTRA-HAUS, Vision einer Stadt“, Origo-Verlag, Zürich, 1962i den Vorschlag einer neuen Hochhaustype, eines hundert Meter aufstrebenden, trichterförmigen Gebildes, das, mit einem Minimum an bebauter Fläche, ein Maximum an Bebauungsdichte erreicht. Der innere Hohlkegel hat einen Durchmesser von rund 200 Metern und ist eigentlich erst das künstliche Gelände für eine terrassenartige Bebauung.

In einem solchen Haus kann eine ganze „Nachbarschaft“ (ungefähr ein Dorf oder ein „Schulquartier“), also rund 5000 bis 6000 Menschen, untergebracht werden. Das untere Drittel des „Trichters“ ist voll mit Räumen, die wenig oder kein Licht brauchen, darüber liegt eine Rasenfläche, auf der die Schule, Kindergärten und Spielplätze geplant sind. Von dieser Ebene ab entsteht nach oben das Bild einer großen Arena, in der statt Sitzreihen Häuserzeilen gebaut sind. Schrägaufzüge stellen die Verbindung zwischen den Ringstraßen und Wegen her. Im sogenannten Gegenkegel, der aus statischen Gründen gebraucht wird und als ausgreifendes Fundamentgebäude unter der Erde liegt, befinden sich die Garagenräume, Luftschutzkeller und ähnliches.

Durch diese Bebauungsart ergibt sich von selbst eine radikale Trennung von Auto- und Fußgeherverkehr. Zu ebener Erde herrscht der Maßstab des Autos und der großräumigen Landschaft, im „IntraHaus“ eine intime, kleinräumige, konzentrierte Siedlungsatmosphäre.

Es ist naheliegend, diese Elemente, die Häuser, nebeneinander zu stellen, sie zu addieren. Jonas hat auch dafür konkrete Vorschläge bereit. Er baut Brücken von Haus zu Haus und entwirft ein Spaziergängerparadies. Gewiß, hier wird die „Vision“ problematisch, denn die darunterliegende Landschaft, um. die es ja zuerst vor allem ging, wird fast überbaut, verdeckt. So gut die Besonnung bei einem Haus gewährleistet ist, so schlecht wird sie bei einer geschlossenen Gruppe von Häusern.

Dem diskutablen Vorschlag liegen Begleittexte eines Architekten, eines Statikers, eines Gartenarchitekten und eines Psychologen bei. Man möchte nur noch wünschen, daß sich zu dem Team ein Finanzmann gesellt, der ein Haus als Experiment realisiert.

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