7091543-1994_30_14.jpg
Digital In Arbeit

Steinerne Zeitzeugen

19451960198020002020

Die Schönheiten Maltas können vielleicht nicht mehr lang genossen werden, denn die ältesten Steintempel der Welt drohen zu verfallen.

19451960198020002020

Die Schönheiten Maltas können vielleicht nicht mehr lang genossen werden, denn die ältesten Steintempel der Welt drohen zu verfallen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die mächtigen Steinbauten der 5.000 bis fast 6.000 Jahre alten Tempelanlagen auf Malta und Gozo sind im wahrsten Sinn des Wortes vorgeschichtlich, Monumente aus einer vor jeder geschichtlichen Erfassung liegenden Zeit. Frühere allgemeine Schätzungen wiesen sie dem phönikischen Kulturbereich zu. Genaue Untersuchungen mit mode-renen wissenschaftlichen Methoden haben ihr Entstehen in fernste, nicht erreichbare Zeit zurückdatiert, noch rätselhafter wurden damit die wohl ältesten Steintempel der Welt.

Reisende auf Malta sind in der kurzen Zeit des Überganges vom Winter in den Sommer auch Wanderer, wenn sie auch den Auto-Touristen zahlenmäßig unterlegen sind. Faszinierende Variationen bietet die Wanderang oder Fahrt auf den nicht einmal sechs Kilometer von Mdina/Rabat zur Küste im Südwesten: das Renaissance-Schloß des Großmeisters Verdala, heute Sommerresidenz des Staatspräsidenten der Republik Malta; die Blütenpracht der um das Schloß liegenden Gärten; bronzezeitliche Karrenspuren in einem Gewirr von Steinen und Blumen; und schließlich die Klippen von Dingli, die über 250 Meter zum Meer abstürzenden Steilküste. Die Landschaft des nach Osten anschließenden Gebietes der nächsten Wanderung ist im Gegensatz dazu nahezu monoton mit ihren flachen Hügeln und sanft zur Küste hin fallenden Hängen. Wahrscheinlich verstärkt aber gerade diese Einförmigkeit den Eindruck der gewaltigen, leuchtenden Steine der Tempelanlage von Hagar Qim. Nur gute zwanzig Gehminuten vom Dorf Qrendi entfernt liegt auf einem Hügel dieser Tempel; der Globigerinen-kalkstein bewirkt die fast golden leuchtende Farbe. Die alten, hoch aufgestellten oder in Quadern über-einandergeschichteten Steine, die eindrucksvolle Gliederung der Fassade, der Wälle, der Hallen und kleineren Räumen, die kunstvollen Meißelungen und Verzierungen machen den umzäunten musealen Raum als Tempelbezirk in seiner ganzen Eindringlichkeit erlebbar.

Einige hundert Meter von Hagar Qim entfernt, ganz nahe an die Küste herangerückt steht der kleinere, aber wesentlich ältere Tempel Mna-jdra; hier liegt der Beginn der Monumentaltempelbauten auf der Hauptinsel Malta. Nachdem vor kurzer Zeit eine Mauer einstürzte und nun völlig zerstört ist, wurde der Tempel gesperrt. Der Schaden wird voraussichtlich irreparabel sein. Man kann hoffen, daß der fast 6.000 Jahre alte Bau nun nicht dem Verfall preisgegeben ist.

Mnajdra - „der Ausblick" - bietet einen schönen Blick aufs Meer. Aus dem Wasser und dem leichten Dunst, der landwärts zieht, steigt der wuchtige Block von Filfa, der fünften und kleinsten Insel der maltesischen Inselgruppe. Läßt sich das Bild der Biesensteina der neolithischen Tempelbauten mit dem Inselblock draußen in der See in korrespondierender Weise verdichten? Der britische Gouverneur, an den unweit von Mnajdra ein Gedenkstein erinnert, mag es so empfunden haben, denn seinem Wunsch gemäß wurde sein Leichnam im Meer zwischen der Küste und Filfa bestattet.

Auf dem Platz um den Triton-Brunnen vor den Toren Vallettas staut sich die Flotte der grünweißen Bedford-Autobusse. Auf der wohl längsten Linie der Insel, die zum

Fährhafen von Cirkewwa führt, fahren die 45er; sie dürften wohl zu den ältesten Exemplaren im gesamten maltesischen Busbestand zählen, aber sie bewältigen auch die Bergstraße zwischen der St. Paul's Bucht und der Mellieha Bucht erstaunlich gut. Für die Buslinien gibt es keine Fahrpläne, sondern nur mündliche Informationen, die im wesentlichen verläßlich sind. Für die Fährschiffe der Linie Cirkewwa (Malta) und Mgarr (Gozo) gibt es gedruckte Fahrpläne; die Zeiten werden aber nicht eingehalten. Für den Wanderer zurück in das vierte Jahrtausend vor Christus sollte dies aber ebensowenig ins Gewicht fallen wie die überraschende Tatsache der mehrstündigen Mittagspausen der gosita-nischen Busfahrer. Oder war dies nur die motivierende Auskunft durch den Taxichauffeur, der zu einem angemessenen Preis - über den dann allerdings während der Fahrt mehrmals „nachverhandelt" werden mußte — aufgenommen wurde?

Das Xaghra-Plateau auf Gozo wird von den gewaltigen, wie zerklüftet wirkenden Steinmassen des Ggantiia-Tempels („die Gigantischen") beherrscht. Der Weg vom Parkplatz zum Eingang in den Tempelbereich führt durch gepflegte Gartenanlagen mit blühenden Ole-andersträuchern, Zitronen- und Orangenbäumen, Gummibäumen und dickwülstigen Kakteen, die in gelbe und rote Blütenbüschel aufbrechen.

Die Pracht und die Farben der Gewächse wiederholen sich im Bereich des Tempels, hier wildwuchernd, nicht kultiviert, zum Teil die gewaltigen Blöcke der Monolithen, aber auch den Schutt zerbrochener

Mauern verdeckend. Mit dem Bau von Ggantija dürfte um 4.000 vor Christus begonnen worden sein, hier entstand der älteste und größte Steintempel, eine Doppelanlage. Die Südmauer, schon stark verwittert und abgebröckelt, droht zu verfallen und einzustürzen. Die Denkmäler eines geheimnisvollen, auf eine Mater Magna bezogenen Kultes, einer Kultur unbekannter Herkunft drohen zu versinken.

Im Umkreis des Hafens von Valletta befanden sich die meisten der steinzeitlichen Tempelanlagen. Hai Tarxien, der Tempel in der unmittelbar an Valletta grenzenden Stadt, ist in wichtigen Teilen gut erhalten und durch die Rekonstruktion weiterer Teile zu einem hervorragenden Beispiel der Schau in die Architektur und die innere Struktur der Tempelanlagen und ihrer kultischen Inhalte geworden. Anschauungs- und Lehrbeispiel, somit auch Platz des Gedränges von Touristengrappen, die hier gedrängte Informationen erhalten. Vertiefung und Zusammenfassung der Informationen werden durch die einzigartigen Exponate im Nationalmuseum für Archäologie geboten.

Das ganz in der Nähe von Hai Tarxien gelegenen Hypogäum, unterirdischer Tempel und Begräbnisstätte, ist wegen der dringend notwendig gewordenen Restaurierungsarbeiten immer noch geschlossen. Die Wandmalereien vor allem waren durch die Touristenströme der letzten Jahre stark in Mitleidenschaft gezogen.

Eine Gruppe italienischer und maltesischer Wissenschaftler und Techniker hat in den vergangenen acht Jahren die Tempel von Hagar Qim, Tarxien und Ggantija genauestens untersucht und jetzt - nur kurze Zeit nach dem Zusammenbrach einer Mauer im Tempel von Mnajdra - die Ergebnisse der Untersuchungen sowie ihre Empfehlungen veröffentlicht: die Tempel befinden sich in größter Gefahr, der Zusammenbrach der Megalithen droht, finanzielle und technische Hilfe durch das Ausland wird gefordert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung