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Steinzeitmenschen im Zeitalter der Atombomben

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Das Innere von Neu-Guinea und seine Bewohner sind heute noch vielfach dem Europäer unbekannt. Der nahezu undurch-dringlidie tropische Urwald und die ihre Unabhängigkeit verteidigenden Eingeborenen verwehren immer wieder jedes Eindringen in das Landesinnere.

Die älteste Bevölkerung Neu Guineas waren Kleinwüchsige, die von den Papuas in das Innere abgedrängt wurden. Diese gelangten über die seinerzeit- bestehende Landbrücke zwischen Südostasien und Melanesien in das Land. Nach Einbruch dieser festen Landbrücke kamen die seefahrenden Mela-nesier nach Neu-Guinea und bereiteten den Papuas das den Ureinwohnern zuteil gewordene Schidcsal. Im Süden Neu-Guineas leben Papuas, die physisch und kulturell den Nordaustraliern nahestehen.

Die Unterscheidung von Papuas oder „Buschleuten“ und Melanesiern oder „Salzwasserleuten“ beruht auf sprachlichen Unterschieden. Wir kennen ungefähr 500 Papuasprachen, die meistens nur von einigen hunderten, manchmal sogar nur von einigen Dutzenden Individuen gesprochen werden und als isolierte Sprachen vielfach nur durdi sprachkundige Dolmetscher eine Verständigung benachbarter Orte ermöglichen. Die dem austronesischen Sprachkreise angehörigen Melanesieridiome, die kaum grammatikalische, sondern nur lexikalische Unterschiede aufweisen, gestatten dagegen die Verständigung verschiedener Melanesierstämme. Mangels einer indigenen Verkehrssprache wurde das von den Chinesen gesdiaffene „Pidgin“ (das ist business english) auch in der Südsee zur allgemeinen Verkehrssprache.

Anthropologisch ist die Stellung der kleinwüchsigen Ureinwohner nodi umstritten; unter den Papuas überwiegt das den 1876 ausgestorbenen Tasmaniern nahestehende alt-melaneside Rassenelement, die Melanesier gehören vor allem der melanesiden Rasse an. Ferner finden sich noch im Süden australide, im Westen ostweddide und Osten polyneside Elemente vor.

Während 1932/33 H. A. Bernatzik von Wau aus das australische Papuagebiet besuchte, arbeitete G. Höltker S. V. D. 1936 bis 1939 im Mandatsgebiet. Die Bezeichnung „Steinzeitmenschen“ besteht heute noch zu t Recht, denn Steine und Knochen, Muschelschalen und Holz, Bast und Pflanzenfasern sind die Rohstoffe der al'äglichen Werkzeuge. So fand Bernau .k in unmittelbarer

Nähe des nur mit Flugzeugen erreichbaren modernsten Goldabbaues in Eddie Creek Steinbeile. Nevermann stellte in holländisch Neu-Guinea bei den Marind-anim fest, daß außer erbeuteten Schädeln und geraubten Kindern auch die Steine aus dem bergigen Inneren die wertvollste Beute sind. Der Digul muß für seine Frau als Kaufpreis 30 bis 60 Hundezähne, 6 Steinbeile und manchmal noch 60 Kaurimuscheln erlegen. Die Erzeugung einer Signaltrommel in But mittels Steinbeilen erforderte drei Wochen Atjbeit und der Bau eines Kanus in Matapau dauerte sogar eineinhalb Jahre. Die Herstellung von Ringen aus der bis 15 Kilogramm schweren Trararmuschel mittels Bambussägen, Holzbohrern und einfachen Schleifsteinen erstreckt sich auf mehrere Monate; diese Ringe sind als Familiengut, Geld und Schmuck sehr geschätzt.

Der Papua und Melanesier ist heute noch als Kannibale und Kopfjäger gefürditet. Er dünkt sich stets besser als sein Nachbar, so ist der Stammesname Marind-anim von „anirh-ha“ hergeleitet und das heißt „echter Mensch“ zum Untersdiied von allen übrigen minderwertigen, vom Tier kaum verschiedenen Menschen. Der Marind-anim nennt sich selbst „kaje Kaianok“, das ist „ich bin wahrhaftig gut“. Die moralische Grurideinstellung all dieser Leute beruht auf der Anschauung, daß das der eigenen Gesellschaft Dienliche gut und das dieser Abträgliche schlecht sei. Bei den Marind-anim erhält jedes Kind einen „Kopfnamen“, das ist der Name eines von seinem Vater getöteten Mannes aus einem fremden Stamme. Frühzeitig kommt der Knabe mit dem Kriegshandwerk in Berührung, so sind Siebenjährige oft schon vollwertige Krieger und mandier Vater trägt seinen zwei- bis dreijährigen Sohn am Rücken im Kampfe mit, damit der Junge sich bald an das Kriegerhandwerk gewöhnen kann. Der Motukrieger trägt als Trophäe für jeden getöteten Feind einen Hornrabenschnabel im Stirnschmuck. Die Raubzüge sind oft weit ausgedehnt, so bei den Mo'ol bis 140 Kilometer Die Mentalität diese Menschen zeigt der Ausspruch eines Tumleo-knabens zu einer Missionsschwester: „Ich erschieße dich und esse dich zum Sago.“ Die But wieder erklären, daß sie heut nur mehr „Weiber“ seien, da sie ja keine Kriege mehr führen dürfen; ihre Freunde nennen sie jedoch noch immer in Erinnerung an frühere Zeiten „Speer“. Bei den Boikin blieb bis heute die Furcht vor den „sagumei“ lebendig; diese waren Männer, die jeden Einzelgänger überfielen und töteten.' Die Nubia versuchten 1911, die Leute von Iku und Ichoron durch Geschenke zu bewegen, daß sie Fremde aus dem Süden den Nubia ausliefern sollten. Da die Einwohner dieser beiden Orte dem Wunsdie ihrer Auftraggeber nicht nachkamen, so holten sich die letzteren die ersehnten Schädel bei den Ichoron. Der erbeutete Kopf diente als geschätzte Nahrung und besonders die Weichteile der Wangen galten als Leckerbissen. Die heute nur mehr wenige Familien zählenden Monumbo sind die typischesten Vertreter von Kopfjägern; nacheinander waren sie verfeindet mit den Nubia, den Sepa und Orokosa, schließlich überfielen sie die Leute von Anianr und Manam, obwohl gerade die letzteren einen eigenen mißliebig gewordenen Stammesgenossen den Monumbo ausgeliefert hatten. Der Monumbo umschreibt mit den Worten „ich habe dem Dorfe eine Seile gegeben“ jede erfolgreiche Kopfjagd. Die Leute aus Saruga und Rempi erfreuten sich des Rufes, gefürdnete Kannibalen zu sein; besonders gerne hielter, sie wehrtose Flüdnlinge von den Plantagen als Opfer fest.

Eigenartig sind die Trauersitten der Papuas. Nicht nur, daß sich die Leidtragenden mit Lehm beschmieren, tragen die Witwen den Schädel des verstorbenen Gatten mit sidi herum oder wird Haar und Schmuck desselben im Bastgürtel aufbewahrt. Die Tumleo graben den Toten nach zwei Jahren wieder aus, Schädel und Skelett werden im Busche wieder eingegraben und die Witwe trägt fernerhin vier Rippen des Verstorbenen als Halsschmuck. Mütter tragen öfter Brustknochen ihrer verstorbenen Kinder mit sich. Im Gebiete von Alexishafen verüben bei Todesfällen junge Männer o7t Selbstmord, die Frauen hacken sich Zehen oder Finger als Trauerzeichen ab und manche männliche Verwandte tragen diese im Ohrläppchen.

Besonders wertvoll sind Erhebungen über die Kindersterblichkeit und den Eintritt der Reife bei Frauen. Höltker konnte feststellen, daß 29 Sepafrauen 172 Kinder geboren hatten, davon starben jedoch 91 im frühesten Alter. Die Kinderzahl der einzelnen Familien schwankte zwischen drei bis neun. Durchschnittlich tritt die Reife bei den Mädchen zwischen 15 und 16 Jahren ein. /

Starker Verbrauch der körperlichen Kräfte führt zu vorzeitigem Altern. Hungersnöte, leichte Anfälligkeit gegenüber epidemischen und Erkältungskrankheiten vermindern die Bevölkerungszahl. Entsprechende Maßnahmen der Regierung zur Erhaltung der in den Tropen unerläßlich notwendigen eingeborenen Arbeitern, besonders in Papua und Yuo sowie bei den Sepa, haben zu einer Hebung der Volkszahl bereits beigetragen.

Infolge der eigenartigen Heiratsordnungen und mangelnden Ehemöglichkeiten sind Ver- , wandtenehen öfter anzutreffen und kommen Degenerationserscheinungen bei Motu und Koraudi vor.

Neben mangelnden Heilkenntnissen bei manchen Stämmen treffen wir jeweils oft auch zwedtentsprechende Behandlungsmethoden an, so beispielsweise die Entfernung eines Pfeiles aus der Lunge oder die abgebrochener Pfeilspitzen aus der Schädeldecke, das Schienen gebrodiener Glieder mittels Mensdienknochen, Schröpfen an der Stirne gegen Kopfsdimerzen. Aberglaube spielt selbstverständlich auch seine Rolle, so behaupten die Aniano, durch Tanz und Zauber das Geschlecht des kommenden Kindes feststellen zu können.

Lange Zeit war die Bekleidungsfrage der Eingeborenen eine sehr umstrittene, heute haben Regierung und Mission sich dahin geeinigt, daß für den Alltag die Eingeborenentracht am besten ist. Nur bei feierlichen Anlässen sollen die Männer ein Lendentuch sowie ein ärmelloses, poröses Leibchen tragen; Strümpfe und Schuhe dürfen von den Eingeborenen nicht getragen werden. Das lange Frauenkleid wird verpönt und gelten bei den Eingeborenen heute Trägerinnen solcher Kleider als käuflich. Die Behauptung, daß das europäische Kleid gesundheitsschädlich sei, ist längst als irrig erkannt worden, denn Ausschlag und Ringwurmerkrankungen finden sich auch bei Eingeborenen, die noch keine Berührung mit Europäern hatten; allerdings muß auf große Reinlichkeit beim Tragen europäischer Kleidungsstücke gesehen werden.

Abschließend seien noch einige Daten über den Prophetismus, beziehungsweise über die von Höltker festgestellten und als „Schwarmgeisterei“ bezeichneten religiös-politischen Bewegungen gebracht. Einerseits handelt es sich bei diesen um eine Vermengung altheidnischen Brauchtums mit einem nicht verstandenen Christentum und andererseits um übertriebenen Lokalpatriotismus und über-heblidies Rassenbewußtsein, aus welchen sich ein Streben nach religiöser sowie politischer Selbständigkeit ausgebildet hat. In der Regel entstehen diese Bewegungen aus Traumerlebnissen eines Propheten heraus, der im Auftrage der Stammesahnen ein goldenes Zeitalter verkündet. Nicht die Güter des alten Brauchtums werden aber in diesem Paradies vorherrschen, sondern die Eingeborenen -Vierden jene der Europäer besitzen. Bemerkenswert ist, daß derartige Bewegungen nur selten in Notzeiten, wie Hungersnöten, Epidemien oder Kriegen, entstehen. Ursachen für das Aufkommen von Prophetismen bilden häufig ein starkes Geltungsbedürfnis, abnormal-sexuelles Verhalten sowie körperlich-seelische Krankheiten der Propheten. Höltker hat insgesamt 27 derartig^ Bewegungen nachweisen können.

Daß derartige Bewegungen von Feinden zu eigenen Gunsten miß-bralucht werden können, beweisen folgende, von Höltker berichtete Unruhen während des letzten Krieges. Die Japaner gaben sich als Abgesandte der Ahnen der Eingeborenen aus und trachteten, durch Verteilung der geraubten Güter die Hilfe der Eingeborenen zu gewinnen. In Buna und Gona ' töteten die Papuas mehrere Europäer und lieferten im Jahre 1942 die anderen an die Japaner aus. Nachdem 1941 in Inawei ein verrücktes Schulmädchen eine Schwarmgeistbewegung aasgelöst hatte, verkündete 1942 das Mädchen Philo, daß der Himmel ein Freund der Eingeborenen sei; diese dürften nicht mehr arbeiten, sondern sollen nur mehr beten und den Himmlischen Bootshäuser errichten. Durch energisches Eingreifen der australischen Behörde wurde diese Bewegung im Keime erstickt. Bedeutend gefährlicher gestaltete sich die Lage auf der Insel Karkar, die yon je 5000 melanesischen Taikie und 5000 papuanischen Woskia besiedelt ist. Während nur 500 der Eingeborenen Katholiken sind, bekennen sich die übrigen zum

Protestantismus. Nach dem Oberfall auf Pearl Harbour predigte der pensionierte Missionsprediger Kubai und der oberste diensttuende Prediger Melang, daß Christus an einem Donnerstag nach einer dreitägigen Finsternis kommen werde. Nach der im Jänner 1941 erfolgten Bombardierung von Madang lebte diese Bewegung neuerlich auf mit den Worten des Propheten: „Wir müssen unsere Arbeit fortsetzen. Jetzt ist die Zeit unserer Selbstverwaltung gekommen. Die Weißen müssen hinaus.“ Die Folge waren Plünderungen. Als Rabaul von den Japanern besetzt wurde, hieß es: „Mit den Japanern sind unsere Vorfahren gekommen, die uns alle guten Dinge bringen.“ Plünderung und .Totschlag waren die Folge dieser Prophe-zeihung. Einzelne Dörfer hatten ihre eigenen Propheten, so Mata und Mom. In dem letzteren trat ein alter ringwurmbehafteter Mann als Prophet auf. Allgemein wurde die alte Tracht vernichtet; die Europäer wurden verjagt, doch deren Güter übernommen. In Mata erklärte der Dorfprophet: „Wir sind .jetzt wie die weißen Herren von früher.“ Nach der Landung der Japaner auf Madang sagten die Eingeborenen: „Sie tragen wie wir die T-förmige Schambinde; sie müssen daher unsere Vorfahren sein.“ — Als die Japaner 1943 Karkar besetzten, verteilten sie alle europäischen Güter an die Eingeborenen und erklärten: „Wir sind gekommen, um euch die gute Zeit zu bringen, aber ihr müßt mit uns arbeiten und uns helfen, die Europäer zu besiegen.“ Ähnliche Vorgänge spielten sich im Aitapebezirk an der Nordostküste ab, als 1942 Wewäk und 1943 St. Anna von den Japanern besetzt wurden. — 1944 musterte in Madang ein krankhaft veranlagter Eingeborener Hunderte seiner Landsleute an und rüstete dieselben mit Handgranaten aus. Er erklärte überdies seinen Soldaten: „Die braune Hautfarbe ist gar nicht unsere richtige, denn sie wird ja verschwinden und dann werdet ihr ebenso hell wie die Weißen sein.“

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