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Stumme Zeugen sprechen

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Nach der Turbulenz der letzten zehn Jahre hat heute ein Heimatbewußtsein von besonderer Stärke Platz gegriffen. Seine Kraft schöpft es nicht zuletzt gerade ans der bedrängten Lage unserer Heimat; die schweren Jahre der jüngsten Vergangenheit haben zur Selbstbesinnung angeregt und Herz und Sinn vieler Menschen für die Vergangenheit des Vaterlandes weit aiufgeschlossen.

So ist eine Einladung doppelt seitgerecht, die von der Direktion des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs zum Besuch einer Ausstellung aus ihren kostbaren archiva- lischen Schätzen ergebt. Will man in einem großzügigen Überblick den Anteil Österreichs an der politischen und kulturellen Gestaltung des Abendlandes erweisen — hier ist er geboten.

Der erste Teil der Schau ist der territorialen Entwicklung und dem kulturellen Leben Österreichs im Mittelalter gewidmet. Vergilbte Pergamente berichten von Schenkungen und Belehnungen der österreichischen Markgrafen und Herzoge. So meldet eine Urkunde aus dem Jahre 1335 die Belehnung Albrechts und Ottos, der Herzoge von Österreich, mit dem Herzogtum Kärn ten; 28 Jahre spater bekundet Margarethe Maultasch von Tirol mit Zustimmung ihres Adels die bereits zu ihren Lebzeiten erfolgende Übergabe der Grafschaften Tirol und Görz an die österreichischen Herzoge. Zahlreiche Hängesiegel der zustimmenden Standesherren Tirols schmücken das Pergament. Teilungsverträge unter Aufrechterhaltung der gegenseitigen Erbfolge und Heiratsabmachungen vermitteln dem Besucher einen, wenn auch Jiur beiläufigen Einblick in die dynastischen Verflechtungen des Mittelalters, die für die Staatenbildung von so tiefer Bedeutung waren.

Die älteste deutsche Urkunde des Archivs ist: ein Lehensbrief für einen Salzburger Bürger aus dem Jahre 1266. Ob ihres gebrechlichen Alters ruht zwischen Glasplatten die älteste Papierurkunde eines deutschen Kaisers: Kaiser Friedrich II. befiehlt 1228 von Barletta aus dem Erzbischof von Salzburg und dem Herzog von Österreich, einen Streit zwi sehen dem Kloster Güß und dem Herzog von Kärnten zu schlichten. Und da ist auch

Jas Notizbuch des Abtes Hermann, von Niederaltaich, das historiographische Aufzeichnungen zur österreichischen Geschichte des 13. Jahrhunderts enthält, eine unserer wichtigsten Geschichtsquellen, ferner ein Abkommen Konradins, des letzten Hohenstaufen, mit seiner Mutter über verschiedene Besitzungen, ein anderes, enthaltend die Aufforderung des Konstanzer Konzils an Herzog Albrecht, das Übergreifen der hussitisdien Irrlehren a f Österreich zu verhindern. Ein prachtvoll ausgeführtes Exemplar des Militärreglements Herzogs Karl des Kühnen, ein Meisterstück der Kleinmalerei, ist für Maximilian, den Sohn Friedrichs III., bestimmt; mit seiner Schönheit wetteifern die künstlerischen Miniaturen auf einer Beglaubigungsurkunde der habsburgischen Hausprivilegien aus dem Jahre 1512. Während ein Schreiben des Eroberers von Konstantinopel, Mohammed II., an den Grafen Görz in deutscher Sprache abgefaßt ist und sich in dem gewohnten Rahmen hielt, leuchtet aus seltsamen türkischen Aktenrollen und ihrem fremden Schriftbild der Zauber des Orients. Dann wieder treffen wir auf ein Sdireiben Maria Stuarts an den Herzog Alba, auf Flugblätter und Akten aus der Zeit der Reformation und Gegenreformation. Ein schmuckloser Lederband birgt die Originalhandschrift des Augsburger Bekenntnisses, das einst die Gemüter sc tief erregte und das in Wien seinen Ruheplatz gefunden. Nicht weit davon liegt das Patent des Salzburger Erzbischofs, des Grafen Firmian, das 1731 die Auswanderung der Protestanten befahl.

Pompöse Samtmappen, mit großen Staatssiegeln behängen, enthalten Friedensverträge und Ratifikationsurkunden, ein prunkvoller roter Samteinband mit schweren Silberbeschlägen umschließt die Erklärung der niederösterreichischen Stände, mit der sie ihre Annahme der pragmatischen Sanktion beurkunden. Daneben ruht das Originalprotokoll über die Verlautbarung dieses habsburgischen Hausgesetzes. Zahlreiche Urkunden aus der napoleonischen Zeit tragen die Namen bekannter Persönlichkeiten. Auf dem Vertrag von Campo- Formio ist die Unterschrift Bonapartes deutlich zu erkennen. Eine blaue Samtmappe mit Goldstickereien und dem kaiserlichen N enthält das Ratifikationsprotokoll des Preß- burger Friedens. Aber — sic transit gloria mundi! — neben diesen Zeugen korsischer Triumphe ruht die Anerkennung der Abdankung durch Napoleon und eine Depesche Metternichs über die Internierung des gefangenen Kaisers auf dem „Belle- rophon“,

Dem Vormärz und dem Jahre 1848 ist eine eigene Abteilung der Ausstellung Vorbehalten. Da ist unter vielen anderen wertvollen Dokumenten auch eine Petition über Milderung der Pressegesetze, die unter anderem die Unterschriften Grill parzers, Bauernfelds und Stifters trägt, und das Rücktrittsgesuch Metternichs vom 13. März 1848. Die Erklärung über den Thronverzicht Kaiser Ferdinands und die Proklamation der Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs leiten zusammen mit dem Oktoberdiplom und dem Februarpatent zu den letzten Abschnitten der Geschichte der alten Monarchie über.

Aber der Reichtum dieser Schau, eine Augenweide für jeden Freund der Geschichte, die Wissenschaft und Kunst betreffen, ist noch lange nicht erschöpft. Den

Akten der Staatsgeschichte reihen sich die Denkwürdigkeiten aus den Reihen der Kunst und der Wissenschaften an. Siehe da, hier liest man auch ein Ansuchen Adam Rieses um ein Druckprivileg für sein Rechenbuch und eine ähnliche Eingabe Abraham a Santa Claras für sein Traktat „Auf, auf, ihr Christen!", ein Majestätsgesuch Keplers und ein Ansuchen Tycho de Brahes und auch einen Brief Alexander von Humboldts mit Bemerkungen über die ersten Versuche des Photographierens, das Schreiben, mit dem der hl. Ignatius von Loyala an Ferdinand I. im Jahre 1551 die Zulassung des Jesuitenordens in Wien ansprach, und ein anderes Dokument, mit dem P. Wilhelm Lamor-

rnaine die Vereinigung des Jesuitenkollegiums mit der Universität begutachtet.

Eine Auswahl wissenschaftlicher Publikationen beleuchtet den Wert und die Bedeutung der Forscherarbeit, die vom Wiener Staatsarchiv seit vielen Generationen in die Welt ausstrahlt und um so bedeutungsvoller ist, als das in den Regalen dieses Archivs ruhende Dokumentenmaterial den weiten Bereich ehemals habsburgischer Landeshoheit und weltweiter Interessen umfaßt. Eng verflochten mit dem staatlichen und kulturellen Leben Europas, ist das Archiv eine wissenschaftliche Fundstätte und ein Kulturbesitz von erstem europäischem Rang. Es gilt, diesen Schatz treulich zu hegen.

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