6545335-1947_11_11.jpg
Digital In Arbeit

Symphonische Dichtungen

Werbung
Werbung
Werbung

Der Wert oder Unwert dieser Gattung wurde, besonders von der deutsdien Musikästhetik, lebhaft diskutiert. Die Musiker freilich, Komponisten und Dirigenten, kehrten sich wenig an diese Auseinandersetzungen und schufen und interpretierten — bis auf den heutigen Tag — Werk auf Werk. Und auch das Konzertpubükum hat, wie man im Laufe dir,er Konzertsaison immer wieder beobae'-t-n konnte^ eine leicht erklärliche Vorliebe Iii- die symphonische Dichtung und das Tongemälde. Hat man einmal die Wandelbarkeit und Entwicklungsfähigkeit der musikalischen Formen erkannt (etwa an der Symphonie: von Haydn über Beethoven zu Bruckner), dann wird man sich wohl hüten, die symphonische Dichtung und jede Art von „Programmusik“ als unkünstlensch abzutun — nur weil sie sich neuer Ausdrucksmittel bedient und in einzelnen Werken der Gattung das Gebiet der Schwesterkünste streift. Es ist auch hier, wie auf allen Gebieten der Kunst, der Geist, der sich den Körper baut: aus dem Stoff erwächst die neue Gestalt des Kunstwerks Diese Form hat allerdings nichts Konventionelles, Schematisches mehr. Sie ist für jedes Werk eine einmalige und unwiederholbare. Nur eine starke Künstler-persönlichkeit mit bedeutender Gests'tungs-kraft wird sie zu schaffen vermögen.

Ob es sich bei einer symphonisdien Dichtung um Darstellung eines dramatisdien Ablaufs, Schilderung einer Landschaft oder Wiedergabe einer Stimmung handelt — dem Minder Begabten werden ledigÜdi grob-realistische Mittel zu ihrer Formung zur Verfügung stehen, während der geniale Künstler für alles, was er ausdrücken will, gültige Tonsymbole, Melodien finden wird, die er auch entsprechend zu verarbeiten versteht. Indem wir uns formal-ästhetisdier Wertung und Parteinahme enthalten, ist festzustellen, daß gerade die Pflege ' der symphonischen Dichtung eine außerordentliche und rasche Entwicklung und Verreine-rung der Ausdrucksmittel, insbesondere der Harmonik und Instrumentationikunst, im Gefolge hatte. Die werkgere.hte Wiedergabe solcher Sdiöpfangen stellt vielleicht weniger hohe Anforderungen an den Dirigenten als an den Klangkörper, und nur ein stark besetztes, routiniertes und aus Meistern ihres Faches' beVch-ndes Orchester wird eine einwandfreie Wiedergabe garantieren.

Diesen Anforderungen ist das Tonkünst-lerorche^cer (Dirigent Milo von Wawak) noch nicht ganz gewachsen. Neben drei älteren, bekannten symphonischen Dichtungen — „Moldau“ von Smctana, „Finlan-dia“ von Sibelius, „Tod und Verklärung“ von Richard Strauß — erklang zum erstenmal in Wien das Tonbild „Tintagel“ des englischen Komponisten Arnold Bax, welches in der Sprache des englischen Impressionisten die meerumbrandete Landschaft von Cm wall und das sagenumwobene Schloß des Königs Artus schildert.

Dem Schaffen zweier russischer Meister war das! 8. Sonntagnachmittag'konzert der Wiener Konzerthausgeselhchaft gewidmet (Bogo Ieskowic dirigierte das Tonkünstlerorchester). Fragmente aus den Opern „Der Jahrmarkt von Sorotschinsk“, „Boris Go-dunow“ und „Khowanschtschina“ waren eingerannt von der symphonischen Didi-tung „Eine Nacht auf d“m kahlen Berge“ und Rimsky-Korssakows „Scheherezade“. Aber die schwarze Messe, vom Läuten der Dorfglocke beschworen, und die orientalischen Farben der „Schehere/.ade“ gerieten wenig eindrucksvoll und redu matt. Unwillkürlich verglich man diese Aufführung mit der des jungen tschechischen Dirigenten Krombholz mit den Symphonikern, die der Partitur nichts schuldig blieb. —

Die wirkungsvolle, sich bis zum Taumel der Begeisterung steigernde „Russische Ouvertüre“ op. 72 von Prokofieff spielten die Wiener Symphoniker unter Josef Krips im Festkonzert zum Tage der Sowjetarmee. Auch in diesem Werk zeigte es sich, daß die zeitgenössischen russischen Komponisten eine — für uns kaum nachahmbare — Synthese zwischen heimischer Folklore, moderner Orchestertechnik und volkstümlicher Tonsprache gefunden haben.

Pantscho Wladigeroff, Bulgariens repräsentativer Komponist, spielte und dirigierte im Bulgarischen Festkonzert (Wiener Symphoniker) eigene Werke. Seine „Traumspielsuite“ op. 13 nach Strindberg, ein Tugendwerk, ist Oberflächenkunst und dramatisdie Illustrationsmusik; in dem Klavierkonzert op. 31, der Improvisation und Toccata für Orchester sowie in den Symphonischen Tänzen benützt Wladigeroff die vor allem in Westeuropa und durch Richard Strauß ausgebildeten Klang-mittcl zu effektvoller Instrumentation der Volkslieder und Tänze seiner Heimat. Deutlich spürt man die südöstliche Land-sdiaft: heiße Sonne und leuchtende Farben. Doch sind diese etwas grell und dick aufgetragen, so daß die Zeichnung — wesentlicher Bestandteil jedes Gemäldes, auch des symphonischen — überdeckt wird. Die Lautstärke von einzelnen Stücken (da der Komponist selbst am Pult stand, kann die Aufführung als authentisch gelten) ging für unsere Begriffe oft bis an die Grenze des Erträglichen. —

Mit Elgars II. Symphonie machte uns im Zyklus „Ausländische Meisterdirigenten“ Dr. Malcolm Sargcnt-London bekannt. Etwa 1912 entstanden und in England sehr beliebt,“ gibt dies Werk dem Hörer Gelegenheit, alles zu bewundern, was es an einem Werk an Details zu bewundern gibt: schöne Themen, interessante und abwechslungsreiche kontrapunktische Verarbeitung, hohes instrumentales Können und großartigem Aufbau mit organisch sich ergebenden Steigerungen. Und doch breitet sich Langeweile aus, die wirkungsvolle Instrumentation wirkt nicht, die schönen Themen haben uns nichts zu sagen, der Funke springt nicht über, weil er beim Komponisten — auf keinen Fall in diesem Werk — vorhanden ist. (Es spielten die Wiener Symphoniker.)

Zoltan Kodalys Variationen über ein pentatonisches ungarisdies Volkslied — im 5. Abonnementkonzert von“ den Philharmonikern unter Eric Leinsdorf gespielt — sind interessant und abwechslungsreich. Jeder der Sätze hat Reiz und Eigenart, und das hohe instrumentationstechnische Können des Autors steht durchaus im Dienste der musikalischen Gedanken, ist niemals Selbstzweck und verdeckt nirgends die Zeichnung. Die Darbietung des Werkes, das in unseren Konzertsälen heimisch werden dürfte, war ausgezeichnet.

Der Impressionismus als Kunstriditung mag überwunden sein; lebendig und schön erstrahlen aber auch heute noch seine Meisterwerke. Debussys symphonisches Triptychon „La Mer“, vielleicht das vollendetste Werk dieses Autors, gehört zu diesen unvergänglidien Meisterwerken. Freilich darf man bei dieser Meeresschilderung nicht an Stücke wie die Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“ oder an „Peer Gynts Heimkehr“ denken die den gbichen Gegenstand zum Vorwurf haben. Hier erglänzt unter ewig-bhuem Himmel das südliche Meer, das die Gestade romanischer Länder umspült und dem die Mitngsgöttin entsteigt. Dies; drei Skizzen und ihre einzelnen Teile werden durch die gleiche Stimmung und Atmosphäre zusammengehalten. Wer das verkennt und nur die einzelnen Steine des Mosaiks, nicht aber das ganze Bild sieht, bringt das zarte und empfindliche Werk um. Die letzte vollendete Aufführung von „La Mer“ fand in Wien vor mehr als zehn Jahren unter Toscanini statt, zu dessen Lieblingswerken es gehört. Die

Interpretation durch die Wiener Symphoniker unter Rudolf Moralt soll an dieser Höchstleistung nidit gemessen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung