6541291-1946_42_06.jpg
Digital In Arbeit

Symphonische Musik aus West und Ost

Werbung
Werbung
Werbung

Das 1. Philharmonische Konzert dirigierte Paul Paray, der Leiter des Pariser Colonne-Orchesters, dessen besonderer Begabung und künstlerischer Persönlichkeit das Programm weitgehend angepaßt war. Beethovens dramatische m Coriolan-Ouvertüre. Schumanns poetische d-moll-Symphonie, die ursprünglich den Titel „Symphonische Phantasie“ trug, und vier Tonbilder von Ravel, Debussy und Rimsky-Korsakow boten dem Dirigenten und dem Orchester Gelegenheit, ihre technischen und nachschöpferischen Fähigkeiten glanzvoll zu entfalten. Entgegen der Gepflogenheit mancher französischer Dirigenten, die Bläser stärker hervortreten zu lassen, ja sie überzubetonen, wandte Paray seine besondere Aufmerksamkeit den Streichern zu. Ihre rhythmische Präzision, das Federnde und Beschwingte vieler Stellen galt es besonders zu bewundern. Daß auch beim stärksten Fortissimo, bei den schärfsten Akzenten, immer noch die Schönheit des Tones gewahrt bleibt, ist eines der vielen Geheimnisse dieses Meisterorchesters.

In R a v e 1 s „La V a 1 s e“ lösen sich, wie aus verhüllenden Schleiern, nach und nach die einzelnen Walzerthemen, die von einem immer lebhafteren, gespannteren Rhythmus in einen wahrhaft dionysischen Taumel gerissen werden Das ist Musik nach dem Herzen des Dirigenten, der — und auch das ist ein Kennzeichen seines -französischen Ingeniums — auch im Wirbel der lebhaftesten Bewegung alle Klangreize der Partitur liebevoll zur Geltung bringt. Debussys „N o c t u r n e s“ haben nun schon zwei Generationen von Musikern entzückt, und man will es nicht wahrhaben, daß sie schon 1899 komponiert wurden. Denn der Klangzauber des Debussy-Orchesters wirkt wie am ersten Tage, und wie auch immer sich die Musik weiterentwickeln mag — diese späte, zauberhaft schöne Blüte der abendländischen Musik wird ,mmer wieder junge Musiker begeistern und anregen. Ebenso wirkungsvoll, aber viel robuster und handfester, ist Korsa-kows „Capriccio Espagno 1“, in welchem spanische Volksmelodien, durch das Prisma eines slawischen Temperaments gesehen, das Kolorit bestimmen.

Im Rahmen eines festlichen Empfangs der österreichischen Kulturvereinigung spielten die Wiener Symphoniker unter Hans Swarowsky. Nach Mozarts g-moll-Symphonie erklang das bei den Grazer Musikfestwochen uraufgeführte Orchesterwerk „Feste im Herbst“ von Joseph Marx zum erstenmal in Wien. Es ist die vor etwa 20 Jahren geschriebene, umgearbeitete und erweiterte „Herbstsymphonie“ des Wiener Meisters, der der markanteste und älteste Vertreter des Wiener Impressionismus französischer Schule ist. Diese „Schule“ spürt man in den zarten und leuchtenden Farben der Einleitung und des Ausklangs. Im Zwischenteil — einer Reihe suitenartig aneinandergefügter Tanzweisen im folkloristischen Stil — erweist sich Marx als Komponist von einer erdhaften Vitalität, die sich in diesen lebensfrohen Rhythmen frei entfalten kann. Neben österreichischen Tanzmelodien klingt Südslawisches, Rumänisches und Bulgarisches an, ohne daß irgendwo ein Stilbruch zu bemerken wäre. So ist gerade dies Werk ein Beweis für die Weltoffenheit und Weltweite der neuen österreichischen Musik, die auf ihren Altmeister stolz sein kann.

Die Welturaufführung der Rosenkavalier-Suite I von Richard Strauß machte uns mit einem Werkchen von ganz besonderem Reiz bekannt. Die beliebten und vertrauten Rosenkavalier-Themen aus der Frühzeit des Komponisten erscheinen im klanglichen Gewand des reifen Meisters — in einer so feinen und diskreten Instrumentierung, wie etwa die „Ariadne“ oder die „Daphne“. Wir bewundern in diesem alt-neuen Werk ein kleines Meisterstück musikalischen Kunstgewerbes in seiner höchsten Vollendung. x-

Das erste Bruckner-Gedächtnis-Konzert zum 50. Todestag des Meisters veranstaltete das Nie deröste r-reichische Tonkünstlerorchester unter seinem Leiter M i 1 o von W a w a k. Gespielt wurde die Ouvertüre in g-moll — von Bruckner als „Schularbeit“ bezeichnet, in Wirklichkeit aber bereits mit unverkennbaren Zügen des großen Symphonikers ausgestattet — und die IV. Symphonie. Bruckners „Romantische“ ist nicht nur die populärste und beliebteste, sondern auch — wenn wir das Wort einmal in seiner ursprünglichen Bedeutung nehmen wollen — die schönste und anmutigste der Bruckner-Symphonien. Milo von Wawak hat es verstanden, uns die zahllosen Einzelschönheiten dieses Werkes auf die zwangloseste und natürlichste Weise nahezubringen. Jeder gewaltsame, wenn auch noch so geniale Zugriff kann bei diesem Werk gar nichts nützen und würde seine Naturschönheit zerstören. Wäre der letzte, wesentlich später entstandene Satz im Stile der drei vorausgehenden gehalten, so hätte uns Bruckner in diesem Werk seine „Pastorale“ geschenkt. Deutlicher als :n den anderen Symphonien ist in der Vierten — bei aller Eigenständigkeit seiner Tonsprache — ein Glanz von Italienischem und ein Hauch von Slawischem spürbar.

Der Aufführung scheinen zahlreiche gründliche Proben vorausgegangen zu sein. Bei der Wiedergabe des Werkes ist nicht nur nichts „passiert“, sondern man nahm von der Aufführung einen schönen, gerundeten und beglückenden Eindruck mit. Mit diesem Gedächtniskonzert hat sich das aus dem Niederösterreichischen Landes-symphonieorchester hervorgegangene Tonkünstlerorchester sehr gut eingeführt.

Im 1. Russischen Symphoniekonzert spielten die Wiener Symphoniker unter Hans Swarowsky Werke von Prokofiew, Tschaikowsky und Glasunow. Mit der „Russischen Ouvertüre“ ist Sergei Prokofiew ein im besten Sinn volkstümliches Werk gelungen, das durch seine aparte Instrumentierung — besonders durch die für Prokofiew typische Art der Behandlung des Schlagwerks — den anspruchsvollen Hörer zu fesseln vermag und mit seinen einfacheinprägsamen Volksthemen sowie durch die Übersichtlichkeit des formalen Aufbaues auch breitesten Schichten zugänglich ist.

Tschaikowskys Klavierkonzert in b-moll spielte Jakob F 1 i j e r, erster internationaler Preisträger und Meisterpianist der Sowjetunion. Dieser Künstler besitzt alle Qualitäten eines großen Pianisten, und schon nach dem ersten Teil des bravourösen Konzerts ist es dem Hörer klar, für welche besonderen Fähigkeiten Flijer seinerzeit ausgezeichnet wurde und was ihn in die erste Reihe der europäischen Pianisten der jüngeren Generation stellt. Sein Spiel mag manchmal etwas kühl und distanziert wirken Denn es ist Ausdruck einer Künstlerpersönlichkeit, die keine Gefühlsregung passieren läßt, die nicht zuvor durch einen scharfen Intellekt und sehr wachen Kunstverstand geprüft und für gültig befunden wurde.

Die VIII. Symphonie von G1 a-sunow ist das letzte Werk des 1S65 geborenen russischen Meisters und wurzelt weniger in der nationalen Tradition, als vielmehr in jener breiten Schicht, die um die Jahrhundertwende von England über Deutschland, Österreich und Frankreich reichte und die Nach-Wagnerianer, Reger und die Spätromantik gleichermaßen umschließt. Die Symphonie zeichnet sich durch einen großen Reichtum plastischer Themen, strenge Form und geschmackvolle Instrumentation aus Die Wiedergabe durch die Symphoniker ließ kaum einen Wunsch offen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung