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„Tannhäuser“ auf dem Festspielhügel

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Bayreuth, 23. Juli 1954

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Bayreuth, 23. Juli 1954

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Der vierte Festspielsommer in Bayreuth unter der künstlerischen Führung der Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang nahm mit „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" seinen vielbeachteten Anfang. Wieland Wagner hatte sich für eine neue „Bayreuther Fassung" entschieden, in der das Werk nun 24 Jahre nach Siegfried Wagners letzter Inszenierung die in Toscanini ihren musikalischen Leiter hatte herauskam. Er hat klug gehandelt, die Ouvertüre als echte Opernintrada in ursprünglicher Form, die Venusberg-Musik nach der orgiastischen Pariser Partitur 1861 erklingen zu lassen, für Tannhäusers Abschied von Venus die prägnant-einprägsame Version der Dresdner Fassung beizubehalten und die Pariser Instrumentationsverbesserungen zur Hauptsache am Schluß des dritten Aktes zu berücksichtigen. Solche Maßnahmen erforderten Sachkenntnis und Entschlußkraft. Zur Meisterung des Inszenierungsproblems dieser formale und inhaltliche Gegensätze vereinigenden „Handlung" — so nennt Richard Wagner im Untertitel diese „Oper" — gehörte Phantasie und Mut. Auch an diesen Tugenden gebricht es dem Künstler Wieland Wagner nicht. Seine Phantasie beflügelte ihn, die vorliegenden Kontraste von Form und Inhalt auf die Inszenierung zu übertragen; stand Richard Wagner innerhalb der überkommenen Opernform das Musikdrama im „Tannhäuser" bereits deutlich vor Augen, so weiß sein Enkel die Realistik des Spiels der Schauspieler-Sänger und des Venusberg-Balletts und die Idealisierung des Bühnenrahmens in ihren auseinanderstrebenden Kräften wohlüberlegt zu nützen. Sein Mut wies ihn an, das Symbol des Goldhimmels, des goldenen Hintergrundes, wie wir ihn aus Buchmalereien und von Heiligenbildern des Mittelalters her kennen, auf die moderne Musikbühne zu übertragen: mit Ausnahme des Venusberges, dessen Spiralenform die Ausweglosigkeit der Sinnenlust versinnbildlichen sollte, ist er in allen Bildern vorhanden und gelangt zu Ende des dritten Aktes zu großartiger Bedeutung, da er durchsichtig wird und den Blick einer die Vertikale erfüllenden Pyramide von Heiligengestalten zuwenden läßt, die dem sterbenden Tannhäuser Heil verkünden. Sein Mut war aber auch stark genug, das Bacchanale tanzen zu lassen, wie ein orgiastisches Treiben im Venusberg choreographisch gestaltet werden muß: als Raserei des Sexus, aber auch im Tanzduett des Solopaares als ästhetische Kraft des Eros. Die Masse des Balletts, des Chors, die Menge schlechthin, wird für Wieland Wagner von Jahr zu Jahr mehr Kollektiv. So kommt es, daß im Venusberg etwa sechzig Mädchen einheitliche Bewegungen vollziehen, daß der Zug der Rompilger im ersten Akt Mann für Mann das gleiche Bild abgibt jeder starrt aüf das Kreuz in seinen Händen, daß der Sängerkrieg in aller Strenge stilisiert ist: die Wartburggäste haben einheitliche Gewandung, einheitlichen Schritt, einheitliche Geste, wenn sie sich gegen Tannhäuser wenden. Dieser Masse die letztlich auch das Orchester in seiner Klanggestalt ist müssen Persönlichkeiten gegenüberstehen, die durch sich selbst wirken, bei denen der Zuhörer vergessen kann, daß es sich um Sänger handelt, die zunächst einmal in ihrem ureigenen Bereich genug Sorgen haben, die ihnen der Komponist Wagner bereitet: Anliegen der Atemtechnik, der Phrasierung, der Musikalität, der Akustik, der Verständigung mit dem Dirigenten. Auch das ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst des neuen Bayreuth, daß es die Forderungen an die Schauspieler so hoch schraubt.

Da ist dann von vorneherein nur mit einer Elite von bedeutenden Künstlern zu rechnen, die diesen Ansprüchen des modernen Musiktheaters, der Wägner-Inszenierung aus einem geistigen Konzept heraus, gewachsen sind. In diesem Sinne waren der Chilene Ramon Vinay in der Titelrolle, der Berliner Dietrich Fischer-Dieskau W'olfram und der Bayer Josef Greindl Landgraf erfolgreichst tätig. Gre Brouwenstijn Elisabeth und Herta Wilfert Venus besaßen wohl schauspielerische Ueberlegenheit, konnten jedoch stimmlich nicht restlos überzeugen. Als Walther spielte sich Josef Traxl in den Vordergrund. Die Choreographin Gertrude Wagner, die Gattin Wielands, die der Wigman-Schule entstammt, hatte in Inga Weiß und Roger George ein Tanzpaar von erlesenem Können zur Verfügung. Hervorragend gelangen die von Pitz studierten Chöre. Josef Keilberth, der zur Generalprobe ! den „Tannhäuser" aus den Händen Igor Markevitch’ übernommen hatte, waltete souverän seines Amtes. Das Festspielorchester, nunmehr in allen Instrumentengruppen homogen, bewährte sich wie nie zuvor in der jungen Geschichte des jungen Bayreuth.

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