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Tanz in der Moderne Von Matisse bis Schlemmer
Tanz, Tänzer und Tänzerinnen galten den Künstlern schon im späten 19. Jahrhundert als Inbegriff der Bewegung, des Schönen, wie sie Degas in den Ballettsälen bei Proben und Renoir im gesellschaftlichheiteren Amüsement im Freien der Pariser Ausflugslokale immer wieder studiert haben. Dem Thema „Tanz in der Moderne” widmet sich erstmalig in einem weiteren Rahmen eine von der Kunsthalle in Emden (Stiftung Henri und Eske Nannen) konzipierte und nach München übernommene Ausstellung, die das „Festhalten des Unfaßbarsten” im großen Entwicklungsbogen beleuchtet und in Schwerpunkten vorführt.
, Die Ausstellung setzt dort, ein, wo die Tanzbewegungen des menschlichen Körpers an sich, losgelöst von den traditionellen Formen des klassischen Balletts hinterfrägt werden. Die Bewegung als sich stets veränderndes Ausgreifen in den Baum wie in die Zeit war Entdeckung und Faszinosum zugleich in einer Epoche des Auf- und Ausbruchs, der Beformbewegungen, der neuen und freien Tänze einer Isa-dora Duncan - barfuß in fließenden Gewändern, einer Loi'e Füller - in Serpentinentänzen mit riesigen, sich frei bewegenden Stoffbahnen in farbiges Licht getaucht, aber auch der Tänze fremder Völker, wie sie bei der Weltausstellung 1900 in Paris zu sehen waren. Rodin, in der Ausstellung leider nicht vertreten, fand in der Umsetzung der ihn inspirierenden Serpentinentänze zu einer neuen Lebendigkeit in der Oberflächengestaltung seiner Bronzen; Matisse, in seinen Bildwerken von ihm beeinflußt, gelangte mit dem Thema „Tanz” zu großformatigen Bildfmdungen 1909/1910 für Schtschukin in Moskau, zwei Jahrzehnte später für die Barnes Collection in Merion.
Die Ausstellung muß sich auf eine Fußstudie in Bronze und auf Entwürfe beschränken. Kaum ein Künstler des Expressionismus hat sich so eingehend mit dem „Tanz” beschäftigt wie Ernst Ludwig Kirchner, in Akten der freien Bewegung, voll Lebenslust und sinnlicher Ausstrahlung, in spannungsvoll-aggressiven Milieuschilderungen der Berliner Großstadt. Für Kirchner wie für Nolde war darüber hinaus das Neue der „Negertänze”, die Kulturen der sogenannten Primitiven, Inspirationsquelle zu malerischen und bei Kirchner auch zu bildnerischen Werken. Zeugnisse der oft persönlichen Kontakte der Künstler zu innovatorischen Tänzern ihrer Zeit sind zum Beispiel Jawlenskys Porträt Sacharoffs (Lenbach-haus, München) und Kandins-kys Abstraktionen nach Tänzen der Gret Palucca.
Ganz andere Wege gehen die Futuristen um Gino Severini, die die Errungenschaften der Serpentinentänze Loi'e Füllers in farbige Bewegung und Licht umsetzen, zu einer „Entmaterialisierung der Bewegung” und „Übermaterialisierung des Kostüms” gelangen, die, wie Fortunato Depero die „Tänzeridole” schließlich als heiteren Klamauk von bunten Marionetten (in München auf blauer Bühne) arrangiert oder wie Gia-como Balla eine Bewegungssequenz seiner Tänzer in schwungvollen Konturen eines Drahtlineaments einfängt.
Als Oskar Schlemmers künstlerisches Schaffen für „Tanz, Theater, Bühne” 1995 unter anderem in Wien gezeigt wurde, war dies die Präsentation einer der letzten grundlegenden Auseinandersetzungen mit dem Thema „Tanz” in der Moderne. Im Mittelpunkt stand sein 1922 uraufge-führtes „Triadisches Ballett”, in dem die entpersönlichten Kostüme mechanisch-konstruktiv anmutende Bewegungen ausführten. In Reflexion über Heinrich von Kleists „Marionettentheater” hatte Schlemmer mit seinen teils abstrakten Figurinen eine neue Bühnenfigur geschaffen, die mehr war als bloße Marionette, die jedoch die natürliche Gestalt des Tänzers verhüllte. Dieser sollte die eigene Ausstrahlung aufgeben zugunsten der Assimilierung mit dem jeweiligen Kostümbildwerk, mit diesem eins werden in innovatorischen Bewegungen. Schlemmers „tänzerisch-bildnerisches Gesamtkunstwerk aus Form, Farbe, Bewegung, Baum, Klang und Licht” erreicht gleichsam die größtmögliche Verfremdung der menschlichen Gestalt.
Die Ausstellung in München dokumentiert Schlemmers Thema „Tanz” über das „Triadische Ballett” hinaus mit selten gezeigten Originalfotografien jener Bauhaustänze (1922 bis 1929), in denen es dem Künstler erst möglich war, seine Auseinandersetzangen mit der Figur im Baum auf der Bühne zu realisieren. ß
Der interdisziplinär von Kunsthistorikern, Tanz- und Literaturwissenschaftlern erarbeitete Katalog gibt ausführliche Informationen und gleicht manche Lücke in der dennoch sehr sehenswerten Ausstellung aus.
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