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Technik als Kultur?

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Di Technik, die Kontinente einander näfaer-fückt und die Erschließung des Welträume vorbereitet, hat auch eine tausendfache Vervielfältigung, Verstärkung und Verfeinerung unserer Sinnesorgane zur Selbstverständlichkeit gemacht. Wir wundern uns nicht mehr, daß wir im Radio ein Konzert anhören können, das in einer weit entfernten Stadt aufgenommen wird, ebensc wenig wie un ein Ferngespräch aus New York erstaunt oder die Tatsache, daß man die schönsten Interpretationen der Musiküteratur durch die größten Dirigenten griffbereit im Platten-ichrank aufbewahren kann.

Diese Möglichkeiten der Konservierung, Übertragung und vor allem der Vervielfältigung haben zweifellos zunächst — wie bei allen technischen Leistungen ähnlicher Art — zu einei Vergröberung und zu einem Absinken des Niveaus geführt, eine Erscheinung, die oft genug kommentiert wurde. Diese Periode kann abei im wesentlichen ai*. übÄmndien geltäMHj| Übertragungstechnik des :Rund'tunki, äie'Wie-dergabemöglichkeit durch die entsprechender: Apparate und ebenso die Perfektion bei Schallplatten- und Tonbandaufnahmen gewährleistet höchste Tonqualität. Damit sind auch die Ansprüche des „Konsumenten“ gestiegen, erfreulicherweise nicht nur in technischer, sondert auch in künstlerischer Hinsicht und auch in be-zug auf die Auswahl. Vielleicht nicht im gleichen Tempo — auch beim Film hinkt die künstlerische Auswertung der Technik und deren Beurteilung immer etwas nach —, aber doch merklich. Die kindliche Freude am Nur-Technischer ist der natürlichen Einschätzung dieser Gerät als Mittel zum Zweck besseren Verstehens gewichen.

Parallel mit diesem, zunächst nicht vorhergesehenen und durchaus erfreulichen Phänomen gehi aber auch eine andere Entwicklung ebenso logisch, wenn vielleicht auch nicht bewußt wahrgenommen, vor sich. Man hat das naive Stauner über Radio, Plattenspieler, Tonbandgerät usw überwunden, man erwartet nicht mehr, daß eir kompliziertes technisches Gebilde einfach nui Töne hervorbringen muß, sondern man erwartet, daß diese Geräte eine adäquate Form haben, d. h. daß sie sich der Benützung und der Umwelt anpassen.

Neben den so oft angeprangerten Modetorheiten der Goldknöpfe und Zierleisten ist alsc eine durchaus menschliche und natürliche Überlegung am Werk, wenn die Diskussion über da* Aussehen von Radioapparaten und ähnlicher Geräten nicht abreißt. Was beim Fernsehgeräi noch in vollem Schwünge ist, nämlich die soziale Repräsentation durch einen möglichst großer Apparat, hat sich beim Radioapparat und Plattenspieler schon etwas gelegt. Allerdings werdet die vielen technischen Tricks noch immer möglichst gerne zur Schau getragen, weil der liebt Nachbar dann annehmen kann, daß es sich un ein teureres Gerät handelt.

Gerade beim Radioapparat gibt es aber eir echte Foirmproblem: Selbst große Designers, dinur die Funktion 1s Grundlage für die Gestaltung anerkennen wollen, kommen hier in ein Dilemma. Es ist doch so, daß es die heutigen technischen Vorrichtungen erlauben, einen Radioapparat in fast jeder beliebigen Form zu bauen. Und selbst wenn man den Apparat in Betrieb setzt, wird seine wesentlichste Funktion mit den Ohren und nicht mit den Augen aufgenommen. Das ändert aber alles nichts an der Tatsache, daß ein Radioapparat auch dann „im Räume“ ist, wenn er nicht benützt wird, also seine eigentliche Funktion nicht ausfüllt. Aus diesem Grunde, und nicht so sehr wegen der gewünschten und notwendigen Resonanzmöglichkeiten, wurden die Radioapparate durch lange Zeit wie Möbelstücke gebaut. Und auch heute ist der Kampf: Möbel oder technisches Gerät — noch nicht zugunsten der eir\en oder der anderen Form entschieden. Wir meinen dabei natürlich nicht die sogenannten „T o n sehf'“schwefr in einen modernen Raum einzupassen sind und langsam den kleineren und kombinationsfähigeren Kästen weichen. Auch ist der Trend zur Verwendung von Hölzern, wie sie derzeit im Möbelbau häufig gebraucht werden, als Verkleidungsmaterial nicht zu leugnen. Für ein Serienerzeugnis, das vielen und wechselnden Ansprüchen gerecht werden soll, ist eben die Lösung als Möbelstück die zugänglichere — ob es so bleiben wird oder ob man sich an Apparaturen im Wohnzimmer ebenso gewöhnen wird wie an die in der Küche, läßt sich noch nicht mit Sicherheit voraussagen. Zweifellos, ist aber dj Tendenz zur Vereinfachung und zur formalen Verbesserung auch beim Käufer mit dem zunehmenden Angebot- festzustellen. Und das gerade im> Zusammenhang mit der Tonqualität. Es ist also nicht so, daß jemand ein besonders hochwertiges Gerät nur der Tonqualität wegen kauft und dafür eine häßliche Kassette in Kauf nehmen will. Wenn man gerne ein gutes Gerät hat, will man auch zugleich einen schönen Gebrauchsgegenstand einkaufen. Diesem Wunsch weicht langsam aber doch merklich die ebenso hartnäckige wie rasch aufgeblühte Tradition des Vollrundbaüradios. Dazu kommt da zunehmende Vertrauen in die technische Perfektion, allerdings auch die zunehmende Unmöglichkeit, selbst an einem solchen Gerät herumzubasteln — man ist also ganz zufrieden, wenn alles Technische möglichst tief im Inneren des Gerätes versteckt und unzugänglich ist und eine glatte, leicht zu pflegende Hülle übrigbleibt; man erwartet aber gleichzeitig gute Lesbarkeit der Skalen und eine übersichtliche und leichte Bedienung.

Viel weniger problematisch ist die Formfrage bei allen tragbaren Transistorgeräten, die jetzt immer mehr auf den Markt kommen. Die Tonqualität ist natürlich bei sehr kleinen Geräten nicht im gleichen Maße zu erreichen. Aber es steht außer Zweifel, daß diese überall benutzbaren Geräte viele Vorteile haben. Sei es nun die vielfältige Verwendungsmöglichkeit in der Wohnung, im Weekendhaus, auf Reisen, usw., wir müssen ja nicht unbedingt daran denken, daß sie häufig auch schon in den Wald mitgenommen werden. Hier hat zunächst der Techniker das Wort, und der Formgeber wird sich zwar nicht nur auf eine Hülle beschränken, denn seine Aufgabe ist die der Zusammenarbeit von Anfang an, er wird aber trachten, diese Hülle möglichst leicht, widerstandsfähig und staubfrei zu gestalten, die entsprechenden Vorrichtungen zum Tragen und zum Aufbewahren nicht zu vergessen, also Taschen, Griffe, Henkel, usw. Das Widerstreben gegen Kunststoffmaterialien, das bei ganz hochwertigen Radiogeräten vielleicht auch in gewissen Fehlern der Tonwiedergabe, in den meisten Fällen aber einfach in dem Mißtrauen gegen diesen Stoff an sich begründet ist, wird bei den Transistorradios schnell überwunden, und da sie nicht irgendeinem Raumcharakter angepaßt werden müssen, sondern ein wohlgelittener und als solcher auch deutlich gekennzeichneter Fremdkörper sind, sind Farbwahl und ähnliche Elemente viel weniger gebunden ,sbo i-.hownisffosirfeiibii

Der Plattenspieler, der in seiner Form vom unförmigen Grammophontrichter an vielleicht eine noch weitere Entwicklung durchgemacht hat, ist noch immer ein Geschwisterkind des Radioapparates. Trotz des besseren Schutzes ist man aber gerade im Hinblick auf die Tonqualität in manchen Fällen davon abgegangen, den Plattenspieler völlig einzubauen und achtet nun immer mehr auf die Möglichkeit des freien Auflegens der Platten. Ebenso wenig kann er aber seine technische Persönlichkeit verleugnen. Der Tonabnahmearm, die Drehbewegung und das Einsetzen der Nadel haben ihn schon immer mehr vom Möbelstück abgerückt und diese Entwicklung geht mit zunehmender Automatisierung immer rascher vor sich.

Noch deutlicher tritt die Tendenz der technisch betonten Formgebung beim Tonbandgerät in Erscheinung; allerdings sind die Ansprüche hier auch andere. Es bietet einerseits den Reiz des raschen Wechsels, die Möglichkeit eigener Aufnahmen und aktiver Betätigung bei der Auswahl und Zusammenstellung — es schließt aber anderseits die fast feierliche Konzentration und in den meisten Fällen auch di allerhöchste Qualität aus, die bei Plattenaufnahmen womöglich in Stereotechnik usw. erreicht werden kann. Dafür ist es transportabel, die modernen Tonbänder erlauben eine wettgehende Ausnützung und manche Typen müssen nicht einmal mehr an das Stromnetz angeschlossen werden.

Mit einem Wort: Das Tonbandgerät ist absolut ein Kind unserer Zeit, im Büro und bei der Arbeit ebenso verwendbar wie für Muße und Vergnügen. Hier ist die Aufgabe der Gestaltung nicht so sehr in der Form und Farbgebung gelegen als darin, zu vereinfachen und die Benützung zu einem Vergnügen zu machen. Die älteren Geräte erforderten noch immer ein gewisses Maß an technischem Verständni und gute Nerven, wenn die Tonbänder verwickelt wurden oder das Abspulen nicht gelang. Heute gibt es diese Probleme fast nicht mehr, und es geht nur noch darum, mit weniger Knöpfen eine größer Auswahl an Leistungen so zu erhalten, daß Irrtümer und Fehler fast von selbst ausgeschlossen sind. Das gilt im wesentlichen auch für die Mikrophone, die keine Verrenkungen und langen Probeaufnahmen mehr erfordern, sondern auch dem Laien einwandfreie Aufnahmen unter weniger günstigen Bedingungen erlauben.

Wir dürfen also ruhig behaupten, daß es dem Käufer und Benutzer akustischer Geräte heute nicht mehr genügt, nur gut zu hören, sondern daß er bewußt die Einheit in der Qualität von Form und Leistung sucht und wir können diese Entwicklung als Kennzeichen dafür werten, daß damit ein weiterer Schritt von der technischen Zivilisation zur technischen Kultur gemacht wurde.

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