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Thailand, das Land der Freien

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Am letzten Abend meines Aufenthaltes in Bangkok fand im Palast Suan Pakkad ein Diner und eine künstlerische Aufführung statt. Beim Wort „Palast“ stellt man sich ein großes, imposantes, etwas allzu prunkvolles Gebäude vor. In Thailand ist das anders. Der Suan-Pakkad-Palast ist ein von einem Bach durchflossener blühender Garten mit Teichen und Büschen. Da und dort stehen kleine Tempel und verschiedene Gebäude. Mit Ausnahme des Hauses, in dem der Besitzer wohnt, sind alle Bauten von anderswo gebracht worden. Der Gründer von Suan Pakkad, Prinz Chumbhot,

hatte sein Leben lang die Wälder und Dschungel seiner Heimat durchstreift. Manchmal stieß er auf verlassene Paläste, von Tropenpflanzen überwucherte ehemalige Kultstätten und unter Staub und Schutt begrabene antike Lackgegenstände. Er hatte alles gekauft und, falls es sich als Meisterwerk erwies, in seinen Garten von Bangkok gebracht und dort aufgestellt. So war es ihm durch Jahre geduldigen Nachspürens gelungen, aus seinem Park vielleicht das schönste Juwel und eine der interessantesten Sammlungen des alten Siam zu machen. Heute ist der Palast unter der energischen Leitung seiner Witwe teilweise zu einem Museum und teilweise zu einem Kunstzentrum geworden, wo junge Talente nicht nur die Technik ihres Berufes lernen, sondern auch in die großen Werte des Kulturerbes ihres Landes eingeführt werden.

Der Palast Suan Pakkad ist ein seines Urhebers würdiges Denkmal. Es ist bezeichnend, daß aus Anlaß des Todes des Prinzen Chumbhot der erste illustrierte Katalog der Gebäude veröffentlicht wurde. Der Prinz war Schriftsteller, Geschäftsmann und Kunstkenner gewesen und hatte zugleich von Zeit zu Zeit wichtige politische Aufgaben auf sich genommen.

An diesem Abend hatte Prinzessin Chumbhot die repräsentativen Elemente des intellektuellen Bangkok vereinigt. Neben Politikern, Schriftstellern, Architekten, Journalisten und Dichtern war auch eine Anzahl ausländischer Diplomaten erschienen. Das ausschließlich aus siamesischen Gerichten bestehende Abendessen wurde im Freien serviert. Die Gespräche an den zahlreichen kleinen Tischen erinnerten an das, was den Chronisten zufolge die Konversation der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts gewesen sein mochte. Die Allgemeinbildung und intellektuelle Neugierde der Geladenen war eindrucksvoll. Der europäische Spezialist konnte nicht umhin, die Männer und Frauen zu beneiden, die trotz eines aktiven Berufslebens noch Zeit für Lektüre und Nachdenken und für alles Schöne im Leben fanden. Es war nicht leicht, sich in einer solchen Atmosphäre auf den Hauptzweck des Besuches, auf das Studium der politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes, zu konzentrieren.

Nach dem Diner fand eine Aufführung des königlichen Balletts statt. Der Garten war die Bühne. Hintergrund waren ein herrlicher kleineT Tempel, ein Teich, über den eine alte Holzbrücke führte, und einige dichte blühende Sträucher. Indirekte, diskrete Beleuchtung und das Funkeln der Sterne trugen noch zum Zauber dieses Rahmens bei. Man zeigte uns einige traditionelle Tänze des Landes, stilisierte, manchmal symbolische Darstellungen bedeutender historischer Ereignisse oder religiöser Themen. Das sinnliche Element, das eine so große Rolle in der westlichen Choreographie spielt, tritt kaum in Erscheinung. Das ist übrigens nicht notwendig, da weibliche Schönheit in Thailand kein Traum, sondern alltägliche Wirklichkeit ist. Fast alle Darbietungen enden

mit einer Schlacht, entweder zwischen Eroberern und thailändischen Heeren oder zwischen Engeln und Dämonen.

Nach der Aufführung wurden die Gäste eingeladen, die im Palast bewahrten kostbaren Lackgegenstände und die antiken Malereien zu besichtigen. Ich blieb mit einem bekannten Bangkoker Journalisten, dessen bissige Chroniken die Freude der Leser der ersten Tageszeitung der Hauptstadt, Siam Rat, bilden, etwas hinter der Gruppe zurück. Ich wollte im Lichte der jüngsten Neuigkeiten seine Ansicht über die politische Lage kennenlernen. An diesem Tage hatte man offiziell bekanntgegeben, daß Streitkräfte der thailändischen Armee in das Gebiet des Mekong befohlen worden waren, weil die Entwicklung in Laos zu ernsten Sorgen Anlaß gab. Ministerpräsident Marschall Sarit, der krank in seinem Landhaus lag, war aufgestanden, um sich im Flugzeug zur Inspektion der Truppen an die Landesgrenze zu begeben. Eine Krisenatmosphäre lastete auf der Hauptstadt. Auf der alten hölzernen Brücke übeT dem Teich stehend, diskutierten wir über die Zukunft. „Sie müssen sich wohl sagen“, sagte der Journalist, „daß wir Thailänder freundliche, lächelnde, kultivierte und sanfte Menschen sind, die große Krisen nicht sehr ernst nehmen und ohne Hintergedanken einen traumhaften Abend wie den heutigen genießen, während die Feuersbrunst, die ein Drittel der Welt bereits verzehrt hat, nunmehr wenige Kilometer von unserer Grenze wütet. Lassen Sie sich nicht durch den Anschein täuschen. Betrachten Sie die Meisterwerke um sich herum — hier in der Hauptstadt und im ganzen Lande. Sie sind der beste Beweis dessen, was wir wirklich sind. Wenn sich das alles heute auf unserem Boden

befindet und die Gegenstände weder in einem chinesischen Palast noch in einer düsteren Halle des British Museum stehen, so ist es deshalb, weil es niemandem gelungen ist, uns jemals zu erobern. Dieses Volk von Künstlern, Malern, Mönchen und Tänzern hat immer gewußt, fremde Überfälle abzuwehren, mögen sie aus China, Burma oder aus europäischen Ländern gekommen sein. Alle unsere Nachbarn wurden ausnahmslos erobert oder

kolonisiert. Wir nicht. Sie werden übrigens bemerkt haben, daß unsere Ballette immer mit einer Schlacht enden und nicht mit einer Liebesoder Verzweifungsszene. Auch das müßte zum Nachdenken anregen. Bei uns, — vergessen Sie das nicht — ist die Oberfläche freudig, über alle Maßen höflich und sorglos. Aber in der Tiefe ist ein harter Kern, in dem der Krieger überlebt, der heute wie in den Zeiten der Väter sehr wohl jene überraschen könnte, die uns nicht kennen.“

Das ist einer der Aspekte der Widersprüche dieses Landes, die leicht zu irrigen Urteilen führen können. Hier wird man gleichzeitig das übermäßig Moderne und Klassische finden, das Autoritäre und starke demokratische Elemente, Militärisches und Künstlerisches. Wer nur eine Blitzreise durch Thailand macht, läuft Gefahr, bloß die eine Seite zu sehen und diese für das Ganze zu nehmen. Daher stammen viele falsche Urteile, besonders da die Thailänder eine ganz eigene Ironie haben, eine, die Abendländer oft nicht fähig sind zu verstehen.

Die Hauptstadt Bangkok ist weitgehend ein Symbol dieser charakteristischen Spannung.

Für den aus Europa kommenden Reisenden ist der Flughafen von Don Muang die Eingangspforte Siams, einige Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt. Es ist eines der modernsten Flugfelder mit Landungspisten, die auch für Düsenflugzeuge lang genug sind. Die Verwaltungsdienste sind gut organisiert, was übrigens notwendig ist, da Bangkok zu einem wichtigen Knotenpunkt geworden ist. Zu jeder Tages- und Nachtzeit gibt es neben dem Gebietsverkehr der Thai Airways — eine der besten Lokallinien der Welt — An-künfte oder Abflüge französischer, australischer, chinesischer, schweizerischer, japanischer, deutscher oder amerikanischer Apparate.

Im Inneren der Hauptstadt geht eine Veränderung vor sich, die manche bedauern werden. Noch vor einigen Jahren gehörten die ..Klongs“, Kanäle,

die die Stadt durchzogen, der internen Schiffahrt dienten und in die man nur zu oft die Abfälle warf, zu den bemerkenswertesten Sehenswürdigkeiten Bangkoks. Das war sehr malerisch, aber vom Standpunkt der Hygiene und öffentlichen Gesundheit nicht gerade wünschenswert. Während man die Klongs auf dem östlichen Ufer des Menam nicht abbauen kann, weil sje unentbehrlich und zu tief sind, überdeckt man sie in Bangkok so ziem-

lieh überall, um die Straßen zu verbreitern.

Das war übrigens höchst notwendig, denn die Zahl der Automobile hat beängstigend zugenommen. Die Thailänder sind gute Fahrer und haben eine Passion für Geschwindigkeit. Vor zehn Jahren ging das noch an, als es noch verhältnismäßig wenig Wagen gab. Mit der Steigerung des Verkehrs nimmt das Risiko in geometrischer Progression zu. Man kann die Gefahren abschätzen, wenn man sich daran erinnert, daß Bangkok noch vor kurzem eine Stadt war, in der es von Hunden wimmelte. Sie waren einfach überall, und in manchen Bezirken waren sie die Herren der Straße. Heute sind sie zum Großteil verschwunden.

Umso mehr muß man die Widerstandskraft und das Überleben der Fußgänger und Radfahrer bewundern. Offensichtlich haben sie keine Nerven. Sie trotzen den Wagen, die auf sie losfahren, überqueren die Straßen in allen Richtungen und scheinen sich nicht für die ihnen bestimmten Übergänge zu interessieren. Wie sie es

fertigbringen, nicht überfahren zu werden, das übersteigt das Begriffsvermögen des Fremden. Es ist übrigens eine gute Illustration für die Lebenskraft eines Volkes, das ehemals die chinesischen und birmanischen Eroberer verjagte und heute durch den Ansturm der Mercedes und Chevrolets nicht ausgerottet werden kann.

Mit dem dichten Straßenverkehr, den neuen Bauten — deren Mehrzahl nicht zu schlechten Geschmack verrät — und den neuen Industrieanlagen im Süden, an den Ufern des Menam, macht Bangkok den Eindruck einer Hauptstadt, die sich amerikanisiert. Das ist eine Notwendigkeit, wenn man bedenkt, daß diese Stadt, gestern noch friedlich und verschlafen, heute eine Bevölkerung von 1,773.318 Seelen bei einer Gesamtzahl von ungefähr 23,300.000 im ganzen Lande hat. Glücklicherweise genügen einige Schritte, um der lärmenden, fiebernden Gegenwart zu entfliehen und. in den Tempeln, Palästen und Museen die Atmosphäre des ewigen Thailand wiederzufinden.

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