Theodor FontanesVerharren in einer vergangenen Welt

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Lieblingsbilder eines Dichters: "Turner bis Menzel - Fontane und die bildende Kunst" in München.

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Lieblingsbilder eines Dichters: "Turner bis Menzel - Fontane und die bildende Kunst" in München.

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Als Theodor Fontane seine Romane "Stechlin" und "Effi Briest" schreibt, haben die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts längst begonnen. Er selbst, 1819 in Neuruppin, nordwestlich von Berlin geboren, blickt zurück auf ein Saeculum, das für ihn vorrangig mit der Preußischen Befreiung gegen Napoleon 1813, sehr viel weniger mit der Begründung des Kaiserreichs 1871 verbunden war. Als Fontane 1898 stirbt - im gleichen Jahr wie Reichskanzler Bismarck - weisen die Zeitzeichen der Großstadt Berlin ins 20. Jahrhundert.

Seine berühmten "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", die er seit 1862 als Führer in seiner märkischen Heimat schrieb, sind das nicht kunstwissenschaftliche Gegenstück zu Jacob Burckhardts "Cicerone" (1853), sondern berücksichtigen die Denkmäler in erster Linie als Schauplätze gelebter Historie. "Das Menschliche ist das einzige, das gilt" war gleichsam seine Maxime, in der sich auch und vor allem seine Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst, in erster Linie mit der Malerei widerspiegelt.

Eine weitgehend unbekannte Seite Theodor Fontanes beschäftigt seit 1978 die Forschung. Die Kunstwissenschaft sucht dem Dichter mit ihren Methoden neue Erkenntnisse zu entlocken. Hauptaugenmerk gilt seiner Tätigkeit als Kunstkritiker, die der gelernte Apotheker während seiner Aufenthalte in England zwischen 1852 und 1859 sowie in Berlin in den sechziger Jahren entfalten konnte. Das Ergebnis wird in einer ausgezeichneten Ausstellung vorgeführt, die die Neue Pinakothek von der Nationalgalerie in Berlin übernommen hat. Es ist eine äußerst dichte Präsentation, die das Imaginäre Museum mit Textzitaten des Kunstkritikers wie des Dichters verbindet. Erreicht wird ein umfassendes Deutungsbild der Kunstbetrachtung Fontanes, das gegensätzlich jedoch erst in den einzelnen Katalogbeiträgen diskutiert wird.

In zehn Briefen berichtet Fontane den Berlinern über die englische Kunst unter anderem ausführlich über die "Art Treasures Exhibition" 1857 in Manchester. In John Ruskin fand Fontane einen Mitstreiter, wenn es um Turner ging, dessen Genialität sie beide betonten, dem Spätwerk jedoch kritisch gegenüberstanden, denn "Man sieht nichts mehr, man ahnt nur noch". Fontane fehlte die Wirklichkeit, der Gegenstand: "Die bloße Stimmung aber tut es nicht ...". Allein, wo in "Peace - Burial at Sea" (1842) eine symbolträchtige Doppelbödigkeit von momentanem Geschehen und erahnter Historie den Betrachter einbezieht, sieht Fontane die Meisterschaft Turners vollendet, wobei er dem Aquarellisten durchaus den Vorzug gibt.

Dem versteckten Symbolismus der Präraffaeliten galt Fontanes Vorliebe. Er fand hier die menschlichen Aspekte, die seiner Meinung nach die Kunst mitzuteilen habe, er fand die Verbindung von Realismus und Idealität. Das "Festhalten im Geist an einem ganz bestimmten Moment" der Handlung war Teil seiner Suche nach den wie Filmen ablaufenden Bildergeschichten, die in dem Triptychon von Augustus Leopold Egg "Past and Present" die Katastrophe der "Gefallenen Frau" in detailreichen Szenen andeuten.

Daß Fontane diese und andere Bilder, wie vor allem "Mariana" von John Evrett Millais seinen Romanfiguren, hier der "Effi Briest" zugrundelegt, er gleichsam für seine Romane aus dem Erinnerungsfundus all seiner Kunsteindrücke, auch der Berliner Jahre geschöpft hat, suchte Klaus-Peter Schuster, der Mitherausgeber des Kataloges und Veranstalter der Ausstellung in einer eigenen Untersuchung zu belegen. Von anderer Seite wird eine weniger direkte Übernahme, ein eher collageartiges Zusammenführen unterschiedlicher Bildeindrücke vorgeschlagen. Fontanes Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst bildete ein "Anschauungsreservoir für das Menschliche im Guten wie im Schlechten".

An diesen Kriterien entwickelt Fontane seine Geschichte der Moderne. Von William Hogarth zum Universalisten Menzel, von Turner über Carl Blechen zu Arnold Böcklin. Die Wiege liegt für ihn nicht bei den Impressionisten, denen er in "Stechlin" indirekt eine Absage erteilt, sondern bei den Präraffaeliten. Auch noch von Berlin aus ergibt sich für ihn immer wieder die Meßlatte London.

Wenn man mit W. J. Siedler festhält, daß Fontane die zeitgenössische Kunst und Dichtung de facto gar nicht wahrgenommen hat, daß er in einer vergangenen Welt verharrte, diese festzuhalten suchte, so bleibt eigentlich nur zu respektieren, daß der Dichter Fontane stets auf der Suche nach den "menschlichen Bildergeschichten" war, die ihm das Wichtige im Leben zu sein schienen. Seine Bilderwelt spiegelt die Ausstellung in hervorragender Weise wider. Sie ist facettenreich und überraschend - etwa in der Gegenüberstellung der Schluchtenbilder von Blechen und Böcklin - und sie macht betroffen - vor allem vor jenen Bildern, in denen sich selbst der Künstler einer eindeutigen Stellung-nahme über Frauenschicksale zu entziehen scheint.

Bis 7. März.

Täglich außer Montag 10 bis 17 Uhr, Dienstag bis 20 Uhr. Neue Pinakothek München, Barerstr.29

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