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Thomas Schwanthaler

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Es ist geistesgeschichtlich aufschlußreich, die Ursprünge des Gedankens des Denkmalschutzes zu erfassen. Eine seit langem erkannte geschichtliche Selbstverständlichkeit ist es, daß künstlerisch stark schöpferische Zeitalter mit naiv unbekümmertem Kraftbewußtsein eigene Werke an Stelle der Werke der Vergangenheit setzten, weil diese nicht mehr dem eigenen Formempfinden entsprachen. So hat in Südeuropa die Renaissance mit doktrinärem Eifer Werke der Gotik beseitigt und in unseren Alpenländern der Barockstil vielfach rücksichtslos in den mittelalterlichen Denkmälerbestand eingegriffen. Wir wissen heute, daß so etwa 95 Prozent der bedeutendsten Kunstwerke des Mittelalters verlorengegangen sind, ohne andere Spuren als in Urkunden zu hinterlassen.

Es wäre jedoch sinnlos, gerade in den Alpenländern von einer grundsätzlichen Zerstörung alten Kunstgutes zu sprechen; denn auch damals hatten wirklich schöpferische Künstler und Kunstfreunde ein tiefes Verstehen für das Kunstschaffen auch vergangener Zeiten. Dazu kam noch ein seit jeher wirksamer Geisteszug, der zur Erhaltung sakraler Werke beitrug: die Scheu vor der Vernichtung von Kunstgut, das der Gegenstand religöser Verehrung war. Dem Sinn unseres Volkes, der Körperliches unmittelbar erfaßt, schien zudem gerade die Plastik als Darstellung des Göttlichen in menschlicher Gestalt besonders erhaltungswürdig.

Die bedeutendsten plastischen Kunstwerke des späten Mittelalters, die vielteiligen Wandelaltäre, waren durch ihren vergänglichen Werkstoff, das Holz, raschem Verfall und häufiger Erneuerung unterworfen. Um nun ihre Reste zu erhalten, baute man öfter das luftige durchbrochene Gebilde in den neuen, größeren Altar ein; ijt diesem Falle verschmolzen beide zu einem Gesamtwerk von reizvoller, aber komplexer Struktur.

Meist mußte man sich damit begnügen, den Inhalt der Schreine, also eine Gruppe von drei oder fünf Statuen, in einen barocken Aufbau zu übertragen. Dies geschah zum Beispiel in Schädling bei Deggendorf, Niederbayern, in Hochfeistritz bei Eberstein, Kärnten. Namentlidi Bayern und Franken bieten zahlreiche Beispiele solcher Rettung alter Statuengruppen. Dabei erlag man allerdings manchmal der Versuchung, diese Zeugen alter Kunst durch Überarbeitung dem neuen Geschmack anzupassen.

Nadi dem Abbruch mittelalterlicher Altäre gingen deren Statuen meist in Feldkapellen und auf Dachböden verloren. Altehrwürdige Gnadenbilder wurden vielfach in eine Nisdie des Außenbaues der Kirche gestellt, wo sie die nahenden Pilgersdiaren begrüßten Irrsdorf, Salzburg, oder man fügte die meist kleine Gnadenstatue dem neuen Hochaltäre ein, in dessen mächtigem Aufbau sie fast verschwand; dies finden wir bei den bedeutendsten alpenländischen Gnadenstätten, in Varese, Ettal, Andechs, Altötting, Frauenstein, Maria-Wörth und vielen anderen. In Frauenberg bei Admont ist die alte Marienstatue heute noch in einer dämmerigen Nische hinter dem Hochaltar das Ziel frommer Beter. In St. Wolfgang am Abersee wurde eine kostbare Statue des sitzenden Bischofs ins Dunkel eines Tabernakels verschlossen. Die denkmalschützende Wirkung der Pietät führte oft dazu, daß man die erhaltenen Flügelreliefs eines verfallenen Schnitzaltans in Rahmen gefaßt wie Tafelgemälde im Kircheninneren aufhing.

Diese Beispiele der Erhaltung mittelalterlicher Plastiken leiten uns hin zu dem Werk eines der bedeutendsten Meister des alpenländischen Kunstbereiches, Thomas Schwanthaler 1634 bis 1707, den wir als einen der Väter der Denkmalpflege bezeichnen dürfen. Der in Ried ansässige Bildhauer ist nicht allein einer der vielseitigsten Plastiker des österreichischen Barocks, da er außer seinen mächtigen Altarbauten und Einzelplastiken in Holz auch in Stein arbeitete Grabmäler von Äbten des Stiftes Reichersberg und nach seinen Entwürfen Bronzebildwerke gießen ließ Sankt Michael, Brunnenfigur in Reichersberg. Er ist auch dem Landvolke in seiner warmen Menschlichkeit vertraut: seine unbeschwerte Lebensfreude, seine impulsive Natur sind noch heute in Anekdoten lebendig. — Künstlerisch war Meister Thomas ein Bahnbrecher, auf dessen Lebenswerk die wesentliche Entwicklung der hochbarocken Plastik Oberösterreichs und Salzburgs ruht.

Thomas Schwanthalers plastischer Stil, die Wucht und Bewegtheit seiner über das Leben erhobenen Gestalten, zeigt ein Wiederaufleben der Wesenszüge der spätgotischen Plastik der Jahre um 1520 in seiner Innviertler Heimat. So weisen seine Werke selbst darauf hin, daß ihr Meister das Kunsterbe der Spätgotik gekannt und geliebt haben muß’. Bisher unbekannte Einzelheiten seines Schaffens bestätigen diese Vermutung. — Als noch junger Meister hat er in den Jahren 1664 bis 1670 in der schönen gotischen Wallfahrtskirche von Zell am Petten- first den mächtigen Hochaltar, die Kanzel und den plastischen Schmuck der Orgel geschaffen. Aus bisher unveröffentlichten Urkunden über die Entstehung dieser Werke und an diesen selbst zeigt sich, daß der Meister in einsichtsvoller Bescheidenheit den plastischen Schmuck des gotischen Hochaltars erhalten hat: an Schwanthalers 1666 datiertem Hochaltar füllen den besten Platz die Schreinnische, drei herrlich kompositionell aufeinander bezogene spätgotische Schreinfiguren, Maria mit dem Kinde zwischen den Heiligen Afra und Apollonia. Diese bedeuten für die Kunstgeschichte Oberösterreichs insofern eine einzigartige Bereicherung, da sie in ihrer zartmanierierten Formensprache und ihren preziösen Gebärden Einflüsse der oberrheinischen Plastik um 1470 und der Werke des Stechers E. S. verraten. Wir besitzen eine umfassende Denkschrift von Schwanthalers Hand, in der er die farbige Fassung des Hochaltars und seiner Figuren genau vorschreibt und begründet, wobei er liebevoll um die Erhaltung der vollen künstlerischen Wirkung der gotischen Werke besorgt ist. Diese Anweisung hat leider die letzte Wiederherstellung dieses Altars zu-dessen Schaden unbeachtet gelassen. Vier Flügelreliefs mit Szenen aus dem Marienleben, die er an dem Altarneubau nicht anbringen konnte, hat er sorgsam in schlichte Holzrahmen gefaßt, ergänzt und im Kirchenraum aufhängen lassen.

In Waldzell bei Ried, wo 1683 ein spätgotischer Hochaltar einer Neuschöpfung aus Meister Thomas’ Hand weihen mußte, hat er die alte Shreingruppe, die thronende Madonna mit Kind zwishen den Heiligen Barbara und Katharina, aus den Jahren um 1520 ahtsam inmitten seiner Neuschöpfung aufgestellt. Leider glaubte der Enkel des Meisters, Franz Matthias Shwanthaler, 1752, zwei dieser spätgotischen Heiligengestalten durh rücksichtslose Überarbeitung ihrer Oberkörper im Sinne des Rokoko umformen zu müssen, wodurh die von Thomas Shwanthaler geschaffene Harmonie etwas Niederlegen des mittelalterlichen Lettners der bisher den Geistlihen vorbehaltene Chorraum den Laien freigegeben und damit die Errihtung eines neuen Choraltars aktuell, da der herrliche „Pacher-Altar" in seiner gotischen Formensprache dem Empfinden des Barocks nicht mehr entsprach. Ein Meisterwerk war in Gefahr, das wir aus der Kunstgeschichte der Alpenländer nicht wegdenken können und als ein Nationalheiligtum Österreichs ehren. — Der Faßmaler Franz Gamann in Ried bewarb sich in einem Brief vom 12. Februar 1675 bei Abt Cölestin Kolb von Mondsee um die Faßarbeiten am „Neuen Choraltar“ und kündigte das Kommen Schwanthalers zum Abschluß des Werkvertrages an. Fünf Tage später schloß dieser mit dem Abte den Vertrag über Errichtung — nicht eines Chor-nende Meisterwerk seines eigenen Schaffens, den Doppelaltar, als auch die Erhaltung des Pacher-Altars. Außerdem rettete Schwanthaler in einem Tabernakel seines Doppelaltars die köstliche spätgotische Sitzfigur eines hl. Wolfgang, die individuellste mittelalterliche Darstellung des Heiligen, die erhalten ist.

Ein Charakteristikum von Thomas Schwanthalers kunsterhaltender Tätigkeit bleibt also für die Denkmalpflege wegweisend: als schöpferischer Künstler verstand er es, die Werke der Vergangenheit nicht in die Abgeschiedenheit einer Sammlung zu bergen, sondern sie mit seiner eigenen Kunst in Einklang zu bringen und dergestalt in lebendiger Beziehung zum kultischen Leben der Gegenwart zu erhalten.

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